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Die Besteuerung von maschineller Arbeit wird zunehmend zum Thema.

Foto: dpa/APA/Ralf Hirschberger

STANDARD: Erdöl war jahrzehntelang das Schmiermittel der Weltwirtschaft. Was wird in den nächsten Jahren die Welt vorantreiben?

Thomsen: Erdöl ist ein fossiler Brennstoff, mit dem sich gut Wärme erzeugen lässt, der aber andere Nachteile hat. Oft brauchen wir die Energie für ganz etwas anderes. Eines der Probleme mit Erdöl ist, dass wir immer erst über den Umweg einer Verbrennung die neue Energieform erzeugen müssen. Beim Verbrennungsmotor haben wir einen Wirkungsgrad von vielleicht 30 Prozent.

STANDARD: Und das ist schon geschmeichelt.

Thomsen: Wir verschwenden zumindest 70 Prozent der Energie, die auch noch klimaschädlich ist. Stellen Sie sich vor, sie haben eine Flasche Wein gekauft und schütten 70 Prozent in den Ausguss, bevor sie anfangen, das zu trinken. Jeder würde sagen, so ein Blödsinn. Mit jedem Liter Erdöl, den wir in den Tank schütten, machen wir im Prinzip aber genau das.

STANDARD: Weil wir es bisher nicht besser wussten oder warum?

Thomsen: Weil Erdöl günstig war und weil wir keinen richtigen Speicher für elektrische Energie hatten. Wir konnten Strom zwar ganz gut in Großkraftwerken erzeugen, aber immer nur genau so viel, wie gerade gebraucht wurde. Die Akkutechnologie war nicht gut genug. Jetzt aber ändern sich mehrere Parameter. Der Akku beispielsweise wird alle drei Jahre um 50 Prozent billiger.

STANDARD: Seit wann?

Thomsen: Seit etwa zehn Jahren. Wir kommen bald an den Punkt, wo es günstiger ist, einen Akku zu nehmen und Strom zu verwenden, um etwas anzutreiben, als herkömmliche Kraftstoffe zu tanken. Und da sind die Umweltkosten noch gar nicht berücksichtigt.

STANDARD: Noch immer aber kommt sehr viel Strom aus thermischen Kraftwerken.

Thomsen: Weil es bis vor kurzem günstiger war, ein großes, meist Kohle-, Gas- oder Kernkraftwerk irgendwohin zu bauen, wo viele Verbraucher sind. Jetzt sind wir an einem Kipppunkt angelangt, an dem die Kilowattstunde Strom aus dezentraler Erzeugung, beispielsweise über Solarzellen am Firmendach und alle Abgaben und Steuern herausgerechnet, konkurrenzfähig ist. Weil aber die Sonne nicht immer scheint und der Wind nicht immer weht, braucht es Speicher und starke Netze, um das abzupuffern.

STANDARD: Ist in der Speichertechnologie ein Durchbruch zu erwarten in den nächsten Jahren?

Thomsen: Sicher, es gibt jede Menge Möglichkeiten, die zum Teil gar nicht neu sind. Schon vor hundert Jahren haben Menschen beispielsweise Eisblöcke aus Seen gesägt, um im Sommer die Keller zu kühlen. Es gibt große Chancen der saisonalen Speicherung von Energie über thermische Speicher. Und das ist inklusive der nötigen Isolation auch nicht teuer.

STANDARD: Und diese Speicher können nah bei den Verbrauchern gebaut werden?

Thomsen: Durchaus. Man denke nur an die Abwassersysteme, die eine natürliche Gärwärme haben. Diese kann über Wärmetauscher genutzt werden und vieles mehr. Das Potenzial, das uns erneuerbare Energien und moderne Energieumwandlungssysteme bieten, ist bei weitem nicht ausgeschöpft. Und auch in der Batterieforschung tut sich sehr viel.

STANDARD: Die Digitalisierung schreitet mit Riesenschritten voran. Nicht nur in der E-Wirtschaft übernehmen Computer und Roboter immer mehr Routineaufgaben.

Thomsen: Und die Systeme lernen dazu, die künstliche Intelligenz macht gewaltige Fortschritte. 2027 werden wir zurückblicken und sagen, ist das wahr, dass wir 2017 noch selbst einen Parkplatz gesucht und uns mit anderen anstrengenden Dingen herumgeschlagen haben. Als vor zehn Jahren Steve Jobs das erste iPhone präsentiert hat, wurde er gefragt, mit wie viel Marktanteil er rechne. Der Apple-Chef nannte ein Prozent des gesamten Smartphone-Marktes, der damals nicht groß war und von Blackberry und dem Communicator von Nokia dominiert wurde, als Ziel. Im Abstand der Jahre und im Wissen, was seither passiert ist, scheint das fast unglaublich.

STANDARD: Wenn immer mehr Jobs von Robotern übernommen werden, wie sollen Menschen, die bisher diese Arbeit gemacht haben, ihr Leben finanzieren?

Thomsen: Wir werden irgendwann darüber nachdenken müssen, auch maschinelle Arbeit, also das, was Computer an Arbeit erbringen, zu besteuern. Genauso wie wir Menschen besteuern, indem wir sagen, ihr arbeitet, ihr bekommt Geld, also müsst ihr einen Teil dieses Geldes an die Gemeinschaft zurückgeben, damit wir Straßen bauen, Polizisten bezahlen und anderes finanzieren können. Wenn 50 Prozent der wertschöpfenden Tätigkeiten in Österreich künftig durch Algorithmen oder Roboter gemacht werden, die kein Geld bekommen, wo letztendlich nur derjenige, der die einsetzt, einen höheren Gewinn macht, haben wir eine Spaltung der Gesellschaft.

STANDARD: Eine digitale Dividende?

Thomsen: Etwas in der Art. Es müsste zumindest europäisch sein. Denn wenn Österreich allein vorangeht und sagt, wir führen eine digitale Dividende ein, also eine Maschinensteuer, dann würden sich alle Investitionen sofort anders orientieren und an Österreich vorbeigehen.

STANDARD: Das Problem drängt?

Thomsen: Es drängt sehr. Ich bin glücklich, dass die Europäische Union, politische Instanzen, aber auch immer mehr Vordenker wie Tesla-Chef Elon Musk, der Astrophysiker Stephen Hawking, Sergey Brin von Google und andere sagen, wir kommen nicht umhin, die Wertschöpfung einer Volkswirtschaft künftig anders zu bemessen und auch die Verteilung – Stichwort Grundeinkommen, wie auch immer das ausgeformt wird – zu überdenken. (Günther Strobl, 11.10.2017)

Lars Thomsen (49) gehört zu den weltweit führenden Zukunftsforschern. Viele internationale Konzerne vertrauen seiner Expertise. Der gebürtige Hamburger, der seit 2016 Schweizer Staatsbürger ist, hat den Thinktank Future Matters gegründet. Der verheiratete Vater einer Tochter lebt nahe Zürich. Er war auf Einladung der Energie Steiermark in Graz.
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