Kurz und Strache diskutierten über "christliche Leitkultur" auf Puls 4.

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Religionspolitischer Tiefpunkt des Wahlkampfs war die Diskussion über die "christliche Leitkultur" auf Puls 4. Während FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache sich klar für eine christliche Leitkultur aussprach und auch Sebastian Kurz die Frage etwas zögerlicher bejahte, neigten alle anderen Spitzenkandidaten zu "Religion ist Privatsache". Keine dieser Positionen stärkt ein gutes Miteinander in einer pluralen Gesellschaft.

Eine christliche Leitkultur übergeht sowohl die Menschen ohne Religionsbekenntnis als auch Gläubige anderer Religionen, wie zum Beispiel 700.000 Muslime in Österreich. Kurz betonte die "christlich-jüdische" Prägung unserer Kultur, und die Betonung des Jüdischen angesichts des lange vorherrschenden Antisemitismus in Österreich mag auf den ersten Blick überzeugen. Doch ob das gefährliche "Wir gegen die anderen" überwunden ist, erweist sich heute am Verhältnis zu den Muslimen. Und dazu fand der Außenminister kein positives Wort. In parteiübergreifender Übereinstimmung wurden nur die Gefahren des politischen Islam beschworen.

So falsch die Betonung von Leitkultur angesichts einer pluralen Gesellschaft ist, so überholt ist aber auch die These, dass Religion Privatsache sei. Allein schon diese religionspolitische Diskussion widerlegt sie. Religiöse Menschen werden sich immer auch aus ihrem Glauben heraus politisch engagieren. Ein unverdächtiger Zeuge dafür ist der "kleine" Otto Bauer, der 1926 den "Bund Religiöser Sozialisten" in Österreich begründete und dem Klerikalismus des politischen Katholizismus genauso entschieden entgegentrat wie einer von Freidenkern forcierten Privatisierung des Glaubens. Für den Bund war Religion "nicht Neben-, sondern Hauptsache".

Grundrecht Religionsfreiheit

Jedes politische Engagement aus dem Glauben heraus muss allerdings das Grundrecht auf Religionsfreiheit beachten. Staatliche Zwangsmittel dürfen nicht für religiöse Zwecke eingesetzt werden. Natürlich gibt es Beispiele in islamischen Ländern, in denen dieses Grundrecht mit Füßen getreten wird. Auch in Österreich stimmen nicht alle Muslime diesem Grundrecht vorbehaltlos zu. Doch rechtfertigt das die aktuelle Jagd auf den politischen Islam?

Parteiübergreifend findet ein Wettbewerb um die schärfste Distanzierung statt. Die FPÖ hetzt seit Jahren, der Integrationsminister wechselte inzwischen auch auf eine islamkritische Position. Mit fast monatlich präsentierten wissenschaftlichen (?) Studien werden Kindergärten, Moscheevereine und verschiedenste Verbände unter Pauschalverdacht gestellt. Vertreter anderer Parteien (Peter Pilz, Josef Cap) schwimmen in diesem Strom mit oder wagen es nicht (SPÖ, Grüne), dieser Stimmungsmache entschieden entgegenzutreten.

Respekt auf Augenhöhe?

Konkrete Probleme müssen angegangen werden. Der vorherrschende Pauschalverdacht gegen Muslime verschlimmert nur die Lage. Als die katholische Kirche im 19. Jahrhundert von antireligiösen Kreisen angegriffen wurde, verstärkte sie ihre Ablehnung der Moderne. Wer Offenheit will, muss diese zuerst selbst glaubwürdig vorleben.

Es wäre hoch an der Zeit, dass das Integrationsministerium auch die Offenheit gegenüber Muslimen in Österreich allgemein untersucht. Fehlender Respekt auf Augenhöhe lässt sich fast überall entdecken.

Beginnen wir bei Heinz Faßmann, dem Vorsitzenden des "Expertenrats für Integration" im Ministerium von Kurz, der forderte, "dass ein muslimischer Lagerarbeiter eine Bierkiste einräumt, ohne in Gewissensnöte zu geraten". Das ist bedenklich von oben herab. In meiner eigenen 7.000-Einwohner-Gemeinde Jenbach leben mehr als 1.000 Muslime. Als "Guten Morgen Österreich" im Mai auf Besuch war, kamen sie in den drei Stunden nicht vor. Und die erste Gemeindepartnerschaft mit einer ausländischen Gemeinde wurde im Juni am letzten Tag des Ramadan gefeiert. Ein Miteinander schaut anders aus. (Wolfgang Palaver, 13.10.2017)