Huh!

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Blauer Fansektor.

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Reykjavík – Es ist durchaus eine grobe Enttäuschung, wenn sich wie Wales ein Halbfinalist vorhergehender Europameisterschaften nicht für die folgende Fußball-WM qualifiziert. Andererseits ist es kein Wunder, wenn ein EM-Viertelfinalist die nächste WM schmückt. "Das nächste Wunder", titelte dennoch L'Équipe, als Island die Teilnahme an der Endrunde 2018 mit einem 2:0-Heimsieg über die Auswahl des Kosovo fixiert hatte.

Das vielstimmige Huh des seit der glorreichen Tage von Frankreich populären isländischen Fangesangs sei quasi bis nach Russland zu hören. "Das Wikingerschiff nimmt Kurs auf Russland", schrieb sogar die Washington Post. Schließlich ist Island das der Einwohnerzahl nach bisher kleinste Land, das an einer WM teilnimmt. Ein Journalist berechnete, dass 0,1 Prozent der isländischen Männer zwischen 22 und 34 Jahren im Sommer 2018 nach Russland fahren werden – als Spieler, wohlgemerkt. In Frankreich waren bis zu 30.000 Isländerinnen und Isländer bei den Spielen ihrer Mannschaft dabei – nur etwas weniger als zehn Prozent der Gesamtbevölkerung von rund 340.000. Die "blaue Wand", die sich hinter der Mannschaft aufbaut, gibt zusätzlich Kraft.

Gespalten, vereint

Staatspräsident Guðni Jóhannesson, der Bruder des österreichischen Handballteamchefs Patrekur Jóhannesson, hob die gesellschaftliche Bedeutung des historischen Moments im Nationalstadion Laugardalsvöllur von Reykjavík hervor. "Dieser unglaubliche sportliche Erfolg tut dieser Nation so gut." Das Land sei schließlich in vielen Dingen gespalten. Ein Kindesmissbrauchsskandal in der katholischen Kirche, der Sturz der Regierung nach nur acht Monaten Amtszeit im September, die Probleme mit Jugendabwanderung und der Ärger über horrende Preise – all das war für einen Moment vergessen.

In Island beginnt der Fußball den bis dahin dominierenden Handball zu überschatten. In jedem Fischerdorf sind ein gepflegter Rasenplatz und eine Großraumhalle für die rund neun Monate pro Jahr zu finden, in denen nicht im Freien Fußball gespielt werden kann. Der Sport ist Regierungsprogramm – auch um die in der Wirtschaftskrise teils in den Alkoholmissbrauch abgedriftete Jugend zu beschäftigen. Dass die Teilnahme der Nummer 22 der Weltrangliste an der EM in Frankreich nicht zur Eintagsfliege wurde, befeuert den ohnehin stark ausgeprägten Nationalstolz.

Dazu kommt die Einstellung: "Wir sind Workaholics. Wir haben den Berg erklommen und blicken nun zum nächsten. Wir ziehen unsere Wanderschuhe an und gehen los", sagt der seit Sommer alleinverantwortliche Coach Heimir Hallgrímsson. (sid, APA, lü, 10.10.2017)