Um dem Massenansturm der Touristen zu entkommen, empfiehlt es sich, einfach mal eine Bucht weiterzuziehen.

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Nur eine Bucht trennt die oft menschenleere Platja d'es Carbó vom überfüllten Strand von Es Trenc.

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Im Süden von Mallorca mahlen die alte Windmühlen mancherorts langsamer: So schnell wird die Küste östlich von Colònia de Sant Jordi nicht verbaut werden.

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Das Mallorca aus den Reisekatalogen, das der Klischees, das mit den vollen Stränden und den vielen Menschen scheint von der Carbó-Bucht zwar nur einen Katzensprung, aber doch Welten entfernt

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Nur ein paar Buben turnen an diesem warmen Herbsttag mit Kuchenformen und gelben Plastikschaufeln über den Strand der Platja d'es Carbó und versuchen sich im Burgenbauen. Ihr Vater hilft ihnen mit derselben Begeisterung dabei – und wirklich gestresst wirkt er nur deswegen: weil der aufblasbare Plastikdelfin nicht so will, wie er selbst, und ihm einiges an Lungenleistung abverlangt, um sich zu entfalten. Drumherum ist wenig los – wie schon während der gesamten Sommersaison. Nur zwei Paare ein bisschen weiter oben am Rand der Dünen, ein paar Nudisten fast am Horizont, ab und zu ein paar Spaziergänger auf Durchmarsch, die sich vergnügt in die immer noch angenehm warmen Fluten vor Mallorcas Südküste stürzen.

Vergangenes Jahr befanden sich zeitweise knapp zwei Millionen Urlauber auf Mallorca, Einwohner hat die Baleareninsel nur halb so viele. Im Juli und August galt sie praktisch als ausgebucht. Die Folgen waren im Sommer nahezu überall auf der Insel sichtbar: überfüllte Strände, vor allem wegen der vielen Mietwagen immer häufiger verstopfte Straßen, zunehmende Probleme bei der Müllentsorgung und Wasserversorgung. Ende September hat Palma de Mallorca die bisher größte Demonstration gegen die Auswüchse des Massentourismus erlebt. Es kamen an die 3.000 Menschen mit Plakaten, auf denen unter anderem stand: "Ohne Beschränkungen gibt es keine Zukunft!"

Wasser in Duschgel-Grünblau

Rund um den Küstenort Colònia de Sant Jordi in der Gemeinde Ses Salines im Süden der Insel scheinen die in der Landschaft überall präsenten Windmühlen noch langsamer, vor allem aber leiser zu mahlen. Sogar auf den bildhübschen Stränden östlich des ehemaligen Fischerdorfs ist nie viel los, sie sind nicht bewirtschaftet, werden nicht täglich neu hergerichtet. Eine Bucht reiht sich an die nächste, selten felsig, meist von breitem, hellem Sandstrand gesäumt. Dazu schimmert das Wasser im schönsten Duschgel-Grünblau. Weiter draußen ankern gerade zwei Yachten, am Horizont scheppert ein Jetski durchs Bild. Nur die angespülten Algen ganz vorne am Saum des Wassers hat keiner weggeräumt, sie trocknen in der Sonne.

Alles in allem erstreckt sich die Buchtenkette über fast zehn Kilometer. Und auf der ganzen Strecke ist die Küste unbebaut – von ein paar zerfallenden Bootsschuppen aus Beton abgesehen. Die wenigsten Urlauber wissen davon – und wer es weiß, steuert trotzdem meistens einen anderen Strand an. Warum das so ist? Die Antwort ist so simpel wie überraschend: weil das über all die vielen Kilometer angrenzende riesige Privatgrundstück der mallorquinischen Bankiersfamilie March gehört, die dort weit weg vom Meer eine Zweit- oder Drittvilla und am Strand ein kleines Badehaus besitzt. Durchzogen ist das Grundstück von Sandpisten, von denen diejenigen in Richtung Meer durch Dünen und Pinienwald nur mit Geländewagen zu befahren sind. Und Fremde haben keinen Zutritt zum angeblich zweitgrößten Grundstück der Insel. Wer also an die angrenzenden Strände will, muss seinen Leihwagen irgendwo in Colònia de Sant Jordi parken und zu Fuß kommen und diesseits des Zaunes am Grundstück entlangspazieren.

Kein Zwang zur Zufahrt

Strände sind auf Mallorca grundsätzlich öffentlich – aber einen Zwang, Zufahrten zu bauen und Parkplätze anzulegen, gibt es nicht. Zum Glück. Und das Grundstück zu parzellieren, zum Kauf anzubieten, mit der zuständigen Gemeinde Ses Salines um Bebauungspläne zu pokern – darauf hat die Familie offenbar keine Lust, oder sie hat kein Interesse daran. Auf den Erlös aus solchen Verkäufen ist man offenbar auch nicht angewiesen.

Nur einer hat eine Ausnahmegenehmigung, für ihn öffnen sich die Schranken zur Grundstückszufahrt der March-Finca: Francisco Pizá Bordoy darf passieren, weil er anders keine Vorräte, keine Sandwiches, keine Weinflaschen, keine Bierkisten zu seiner Strandbar transportieren könnte. Und weil die Wachleute ihn kennen. Er hat die Konzession für die einzige Beachbar an diesem Strandabschnitt unmittelbar außerhalb des Geländes – nur ein paar hundert Meter vom Hafen von Colònia de Sant Jordi entfernt, gleich an der Platja d'es Dolç: eine Holzhütte mit Tresen, ein paar Tischen, drei Dutzend Liegestühlen und Sonnenschirmen.

Weiße Sangria

Es gibt Strandbars auf Mallorca, bei denen mehr los ist. Dabei sind die Bocadillos mit Serrano-Schinken bei ihm richtig gut: "Hier hast du Spaß, machst auch deinen Umsatz", sagt Francisco, der die Bar nur im Nebenberuf betreibt, und das auch nur während der Saison. "Das große Rad drehst du am anderen Ende von Colònia, drüben, am Strand von Es Trenc. Da wollen sie alle hin. Da gibt es Straßen, Parkplätze, mehrere Bars. Das hier entdecken die meisten erst später – oder nie." Dabei ist er stolz auf seine weiße Sangria: "Die beste weit und breit!" Serviert wird sie in Ein-Liter-Karaffen – mit Weintrauben, Orange, Zitrone. Und mit Eis. Zwei-, dreimal die Woche bringt Francisco mit seinem Geländeauto Nachschub, hat sogar den Schlüssel für die Tür im Zaun, um vom Privatland, wo er den Land Rover zum Entladen abstellt, wieder auf öffentlichen Grund und Boden zu gelangen, wo seine Bar ist.

Ob Mick Jagger ihn besucht habe, als er neulich mit dem Beiboot seiner Yacht drüben in der Bucht von Es Trenc anlandete und durch den Sand zu einer der dortigen Strandbars stapfte? Francisco zuckt mit den Schultern: "Falls ja, war ich nicht hier. Aber eigentlich sind für solche Leute zu wenig Zuschauer an diesem Ort." Dafür kommen andere mit dem Boot: "Ganz normale, die dafür Geld zusammengelegt und für einen halben Tag eines gemietet haben. Oder Mittelreiche, denen eines gehört. Aber die ganz Reichen und die Stars, die eher nicht."

Buchten trennen Welten

Das Mallorca aus den Reisekatalogen, das der Klischees, das mit den vollen Stränden und den vielen Menschen scheint von der Carbó-Bucht zwar nur einen Katzensprung, aber doch Welten entfernt. Einen Moment lang zweifelt man sogar, ob all das real sein kann: Wo wohnen denn die Leute, die hierher kommen? Wo sind ihre Hotels und Ferienhäuser? Nicht gleich um die Ecke, meint Francisco. Sie kämen oft von weiter her, wohnen manchmal ganz woanders auf der Insel, haben ihr Mietauto irgendwo in den Straßen von Colònia abgestellt und spazieren dann durch die Dünen.

Am Strand ist derweil das Sandburgenprojekt zum Saisonschluss fast vollendet. Mittlerweile engagiert sich der Vater mehr als die Söhne, die nur noch im Stehen zusehen und ab und zu mit Kinderstimmen Anweisungen geben. Einer von ihnen ist längst glücklich mit seinem Aufblasdelfin, der Vater nach so viel Lungenleistung wieder bei Kräften. Während der Jungspund auf dem PVC-Flipper hockt, zieht er ihn durchs seichte türkisblaue Wasser. Ungestört und mit ganz viel Platz.

Wo einer wie Francisco Pizá Bordoy im Urlaub hinfährt? Er grinst. "Hierher natürlich. Wenn die Bar längst wieder abgebaut und alles bis zur nächsten Saison eingelagert ist. Dann ist es hier noch ruhiger." (Helge Sobik, RONDO, 17.10.2017)