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Stephan Weil ist seit 2013 Ministerpräsident von Niedersachsen und sitzt aufgrund des VW-Gesetzes auch als Aufsichtsrat im Volkswagen-Konzern. Als solcher habe er sich nichts vorzuwerfen, sagt er.

Foto: Reuters/Fabian Bimmer

STANDARD: Bei der Wahl sackte die SPD von 25,7 auf 20,5 Prozent ab. Hatten Sie das erwartet?

Weil: Ich hatte es befürchtet, mehrere Umfragen hatten vor der Bundestagswahl über längere Zeit ähnliche Werte gezeigt. Das Tief war leider keine Momentaufnahme.

STANDARD: Rasch verkündete die SPD dann den Gang in die Opposition, klang dabei aber eher wehleidig – nach dem Motto: Angela Merkel hat uns kaputtgemacht.

Weil: Wir müssen die Gründe sicher bei uns selbst suchen. Unser Platz ist jetzt die Opposition. Wer 20 Prozent bekommt, hat keinen Regierungsauftrag mehr. Aber die SPD hat eine Fülle von Problemen. Wir müssen uns jetzt ernsthaft mit uns selbst auseinandersetzen und fragen, welche Vorhaben für die Weiterentwicklung unserer Gesellschaft besonders wichtig sind.

STANDARD: Welche, Ihrer Meinung nach?

Weil: Wir können noch nicht zufrieden sein mit der Durchlässigkeit unseres Bildungssystems und den Aufstiegsmöglichkeiten. Ob wir in Deutschland in 20 Jahren immer noch so erfolgreich sind, entscheidet sich beim Thema Fachkräfte. Insofern muss die SPD auch dafür kämpfen, als die eigentliche Zukunftspartei angesehen zu werden.

STANDARD: Wo sehen Sie noch Defizite in Ihrer Partei?

Weil: Vom Pflegenotstand sind Millionen betroffen. Aber die SPD hat leider noch keine hinreichend überzeugende Konzeption. Wenn wir da zu wirklich gut umsetzbaren Konzepten kämen, wäre es eine Chance für die Gesellschaft und uns als Partei.

STANDARD: Die neue SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles will dem Noch-Koalitionspartner CDU künftig "in die Fresse hauen". Gehört das auch zum neuen Stil?

Weil: Das war klar erkennbar ein Scherz, und einen solchen Satz wird man von ihr auch nicht mehr hören. Aber natürlich müssen wir die Unterschiede zur CDU stärker herausarbeiten. Das ist in der Opposition einfacher als in der Rolle des Juniorpartners. In einer großen Koalition setzt sich die Bundeskanzlerin im Zweifel auf ein Thema drauf und zieht die Sahne herunter. Die Oppositionsrolle ist für die SPD auch wichtig, weil wir dann künftig kluge Alternativen zur Regierungsarbeit präsentieren können und damit die AfD keine Gelegenheit bekommt, als Oppositionsführerin aufzutreten. Das fände ich abstoßend.

STANDARD: Was erwarten Sie für Ihre Wahl in Niedersachsen?

Weil: Wir haben gute Chancen, stärkste Kraft zu werden. Anders als die Bundes-SPD hatte die SPD in Niedersachsen in den vergangenen Monaten einen stabilen Sockel von 32,5 Prozent. Das ist der Wert der Landtagswahl 2013. Wir haben es geschafft, uns dies nach der Bundestagswahl zu bewahren. Das war eine kitzelige Phase.

STANDARD: Sie sitzen im Aufsichtsrat von VW. Ist der Dieselskandal im Wahlkampf eine Last?

Weil: Es geht VW deutlich besser als vor zwei Jahren. Damals, als die Causa aufflog, habe ich mir große Sorgen gemacht, weil VW in einer bestandsgefährdenden Krise steckte. Heute ist der Konzern wieder sehr stabil unterwegs.

STANDARD: Hat das Management verstanden, wie existenzgefährdend sein Verhalten war?

Weil: Dem Vorstand ist das sehr klar. Matthias Müller (VW-Chef) treibt den Kulturwandel voran, sagt aber selbst, dass erst 30 Prozent des Weges geschafft seien. In den nächsten Jahren wird es darauf ankommen sicherzustellen, dass VW sich nie wieder in die Illegalität begeben wird und mehr Wert auf Bescheidenheit legt.

STANDARD: Hardware in Dieselautos will Müller nicht nachrüsten.

Weil: Ich bin offen, möchte alle Möglichkeiten ausloten und nichts unversucht lassen. Aber in vielen Fahrzeugen brauchen die vorhandenen Motoren den gesamten Platz, da kann man nicht einfach ein zusätzliches Modul wie einen Harnstofftank einbauen.

STANDARD: Haben Sie sich als Aufsichtsrat des VW-Konzerns je Vorwürfe gemacht?

Weil: Nein. Als ich 2013 in den Aufsichtsrat kam, hatte sich dieses selbstverschuldete Krebsgeschwür schon durch den Konzern gefressen, und es gab dafür keine erkennbaren Anzeichen. Als 2015 alles bekannt wurde, waren Wirtschaftsminister Olaf Lies und ich Vorreiter bei der Aufklärung. Ich hoffe, dass man in zehn Jahren sagen kann, dass Dieselgate teures und bitteres Lehrgeld für VW war, aber auch ein Weckruf zur richtigen Zeit. (Birgit Baumann, 13.10.2017)