Am 9. 10. bringt der STANDARD ein Interview mit der katalanischen Ökonomin Elisenda Paluzie ("Spanien wird der Hauptgeschädigte sein"), in welchem sie behauptet, dass eine Unabhängigkeitserklärung Kataloniens kaum Auswirkungen auf Kataloniens Wirtschaft haben werde, ja, dass die spanische Wirtschaft über höhere Refinanzierungskosten und über die volle Übernahme der Staatsschulden der Verlierer sein würde.

Ja, geht es denn noch? Wenn Unabhängigkeit die Loslösung von Spanien bedeutet, dann wird der Staat Katalonien nicht mehr EU-Mitglied sein und natürlich auch nicht mehr Mitglied der Eurozone. Konkret bedeutet dies, dass es eine eigene Währung einführen müsste (Wechselkurseffekte?), dass es bestehende Kontrakte in die neue Währung überführen müsste, dass es eine eigene Zentralbank gründen müsste (wo gibt es da Vorarbeiten?) und dass es Jahre dauern würde, bis ein neues Verhältnis zur EU verhandelt wäre (der Brexit ist viel leichter, da das Vereinigte Königreich (UK) nicht in der Eurozone ist und als bestehendes Land viele der institutionellen Voraussetzungen für solche Verhandlungen hat).

Dass Spanien und seine EU-Freunde ein freies Katalonien nicht gerade freundlich aufnehmen würden, versteht sich von selbst. Die Grenze zwischen Katalonien und Spanien müsste mit Zollschranken gesichert werden, Katalonien könnte als Nicht-WTO-Mitglied nicht einmal die günstigen WTO-Zollsätze (wie das UK) beanspruchen. Sein Finanzsektor müsste Regulierungsinstitutionen aufbauen und – auf eigenen Beinen stehend – sich seine Finanzierungsquellen suchen.

Es ist erstaunlich, dass eine Universitätsprofessorin für Ökonomie wegen ihres vielleicht verständlichen politischen Wunsches nach Unabhängigkeit in einem Interview über die wirtschaftlichen Folgen jegliches ökonomische Verständnis vermissen lässt – und dass der STANDARD dies ohne kritische Gegenfragen so abdruckt.

Wie im Wahlkampf

Diese Vorgangsweise erinnert an die unkritischen Fragen des ORF im Wahlkampf, wo den Dampfblasen ohne inhaltliche Tiefe einiger Kandidaten Raum gegeben wird, ohne dass sie durch tiefergehende Fragen etwas herausgefordert werden – und so den Zuhörern Substanz für ihre Wahlentscheidung bieten können.

In dieser Situation ist es kein Wunder, dass auch Politiker "Expertenwissen" als entbehrlich deklarieren. Diese tun dies natürlich, um emotionalen Tendenzen, die sie selbst schüren, Raum zu geben. Der Demokratie, dem immer wieder als Lippenbekenntnis geforderten ruhigen Dialog, schadet dies. Es kommt den "fürchterlichen Vereinfachern" und Populisten entgegen.

(Kurt Bayer, 10.10.2017)