Ein Putzerfisch bei Reinigungsarbeiten im Maul einer Muräne. Von der Schleimschicht des großen Raubfisches zu kosten ist in dem Fall wohl zu riskant.

Foto: Silke Baron

Grünau/Wien – Es klingt wie die Charakterisierung erfolgreicher Unternehmer: "Sie gehen auf die Bedürfnisse ihrer Klienten individuell ein, sind talentierte Selbstvermarkter, lösen Konflikte kreativ und behalten ihren Vorteil im Blick." Redouan Bshary von der Universität Neuenburg beschreibt damit aber keine findigen Geschäftsleute, sondern kleine Putzerlippfische, die im Indopazifik eine sehr spezielle Ernährungsstrategie entwickelt haben.

Sie unterhalten "Putzstationen" für andere Fische: Diese schwimmen zu den Putzerlippfischen, um sich Parasiten von den Schuppen fressen zu lassen. Zu den Kunden zählen unterschiedlichste Arten, darunter auch Raubfische, die ausnahmsweise friedlich bleiben und warten, bis sie an der Reihe sind. Sie lassen die Putzer sogar in ihr Maul schwimmen, um auch dort gesäubert zu werden.

Betrügende Fische

"Insgesamt sind diese Interaktionen mutualistisch, beide Seiten profitieren davon", sagte Bshary beim Biologicum Almtal in Grünau, das vergangene Woche zum vierten Mal stattfand und unter dem Titel "Miteinander – Gegeneinander. Das Prinzip Kooperation" stand. So kooperativ wie gegenüber Raubfischen sind die Putzer freilich nicht immer.

Sie bevorzugen als Nahrung nämlich eigentlich nicht Parasiten wie Krebstierchen oder Plattwürmer, die ihre Kunden loswerden wollen, sondern die schützende Schleimschicht, die die Fischschuppen überzieht. Knabbern sie aber zu viel davon weg, wehren sich die betrogenen Fische – und kommen nicht wieder.

Aus diesem Interessenkonflikt entwickelte sich ein erstaunlich komplexes Verhaltenssystem, so Bshary, der seit Jahren zum Thema forscht. Um möglichst viel für sich herauszuschlagen, wägen die Putzerfische ihre jeweilige Strategie ab: Unbekannte Fische werden besser behandelt als Stammkunden, von denen klar ist, dass sie ihr Revier nicht verlassen können. Sehen gerade viele potenzielle Kunden zu, verhalten sich die Putzer ebenfalls höchst kooperativ.

Wann immer es günstig scheint, probieren sie aber aus, wie weit sie bei ihren Kunden gehen können. Wehrt sich ein Fisch vehement gegen den Schleimfraß, wird er bei der nächsten Interaktion besonders gut behandelt. Wer sich hingegen viel gefallen lässt, wird noch heftiger angenagt.

Evolutionäre Voreinstellung

Dass Konkurrenz und Kooperation nicht nur bei Putzerfischen dynamisch miteinander verflochten sind, brachte Kurt Kotrschal, Professor für Verhaltensbiologie an der Uni Wien und wissenschaftlicher Leiter des Biologicums, in seinem Vortrag auf den Punkt: "Wenn man nett kooperiert, verschafft man sich auch Konkurrenzvorteile. Aus evolutionärer Sicht ist klar: Überall dort, wo man durch Kooperation Vorteile gewinnen kann, wird Kooperation selektioniert werden."

Auch wenn Konkurrenz stammesgeschichtlich den Anfang gemacht habe, sei Kooperation keineswegs von Kognition abhängig: Schon die Entstehung von Vielzellern sei als frühe Form der Kooperation zu bewerten. Auch die komplexe Organisation staatenbildender Insekten gehe vorwiegend auf Instinktsysteme zurück. "Wenn wir Menschen aber von Kooperation reden, meinen wir meist kognitiv beeinflusste Formen. Dabei überschätzen wir gern den Anteil der Rationalität", sagte Kotrschal, der auch Mitbegründer des Wolfsforschungszentrums (WSC) in Ernstbrunn und Leiter der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle Grünau ist.

Menschliches Handeln beruhe stark auf evolutionären Voreinstellungen. Dies im Auge zu behalten sei eine der Hauptmotivationen für das Biologicum, so der Forscher. Das habe nichts mit biologischem Determinismus zu tun: "Wenn wir nicht begreifen, was unsere menschlichen Universalien sind, werden wir auch nicht damit umgehen können."

Soziale Intelligenz

Dass es der Mensch in Sachen kognitiver Kooperation zur Meisterschaft bringen konnte, ist mit der Evolution der Hirnfunktion verbunden. Die Zusammenarbeit bei der Brutpflege gilt als einer der wichtigsten evolutionären Selektionsfaktoren für die Entwicklung eines großen Gehirns. Während auch Wölfe oder Raben soziale Intelligenz besitzen und zusammenarbeiten, beschränkt sich ihre Kooperation auf die eigene Gruppe – gegenüber anderen Artgenossen herrscht pure Konkurrenz. Das treffe zwar leider oft auch auf den Menschen zu, doch immerhin nicht ausnahmslos, so Kotrschal.

Eine andere menschliche Besonderheit ist die institutionalisierte Kooperation: die vertragliche oder gesetzliche Verpflichtung zur Zusammenarbeit. Auf diesen Aspekt ging der Ökonom Friedrich Schneider (Universität Linz) in seinem Vortrag über Schwarzarbeit ein: Während der "Pfusch" zwar Betrug darstelle und gesellschaftliche Konkurrenz bedeute, sei er gleichzeitig eine Form der Kooperation, von der vor allem die unteren Einkommensschichten profitieren würden. (David Rennert, 11.10.2017)