Washington/Pjöngjang/Wien – Mindestens eine Million Tote, schwere Verwerfungen in der Weltwirtschaft und riesige Flüchtlingsströme. Und das ist die positive Variante. Seitdem US-Präsident Donald Trump immer öfter mit einem Krieg gegen Nordkorea droht, rechnen Experten wieder einmal die Szenarien durch, die im Fall einer militärischen Auseinandersetzung auf der Koreanischen Halbinsel zu erwarten wären. Die oben geschilderten Schätzungen beziehen sich auf den Fall, dass es zu einer Konfrontation ohne Einsatz von Nuklearwaffen kommt – ein Glücksfall, der unwahrscheinlich ist. Schätzungen, was im Fall eines begrenzten Atomkriegs drohen würde, lesen sich noch um mehrere Stufen schlimmer. Sie lassen Schäden vermuten, die lange Zeit auch bis nach Europa spürbar blieben.

KONVENTIONELLER KRIEG: Tagelanger Bombenhagel

Doch zunächst zu den Gefahren eines konventionellen Krieges: Rund 8.000 Artilleriestellungen stehen auf nordkoreanischer Seite im unmittelbaren Grenzgebiet zu Südkorea und stellen somit die erste große Gefahr dar. Sie sind auf die Hauptstadt Seoul gerichtet und könnten nach Angaben eines US-Militärstrategen im Magazin "The Atlantic" innerhalb von Stunden jeden einzelnen Quadratmeter des 25-Millionen-Einwohner-Großraums mehrfach treffen. Ihr Einsatz droht etwa für den Fall, dass Nordkoreas Diktator Kim Jong-un wegen des Aufbaus der amerikanischen Drohkulisse zu der Auffassung kommt, ein Angriff der USA und Südkoreas stehe unmittelbar bevor.

Die Geschütze sind stark verteilt und gut getarnt. Deshalb rechnen die amerikanischen Militärplaner laut "New York Times" damit, dass pro Stunde nur etwa ein Prozent der Geschütze aus der Luft ausgeschaltet werden könnte. Es könnte also tagelang Sprengkörper auf Seoul regnen. Nimmt Nordkorea – wie zuletzt angedeutet – vor allem Militärbasen unter Beschuss, kann allein dort und in der Umgebung mit rund 60.000 Toten gerechnet werden. Wird die Zivilbevölkerung zum Ziel, könnte die Zahl in den ersten Tagen bei 300.000 Toten liegen.

Grafik: derStandard.at, Quelle: Stratfor

Und dabei würde es nicht bleiben. Nordkorea hat weitere rund 1.000 Raketen im ganzen Land stationiert, die andere Teile Südkoreas angreifen und auch Tokio treffen könnten. Die japanische Hauptstadt teilt mit Seoul eine besondere Art der Verwundbarkeit: Da wie dort ist die Regierungsinfrastruktur auf relativ kleinem Raum konzentriert, ein Angriff könnte beide Staaten auch strategisch schwächen. Anders als in Seoul gibt es in Tokio weniger geeignete Zivilschutzräume und Bunker, in denen sich Bewohner in Sicherheit bringen könnten.

ASYMMETRISCHER KRIEG: Kämpfe im Wohngebiet

Weil Nordkoreas 1,2 Millionen Kämpfer starke Armee Südkorea zahlenmäßig weit überlegen, aber technisch unterlegen ist, spekuliert die Zeitschrift "Newsweek" über eine weitere strategische Möglichkeit: Nordkorea könnte versuchen, materielle Defizite durch einen massiven Vormarsch Richtung Seoul wettzumachen. Kämpfe hunderttausender an die Zähne bewaffneter Soldaten mitten im dicht besiedelten Wohngebiet wären die Folge – mit schlimmen Folgen für jene, die sich zwischen den Kampftruppen wiederfänden.

Nordkoreanische Übung im Sommer.
Foto: AFP / KCNA via NKS / STR

Und das wären nur die Folgen für die Welt außerhalb des kommunistischen Staates. Der überwiegende Teil der nordkoreanischen Bevölkerung wäre vor Angriffen der USA und Südkoreas noch schlechter geschützt, als es umgekehrt der Fall ist. Pläne Seouls für den Kriegsfall sind teils an die Presse gedrungen und zudem im Vorjahr bei einer Attacke von nordkoreanischen Hackern erbeutet worden. Sie sehen proportionale Angriffe in Nordkoreas Hauptstadt Pjöngjang und anderen nordkoreanischen Städten vor. Gerechnet würde auch in diesem Fall mit mehreren hunderttausend Toten innerhalb der ersten Kampftage. Dazu kämen zehntausende gefallene Soldaten, schreibt das auf Asien spezialisierte Internetmagazin "The Diplomat". Insgesamt rechnen die Militärs in diesem Fall mit mehr als einer Million Toten nach den ersten Kriegswochen.

CHEMIE- UND BIOWAFFEN: Giftgas, Anthrax und die Pest

Als realistisch gelten all diese Annahmen nicht. Sie sind letztlich zu positiv. Denn Nordkorea verfügt auch über große Programme zur chemischen und biologischen Kriegsführung. Beide würden bei einem Krieg sehr wahrscheinlich zum Einsatz kommen. Rund 5.000 Tonnen Giftgas soll das Land laut hochrangigen Deserteuren bereits im Jahr 1997 gehabt haben, mittlerweile sind es sehr wahrscheinlich mehr. Darunter befinden sich auch Sarin, das jüngst in Syrien zum Einsatz kam, und der Stoff VX, mit dem auf nordkoreanischen Befehl im Frühjahr 2017 der Halbbruder Kim Jong-uns, Kim Jong-nam, auf dem Flughafen von Kuala Lumpur umgebracht wurde.

Dazu kommen Bestände an waffenfähigem Anthrax, Botulismus, Lassafieber, Pest, Pocken, Typhus und Gelbfieber. Sie könnten etwa in jenen Gebieten im Süden Südkoreas und in Japan eingesetzt werden, die für Nordkorea zwar mit Raketen, nicht aber mit Artillerie leicht erreichbar sind. Zudem könnten die fünf Atomkraftwerke in Südkorea zum Ziel von Angriffen werden, warnte der stellvertretende Chef der Antiatomwaffengruppe "Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs", Ira Helfand, jüngst online in einem Meinungsbeitrag.

WIRTSCHAFTLICHE FOLGEN: Massive Rückgänge

Selbst wenn die geopolitischen Folgen eines Waffengangs ebenso außer Acht gelassen werden wie die massiven Flüchtlingsströme: Die Auswirkungen eines Korea-Krieges auf die Märkte wären enorm. Südkorea, dessen Zerstörung drohen würde, stellt derzeit rund zwei Prozent der weltweiten Exporte her. Das mag verschmerzbar klingen, doch hätte ein Ausfall des Landes weitreichende Auswirkungen auf bestimmte Handelssparten.

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40 Prozent aller LC-Dispalys werden in Südkorea gefertigt. Ein Krieg würde schwere Verwerfungen an den Märkten auslösen.
Foto: Reuters / Truth Leem

So werden etwa 40 Prozent aller LC-Displays und 17 Prozent aller Halbleiter in Südkorea hergestellt, wie der Thinktank Capital Economics jüngst festhielt. Zudem ist das Land Heimat der drei größten Werften der Welt. Die Studie zieht einen Vergleich mit den Überschwemmungen, die 2011 viele Technikbetriebe in Thailand lahmlegten. Dort ging die Industrieproduktion um 16 Prozent zurück, die weltweiten Preise für Produkte wie Festplatten schossen in die Höhe. Die Folgen eines Krieges in Südkorea wären aber ungleich gravierender.

GEOPOLITIK: Gefährliches Rennen um die Atombomben

Zudem bliebe auch bei einem konventionellen Krieg die Frage, was mit jenen vermutlich Dutzenden Atomwaffen passieren würde, die Nordkorea bereits jetzt hat. Selbst wenn Berichte über chinesische Bemühungen zur Sicherung stimmen – dass sie mitten im Krieg in Nordkorea umsetzbar wären, erscheint zweifelhaft. Zudem wäre damit zu rechnen, dass auch die USA ein ähnliches Unterfangen starten würden – was einen Zusammenstoß zwischen beiden Seiten zumindest denkbar erscheinen ließe. Schließlich geht es dabei um die Frage, wer nach einem Krieg das Land mit der langen Grenze zu China kontrolliert.

Nordkoreas Diktator Kim Jong-un mit einer angeblichen Wasserstoffbombe. Nach einem Krieg würde womöglich ein Wettrennen um die Kontrolle der Waffen beginnen.
Foto: AFP / KCNA Via NKS / STR

Dass die Atomwaffen im Kriegsfall ungenützt blieben, ist ohnehin alles andere als sicher. Und das gilt für beide Seiten. Wie Militärstrategen zum "Atlantic" sagten, gibt es etwa die ernsthafte Überlegung, die nordkoreanische Artillerie nuklear auszuschalten – was nicht nur wegen der Nähe zu Südkorea ein äußerst riskantes Unterfangen wäre. Zudem könnten sowohl Nordkorea als auch die USA auf konventionelle Angriffe mit einem Atomschlag reagieren.

ATOMKRIEG: Düstere Aussichten

Unmittelbar würde ein solch begrenzter Atomkrieg mehrere Millionen Menschen töten. Doch die globalen Folgen wären noch gravierender: All jene, die sich an Schätzungen versucht haben, zeichnen ein äußerst düsteres Bild. So hat eine Gruppe amerikanischer Klimaforscher Mitte der 2000er-Jahre Modelle für einen Nuklearkrieg zwischen Indien und Pakistan errechnet (PDF). Sie gehen dabei von je maximal 50 Bomben aus, die mit einer Sprengkraft von je 15 Kilotonnen (das entspricht einer Hiroshima-Bombe) explodieren. Das würde zwar einer etwas höheren Zahl an Atombomben entsprechen, als sie Nordkorea gewöhnlich nachgesagt wird, allerdings liegt die angenommene Sprengkraft weit unter jener, die das Land bei jüngsten Versuchen erreicht hat.

Auch nach einem begrenzten Atomkrieg würden bis zu fünf Millionen Tonnen Ruß in der Atmosphäre landen. Das Klima auf der ganzen Welt wäre gestört.
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Im angenommenen Fall, so die Forscher Alan Robock und Brian Toon, würden durch Explosionen und Brände rund fünf Millionen Tonnen Ruß in die Atmosphäre gelangen. Sie würden die Einstrahlung des Sonnenlichts behindern und zu einer globalen Temperatursenkung um rund 1,3 Grad im ersten Jahr führen. Besonders betroffen wären jene kontinentalen Regionen, in denen viel Getreide angebaut wird. Wegen der geringeren Verdunstung über den Meeren hätten sie mit massiv verringerten Regenfällen zu rechnen.

HUNGERSNÖTE ERWARTET: Jahre ohne Sommer

In den USA würde die Ernte von Sojabohnen um rund sieben Prozent geringer ausfallen als gewohnt, jene von Mais um zwölf Prozent, ist in einer zusammenfassenden Studie zu lesen (PDF), in die weitere Klimamodelle eingeflossen sind. Anderswo, etwa in China, würde die Produktion noch stärker zurückgehen, jene von Winterweizen etwa im ersten Jahr nach einem Atomkrieg um die Hälfte. Besonders betroffen wären jene rund 815 Millionen Menschen, die schon bisher nach Angaben der Uno an Unterernährung leiden. Aber auch in großen Teilen Chinas könnte es zu Hungersnöten kommen. Insgesamt wären bis zu zwei Milliarden Menschen vom Ausfall bezahlbarer Nahrung massiv betroffen. Die Preise in den USA und in Europa könnten massiv steigen, Panik an den Märkten würde diesen Effekt vermutlich noch steigern.

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Weizenernten in China könnten vorerst auf die Hälfte reduziert werden. Hungersnöte wären die Folge.
Foto: Reuters

Und noch größere Schäden wären möglich: Als 1815 der indonesische Vulkan Tambora explodierte, führte der Ascheregen zu einem "Jahr ohne Sommer" in Teilen Europas und Nordamerikas im folgenden Jahr 1816. Damals ging die Temperatur im Schnitt nur um 0,7 Grad zurück, dennoch war die Folge die schlimmste Hungersnot des Jahrhunderts. Vor allem habe sich aber gezeigt, dass die extreme Hitze ebenso wie extreme Kälte regional und kurzzeitig stark zunahmen, so die Studie. In manchen Gebieten wurde im August Schneefall verzeichnet. Zudem breiteten sich als Folge der Kälte auch Krankheiten aus. Würde sich dieses Szenario wiederholen, könnten die Folgen noch schlimmer sein. (Manuel Escher, 10.10.2017)