Den interessanten Kommentar der anderen von Ayad Al-Ani ("Abschottung und Stammesbildung", der STANDARD, Samstag, 7. Oktober 2017) möchte ich aus politikwissenschaftlicher Perspektive noch zuspitzen: Politische Gestaltungsmacht droht zugleich nach unten wie nach oben zu diffundieren und damit insgesamt zu schwinden.

Flüchtiges Kapital ...

"Nach oben", weil Kapital durch globalisierte Finanzmärkte in Ermangelung einer Weltregierung de facto weitgehend unregier- und unbesteuerbar ist. Das verkleinert die politische Wirkungskraft nicht nur der Staaten, sondern auch der Europäischen Union, deren Handlungsmöglichkeiten nicht in vergleichbarem Ausmaß gestärkt wurden.

Zugleich ist ein Trend zur Ethno- und Kleinstaatlichkeit zu bemerken: Katalanen, Schotten, Flamen, Norditaliener etc. diskutieren die Lossagung von ihren Staaten. Solche Entwicklungen sind auch deshalb im Trend, weil noch immer vor allem national und regional gewählt und daher kampagnisiert wird.

... imaginierte Gemeinschaft ...

Politiker dieser Ebene können angesichts der entgrenzten (Finanz-)Wirtschaft nicht glaubwürdig vermitteln, im Alleingang die großen Probleme der Zeit zu lösen. Daher liegt es nahe, mit einem "Wir gegen die anderen" Emotionen zu wecken und immer engere (imaginierte?) Gemeinschaften heraufzubeschwören.

Heikel ist daran auch, dass tatsächliche politische Problemlösungen durch diesen neuen "Ethnozentrismus" weiter behindert werden. Denn noch kleinere Einheiten sind zwar erfreulich für die dann dort regierenden "Häuptlinge", aber de facto politisch noch handlungsunfähiger. Und die Europäische Union als momentan einzige realistische Ebene für Ansätze von Gegenmacht zu den globalisierten Kräften der (Finanz-) Ökonomie würde weiter geschwächt, wenn sie sich laufend mit Aus- und Eintritten durch sezessionistische Teilstaaten befassen müsste. Sie würde auch noch blockadeanfälliger, da für viele richtungweisende Entscheidungen noch immer Einstimmigkeit erforderlich ist.

... und Ethnozentrismus

"Ethnozentrismus" gefährdet daher in der Praxis die politische Problemlösung: Nur eine starke Europäische Union plus verstärkte multilaterale Zusammenarbeit auf globaler Ebene (z. B. bei den Vereinten Nationen) könnten politische Handlungsmacht in demokratisch verfasster Form bieten, wenn die Wirtschaftsgrenzen weiterhin offen bleiben sollen. (Gerda Falkner, 11.10.2017)