In Europa leben rund 400 autochthone Minderheiten, mit mehr als 100 Millionen Angehörigen, alleine in der Europäischen Union gibt es neben den 24 Amtssprachen über 60 Regional- und Minderheitensprachen, die von rund 40 Millionen Personen gesprochen werden. Während die Kopenhagener Kriterien die Achtung und den Schutz von Minderheiten voraussetzen, um einen EU-Beitritt zu ermöglichen, gibt es auf EU-Ebene aber keinerlei Gesetze, die einen einheitlichen Rahmen des Minderheitenschutzes vorgeben. Auch die Europäische Kommission sieht bislang keine Verantwortung in der Behandlung von Minderheiten-relevanten Themen und die Rechte autochthoner Minderheiten werden vielmehr als nationales Thema betrachtet – ein Problem vor allem für "non-kinstate minorities", also Minderheiten ohne zugehörigen Nationalstaat wie Roma, Sinti oder Nordfriesen. 

Deshalb wurde von der Föderalistischen Union Europäischer Volksgruppen (FUEN) die Europäische Bürgerinitiative "Minority Safepack Initiative" (MSPI) gestartet. Diese fordert, dass auf EU-Ebene eine Reihe von Rechtsakten verabschiedet werden, die den Schutz für Angehörige nationaler und sprachlicher Minderheiten gewährleisten sowie die kulturelle und sprachliche Vielfalt in der Union stärken sollen. Der Fokus soll besonders auf die bereits erwähnten Minderheiten ohne Mutterstaat gelegt werden.

In den Kopenhagener Kriterien ist der Schutz der Minderheiten festgelegt.
Foto: APA/AFP/TOBIAS SCHWARZ

Ein "Schutzpaket" soll Hilfe schaffen

Unterstützt wird die FUEN dabei von einem Bürgerkomitee, in dem neben dem Repräsentanten für Bosnien und Herzegowina, Valentin Inzko, auch der ehemalige Südtiroler Landeshauptman Luis Durnwalder und der amtierende Präsident des Europäischen Ausschusses der Regionen und Mitglied der Deutschen Gemeinschaft in Belgien, Karl-Heinz Lambretz, vertreten sind. Auch die Jugend Europäischer Volksgruppe (JEV), in der der Klub slowenischer Studierenden in Wien aktiv ist, ist Teil der Kampagne.

Ziel der Initiative ist es, dass der Schutz autochthoner Minderheiten keine innere Angelegenheit der Mitgliedsstaaten bleibt, sondern dass ein verbindliches europäisches Regelwerk entsteht. Für das MSPI wurden neun Forderungen in den Bereichen Regional- und Minderheitensprachen, Bildung und Kultur, Regionalpolitik, (Jugend-) Partizipation, Gleichheit, audiovisuelle Mediendienste und andere mediale Inhalte sowie staatliche Förderung, gestellt.

Eine der Forderungen ist eine Verbesserung der Anti-Diskriminierungsmaßnahmen besonders im Bezug auf Staatenlose. Eine große Anzahl dieser staatenlosen Menschen sind Roma. Ihnen wird der Zugang zu Bildung, Gesundheitswesen und Sozialhilfe verweigert sowie das Recht zu wählen genommen. Daher fordert die MSPI eine Erweiterung der staatsbürgerschaftsverwandten Rechte auch für staatenlose Personen und ihrer Familien, die Zeit ihres Lebens in ihrem Herkunftsland gewohnt haben. 

Alle Mitgliedsländer der EU haben ein Recht auf eine Vertretung in verschiedenen Institutionen, wie zum Beispiel im Parlament, EuGH, Komission, und so weiter. Für nationale Minderheiten in Europa ist die Situation eine andere. Aufgrund ihrer geringen Größe sind die meisten nicht vertreten, wodurch die Gefahr besteht, dass die berechtigten Anliegen nicht ausreichend gehört werden. Deswegen ist in den Forderungen eine Minderheitenplattform – in Form eines beratenden Gremiums – angedacht. Somit kann der Dialog zwischen den Volksgruppen und den verschiedenen EU-Institutionen gesichert werden. In vielen Mitgliedsstaaten dient eine solche Plattform als gut funktionierendes Instrument, um einen offenen, transparenten und stetigen Dialog zwischen Institutionen und nationalen Minderheiten zu gewährleisten.

Der EuGH als "Advokat" von Minderheitenrechten

Die Initiative, für die seit April 2017 Unterschriften gesammelt werden, wurde bereits vor mehr als vier Jahren eingereicht. Doch für die Europäische Kommission fiel die Initiative laut FUEN "offensichtlich außerhalb des Zuständigkeitsbereichs der Kommission" und wurde folglich abgelehnt.

Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg entschied dann aber am 3. Februar 2017, dass die Entscheidung der Kommission rechtswidrig ist, die EU-Kommission ließ schlussendlich zumindest Teile der Bürgerinitiative zu – kurz darauf folgte der offizielle Startschuss der "Minority Safepack Initiative".

FUEN

Video zur Initiative.

Eine kleine Gruppe hofft auf hohe Solidarität

Die Anfangsphase der Unterschriftenaktion läuft sehr schleppend – bisher konnten erst rund 20.000 Unterschriften gesammelt werden. Damit sich die Europäische Kommission der vorgeschlagenen Maßnahmen des "Minority Safepacks" annimmt, werden bis April 2018 eine Million Unterschriften benötigt, davon muss in mindestens sieben Ländern der EU eine Schwelle überschritten werden. Diese liegt in Österreich bei 13.500 Unterschriften. Bisher haben erst fünf Prozent die Initiative in Österreich unterschrieben. Es bedarf also dringend der Unterstützung der Mehrheitsbevölkerung Österreichs beziehungsweise der EU, denn jede Unterschrift zählt. (Jakob Stadler, 23.10.2017)

Hintergrund: Die FUEN ist die wichtigste Interessenvertretung und der größte Dachverband der autochthonen, nationalen Minderheiten in Europa. Sie vereint unter ihrem Dach über 90 Mitgliedsorganisationen in 32 europäischen Ländern, jährlich kommen neue Mitglieder hinzu. Die FUEN versteht sich als Solidargemeinschaft, vertritt die Interessen der europäischen Minderheiten auf regionaler, nationaler und insbesondere auf europäischer Ebene. 

Links

Weitere Beiträge im Blog