Eine Pro-EU-Demo unlängst in London: Die Briten haben – nationalistisch verblendet – der Union den Rücken gekehrt. Inzwischen ist vielen dort aufgegangen, dass das keine gute Idee war.

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Ein wesentlicher Aspekt der Nationalratswahl kommt in der öffentlichen Debatte viel zu kurz: die künftige Rolle Österreichs in der europäischen Familie. Mit dem bevorstehenden erneuten Eintritt der FPÖ in eine Regierung, egal in welcher Koalitionskonstellation, würde sich die europapolitische Ausrichtung Österreichs grundlegend ändern – hin zu einem Kurs, der Wien weg von Frankreich und Deutschland, näher an Ungarn und Polen rückt.

Nationale Burschenschafter

Es steht am 15. Oktober, noch viel deutlicher als bei der letzten Bundespräsidentenwahl, Österreichs Zukunft in Europa zur Wahl. Der Konsens, dass Österreich eine tragende Rolle im Einigungsprozess spielen muss, vor allem während der bevorstehenden Ratspräsidentschaft, kommt mit einer Regierungsbeteiligung der Freiheitlichen deutlich ins Wanken. Mit einer Partei, deren Spitzenfunktionäre zum Großteil von nationalen Burschenschaften politisch geprägt wurden, lässt sich keine Vision eines geeinten Europas entwickeln.

Natürlich gibt es offensichtliche Kritikpunkte an der Europäischen Union, vor allem wenn es um die mangelnde Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips und die Überbürokratie der EU geht. In diesen Punkten kann ich die Kritik der Freiheitlichen nachvollziehen – auch ihre Rolle als notwendiger Stachel im Fleisch einer lebendigen europäischen Demokratie ist wichtig. Doch für die Mehrheit der Bevölkerung ist die Einigung Europas nicht verhandelbar, nur das Wie.

Vor wenigen Tagen hat der französische Präsident Emmanuel Macron mutige Ideen für Europa vorgestellt. Wir alle sollten darüber diskutieren, auch zivilisiert darüber streiten. So sehr Macrons Vorschläge im Bereich Sicherheit und Äußeres konkret sind, so zaghaft sind sie im Hinblick auf die Demokratisierung der Union. Aber wir Bürger brauchen nicht nur ein sicheres Europa, sondern auch ein demokratisches Europa. Ja, das wird wohl auch heißen, dass wir die Institutionen der Europäischen Union auf neue Beine stellen müssen.

Die Instrumente, die wir bisher dafür zur Verfügung hatten, werden nicht ausreichen. Das Europäische Parlament braucht dringend ein Initiativrecht, um Gesetze einbringen zu können, in den Europawahlen müssen europaweite Listen zur Wahl stehen. Die Europäische Bürgerinitiative ist zahnlos und ein Rohrkrepierer. Dabei wäre es so wichtig, die Bürgerinnen und Bürger stärker einzubinden.

Irland hat mit einer Verfassungsreform, die per Losverfahren ausgewählte Bürger entscheidend mitgeprägt haben, vorgezeigt, wie zeitgemäße Formen der Demokratie funktionieren. Warum nicht auch einen neuen Verfassungskonvent der Bürger zur Zukunft Europas einberufen?

Randphänomen Europa

Dass Europa im Wahlkampf in Österreich bisher nur am Rande vorkam, ist fahrlässig – auch wenn sich Grüne und Neos wenigstens klar deklarieren. Umso wichtiger ist es, in den verbleibenden Tagen bis zur Wahl eines hervorzustreichen: Der 15. Oktober ist auch eine Entscheidung darüber, welchen Beitrag Österreich in den nächsten Jahren innerhalb der Europäischen Union zu Frieden und Freiheit auf diesem Kontinent leisten wird. Die großen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts, wie Klimaerwärmung, Digitalisierung und Migration, verlangen nach europäischen Lösungen.

Um diese zu erreichen, braucht Österreich eine mutige, visionäre Regierungsmannschaft und keine Brandstifter. Wir Wählerinnen und Wähler haben es in der Hand, darüber zu entscheiden. (Philippe Narval, 10.10.2017)