Iustitia behandelt Madoff-Anleger unterschiedlich.

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Wien – Die Anlegercausa Madoff beschäftigt nicht nur den Obersten Gerichtshof (OGH), sondern auch die Staatsanwaltschaft Wien. Selbige führt seit 2009 Ermittlungen rund um die frühere Wiener Bank Medici und deren Ex-Miteignerin Bank Austria (BA). Die Bank verwaltete Fonds, über die Geld an den New Yorker Finanzbetrüger Bernard Madoff floss. Laut Nationalbank verloren die Anleger 350 Millionen Euro. Die Beschuldigten, für die die Unschuldsvermutung gilt, berufen sich darauf, selbst Opfer von Madoffs Schneeballsystem gewesen zu sein. Er wurde 2009 zu 150 Jahren Haft verurteilt.

In diesem Sommer hat die Staatsanwaltschaft Wien einen Teil des Verfahrens eingestellt. Der Verdacht, zehn Beschuldigte (darunter BA und deren früherer Chef Gerhard Randa) hätten gegen das Investmentfondsgesetz verstoßen, hat sich nicht erhärtet, heißt es in der Einstellungsbegründung, die dem STANDARD vorliegt. Kurz gesagt prüfte die Justiz, ob in den Fondsprospekten unrichtige beziehungsweise unvollständige Angaben gemacht wurden (Paragraf 44 Investmentfondsgesetz).

Hebel dabei ist laut Staatsanwaltschaft, dass das Vermögen von Primeo- und Herald-Fonds "faktisch" beim Fondsmanager (Madoff-Gesellschaften) selbst verwahrt wurde "und nicht bei der im Prospekt ausgewiesenen Depotbank". Madoff habe also "faktische Verfügungsmacht über das Vermögen der Anleger gehabt, Verwahrung und Verwaltung fielen somit zusammen, was der BA ... spätestens seit April 2003 bekannt war". Die relevanten Fragen: War dieses Zusammenfallen von Verwahrung und Verwaltung grundsätzlich erlaubt? War es erheblich? Wurde im Prospekt ausreichend darauf hingewiesen?

Zugriff auf Vermögen "zulässig"

Die Staatsanwaltschaft kam – unter Hinweis auf divergierende OGH-Entscheidungen – zu dem Schluss, es könne die Ansicht vertreten werden, dass der direkte Zugriff des Managers aufs Fondsvermögen "zum Tatzeitpunkt zulässig war". Im Prospekt müssten auf diese "erheblichen Tatsachen" allerdings hingewiesen werden. Das sei bei zwei Primeo-Fonds und beim Herald-Fonds nicht der Fall gewesen.

Aber: Die Beschuldigten hätten bei alledem keinen Täuschungsvorsatz gehabt – womit der Straftatbestand eben nicht erfüllt ist. Die einen seien nicht in die Prospektgestaltung involviert gewesen, die anderen hätten nicht erkannt, dass die Vermögensverwahrung durch den Fondsmanager "erheblich" und auch "nachteilig" ist – so ihnen das überhaupt bekannt gewesen sei. Einer der beschuldigten Banker mit führender Rolle bei den Primeo-Fonds habe zwar gewusst, dass das Fondsvermögen direkt vom Manager verwahrt wurde, die Relevanz dieser Information sei ihm aber nicht bewusst geworden. Er habe nur fahrlässig gehandelt, auch sein Verfahren werde eingestellt.

Kein Vorsatz

Und wie kam die Bank Austria, die laut Staatsanwaltschaft "Repräsentantin, Zahlstelle und Prospektkontrollin" war, in diesen Punkten aus der Beschuldigtenrolle? Den involvierten Mitarbeitern und Entscheidungsträgern sei kein vorsätzliches Handeln nachweisbar – zudem hätten alle Beschuldigten dargelegt, "stet nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt zu haben". Sie seien davon ausgegangen, dass die Prospekte alle notwendigen Angaben enthalten und die Ermittlungen hätten nichts Gegenteiliges ergeben, begründet die Staatsanwaltschaft die Einstellung des Verfahrens gegen die Bank. Deren Ex-Chef Randa sei bis April 2003 im Vorstand der Bank und danach bis Juni 2005 im Aufsichtsrat gewesen, "ein allenfalls strafbares Verhalten wäre jedenfalls verjährt". Zudem gab eine Zeugin laut Staatsanwaltschaft an, "dass der Aufsichtsrat nicht involviert war", weswegen sich der Verdacht gegen Randa, gegen das Investmentfondsgesetz verstoßen zu haben, nicht erhärtet habe.

Ganz eingestellt ist die Causa Madoff aber noch nicht. Ermittlungen wegen Verdachts auf Betrug und Untreue (unter anderem gegen die Bank) laufen nach wie vor, bestätigt die Sprecherin der Behörde auf Anfrage. Auch da gilt die Unschuldsvermutung.

Für die Anleger, die Geld bei Madoff versenkt haben, bleibt es spannend. Der OGH hat jüngst, wie berichtet, das Urteil gegen eine Anlegerin bestätigt, die sich nicht ausreichend aufgeklärt gefühlt hat. Ihr Sohn, der beim selben Berater war und ident investiert hat, hatte dagegen (durch einen anderen Senat) recht bekommen. Der OGH erklärt die divergenten Entscheidungen damit, dass beide Urteile der Berufungsgerichte rechtlich vertretbar seien. Erst wenn ein nächster, identer, Fall beim OGH landet und der zuständige Senat dem klagenden Anleger recht geben will, könnte das zu einer einheitlichen Rechtsprechung führen. Dann nämlich entscheidet ein "verstärkter Senat" mit elf Richtern – und dessen Urteil ist dann verbindlich für alle anderen.

Irgendwann wird das geschehen: Auch die Tochter jener Anlegerin, die jüngst verloren hat, hat Klage eingebracht. (Renate Graber, 11.10.2017)