Claudia Sabitzer (re.) und ein Grantscherben aus Holz.

Foto: Lupi Spuma

Wien – Nun ist es keinesfalls so, dass Georg Kreisler uns Wiener nicht eindringlich vor den Folgen der Wiener Gemütlichkeit gewarnt hätte. Sein bester Vorschlag zur Ungüte war ein Liedtext, der den Titel Wien ohne Wiener trägt. Das Lied propagiert das Bild einer Stadt ganz ohne ihre Einwohner. Der Wein an den Rebstöcken wächst "ungetrunken". "Statt des Antisemitismus" gibt es – damit wenigstens die Vorsilbe erhalten bleibt – "ein Antiquariat". Eine solche Vorstellung nannte Kreisler (1922–2011), der 1955 aus der Emigration nach Wien zurückgekehrt war, "herrlich".

Im Wiener Volkstheater, wo man Kreisler mit dem Liederabend Wien ohne Wiener recht nachdrücklich huldigt, ist die zähnefletschende Herrlichkeit einem finsteren Traum gewichen. Sechs Schauspieler – zwei Damen, vier Herren – betätigen sich als Varietésänger. Statt des stimmlich indisponierten Christoph Rothenbuchner mischte sich Regisseur Nikolaus Habjan am Premierenabend als zart tremolierender Tenor unter die Kreisler-Interpreten. Chapeau!

Die anmutigste Taube, die je vergiftet worden ist

Die wahren Helden dieses schlafschweren Abends aber sind Habjans Puppen mit ihren schreckenerregenden Gesichtern. Sie haben Klappmäuler, von denen man vermutet, es könnte beim allzu abrupten Aufsperren in sie hineinregnen. Sie benötigen den Halt durch eine lebensspendende Person, während jeweils eine zweite Kopf und Mundwerk betätigt.

Das Agieren dieser künstlichen Wiener bildet das Kraftzentrum der liebenswürdigen, aber auch unglaublich harmlosen Hommage an Kreislers Ethnologie der Mordshetzer. Wenn, wie in Bidla Buh, ganze Kohorten von lebenslustigen Damen ins Gras beißen müssen, dann wird mit Gladiolen geworfen. Die (allerdings wunderbare) Claudia Sabitzer ist die anmutigste Taube, die jemals vergiftet worden ist. Stephan Suske sitzt komplett entgeistert auf der Schnecke des Souffleurkastens. Er entgleitet milde in die rätselhafte Stille von Der Witz hinüber, eine der Gipfelleistungen von Kreislers olympischer Liedkunst.

Die Musicbanda Franui spielt unter der Leitung von Andreas Schett zu den 28 Nummern wie ein "Jugendorchester Hanns Eisler": mit diversen Rufzeichen, wo sich Kreisler, der Pianist, mit virtuoser Lapidarität begnügt hat. Der Abend endet zwar standesgemäß mit einer Hommage an den Tod. Ein bisschen mehr Lebendigkeit wäre ihm aber noch viel tadelloser zu Gesicht gestanden. (Ronald Pohl, 13.10.2017)