Wähl, wen du willst! Aber wähl keine Leute, die dich und mich und die Demokratie verachten.

Foto: APA/ROLAND SCHLAGER

Wir alten Tschuschen sind stets das zuverlässige Wählerreservoir der ausdrücklichen Nicht-Nazi-Parteien. Doch nun staunen wir darüber, dass es Tschuschen gibt, die Nazis nicht so schlimm finden.

Warum ich gerne Tschusch bin

Es geschieht nur selten, dass eine beschimpfte Gruppe das ihr aufgenähte Schimpfwort wieder an sich reißt und es stolz als Qualitätsmerkmal nennt.

Ich gehöre einer Gattung Tschuschen an, die langsam ausstirbt. Ich bin ein "O. T." – ein "Original Tschusch", gezeugt und geboren in der alten Heimat und in die Fremde gebracht, als ich alt genug war, das als Tragödie zu empfinden. Doch heute bin ich froh, in einem Land zu leben, in dem ich mich stolz selbst beschimpfen kann, noch dazu mit einem Wort, das eh aus meiner Muttersprache kommt. Und ich verzeihe den Sozialdemokraten, dass sie mit ihren gut gemeinten Kolarić-Plakaten das Wort Tschusch so richtig populär gemacht haben. Wie geil ist das?!

Nazis sind pfui! Oder?

Uns sagte man damals in der alten Heimat, Nazis seien sogar oberpfui – und auch in der neuen Heimat Österreich finden wir, Anfang der 70er-Jahre dazugekommene Tschuschen, uns in einem antifaschistischen Konsens wieder: Sozialdemokrat Bruno Kreisky, ein Jude, regiert unsere neue Heimat, die Abtreibung wird gegen den Widerstand von Kirche und Christdemokratie soeben legalisiert, Frauen brauchen schon seit einer Weile keine Erlaubnis des Ehemannes, wenn sie eine Arbeit annehmen wollen, das Schulbuch wird kostenlos – und ja: Nazis bleiben pfui!

Wir Tschuschen sind immer ein zuverlässiges Wählerreservoir der Sozialdemokraten und verzeihen ihnen stets alle Irritationen. Zum Beispiel die Irritation der schäbigen Wiesenthal-Affäre, die Kumpanei mit dem SSler Friedrich Peter, das Decken des Nazi-Mordarztes vom Spiegelgrund, Dr. Gross, den Handschlag des Innenministers Otto Rösch mit dem Mörder Carlos, "dem Schakal", die "verirrten" Noricum-Haubitzen und Botschafter Herbert Amrys mysteriöses Ableben, die mörderische Versenkung der Lucona durch den Schweinehirten Udo Proksch, das Ausbremsen der Rückgabe von Nazi-Raubkunst an ihre jüdischen Besitzer, AKH, AKW – und so manches andere.

Und nun – so könnte man als Zyniker feststellen – stört halt die Restbräune in der politischen Landschaft sehr viele unserer Tschuschenkinder und schon ein manches Tschuschenenkerl nicht. Der Zyniker kann nun sagen: Warum auch? Wenn die alten Tschuschen die Kumpanei der Sozialdemokraten mit Altnazis, Terroristen, Kriminellen und Völkermördern so lange nicht kratzt, warum soll ihre Nachkommen die Restbräune bei anderen Parteien jucken? Ich sag's euch: wegen Franz Vranitzky.

Die armen Überfallenen

Am 8. Juli 1991 hält der SPÖ-Bundeskanzler Franz Vranitzky vor dem Nationalrat eine historische Rede. Sie beginnt mit den Worten: "Es gibt eine Mitverantwortung für das Leid, das zwar nicht Österreich als Staat, wohl aber Bürger dieses Landes über andere Menschen und Völker gebracht haben."

Damit sagt Vranitzky endlich eine Wahrheit, die nicht einmal Sonnenkönig Bruno über die Lippen gebracht hat. Mehr noch: Kein einziger österreichischer Politiker vor ihm traut sich mit dem pseudohistorischen Schmäh von den armen, überfallenen Österreichern, die höchstens kleine Nazimitläufer gewesen seien, aufzuräumen. Die Sozialdemokratie Österreichs ist die einzige politische Kraft außer der KPÖ, die trotz aller Fehlleistungen, Skandale und Mittäterschaften authentisch antifaschistisch ist.

Warum Nazis pfui sind

Es ist Zeit, in Erinnerung zu rufen, was die Nazis unsympathisch macht und warum kein einziger wahlberechtigter Tschusch seine Wahlstimme an rechts vergeuden sollte.

Wie wir alle (und nicht nur die Tschuschen) wissen, teilen die Nazis die Welt in Nazis und Nichtnazis ein. Dabei sind die Nazis edle Auserkorene, Träger der Wahrheit, gesund an Geist und Körper, moralisch einwandfrei und allein geeignet, der Welt Stabilität, Frieden und Fortschritt zu bringen. Die Nichtnazis hingegen sind Untermenschen. Es sind Schädlinge, Parasiten und Fremdkörper, lediglich dazu geeignet, als Unterworfene demütig den Herrenmenschen als Sklaven zu dienen. Für die Nazis sind wir Tschuschen diese Parasiten und Arbeitssklaven. Wen schon das nicht zum Nachdenken bringt, der hat kein Hirn.

Die Nazis sind totale und kompromisslose Antisemiten, die Juden am liebsten ausrotten wollen, überall und ein für alle Mal. Das ist für die Nazis ein Dienst an der Welt, der sie besser machen soll, weil sich ja einst zwölf Juden auf einem Friedhof versammelt und beschlossen haben, die Welt aus dem Schatten heraus zu regieren und auszulaugen. Ein Nazi sagte mir mal in einem Interview, dass die Zeit kommen soll, in der sich die Juden hinter Bäumen und Felsen verstecken werden, aber die Bäume und Felsen werden rufen: "O Nazi! Hinter mir ist ein Jude, komm und töte ihn!" Dann singt er mir das berühmte und heitere Naziliedchen mit der Textzeile: "Wenn Judenblut vom Messer spritzt, geht's noch mal so gut!" Wem das nicht stinkt, der hat keine Nase!

Die Nazis wollen die Meinungsfreiheit abschaffen. Das setzen sie zwischen 1938 und 1945 mit Waffengewalt in ganz Europa durch. Keine Zeitung, kein Autor, kein anderer Künstler wagt Kritik an den Nazis oder gar – die Vorsehung sei davor – auch nur eine Karikatur von Adolf Hitler zu zeichnen. Es gibt damals zwar kein ausdrückliches Gesetz der Nazis dagegen, aber jeder Europäer weiß, was passiert, wenn er auch nur Hitlers Bärtchen zur Karikatur macht. Diesen Zustand wollen die modernen Nazis wiederherstellen. Wen das nicht schmerzt, der ist unter Narkose.

Die Nazis sagen, die Frau habe eine klar definierte Rolle. Nicht mit dem Manne, sondern neben ihm. Sie ist die Gebärerin und hat daher sexuell immer zur Verfügung zu sein. Diese Schnapsidee verwirklichen sie sogar in einer Fickanstalt, die sie Lebensborn nennen. Dort besamen qualitativ hochwertige SS-Helden so viele blonde, erbgesunde, arische Schlampen, wie ihre bleichen Lenden es nur schaffen. Sie finden sogar eine verschwurbelte Begründung, warum diese staatliche Orgie total moralisch einwandfrei ist. Der Oberscherge Heinrich Himmler überlegte sogar die Einführung der Polygamie für auserwählte, besonders heldenhafte Nazis. Der Mann hat ja ein Soldat im heiligen Krieg gegen alle Feinde des Nationalsozialismus und seiner Ideale zu sein. Und zwar bis Walhalla zusammenbricht oder bis sich jedes Knie vor den Nazis beugt. Wer das nicht zum Kotzen findet, der ist Weltmeister im Weißwurstessen.

Warum gegen Nazis zu sein wichtig ist

Dass Nazis alle Homosexuellen beseitigen wollen, ist nur ein weiterer von noch sehr vielen Gründen, die ich nennen könnte, warum Nazis so pfui sind. Die oben genannten sollten jedoch ausreichen, um zu begreifen, warum es wichtig ist, gegen Nazis anzutreten, ihnen zu zeigen, dass man gegen sie und ihre Ideen ist. Und warum man als Tschusch ihnen keinesfalls seine Stimme geben sollte.

Der wichtigste Grund ist einer, den die meisten schon vergessen haben und den andere als abgetakelte Floskel abtun: "Wehret den Anfängen." Dass dies keine Floskel ist, sondern eine kluge Mahnung und Gebrauchsanweisung zur Abwehr der Nazis, sollte man sich wieder in Erinnerung rufen.

Noch reden die meisten Nazis bloß. Noch sind es nur wenige Nazis, die gewalttätig werden, und noch sind es nur Einzelne, die Morde begehen, und noch haben die Nazis keine "national befreite Zone" von der Größe eines durchschnittlichen Nahoststaates. Noch ist also der Terror der Nazis (wieder mal) ein Phänomen im Anfangsstadium. Doch schon (wieder) gewinnen die Nazis Wähler, gewinnen Wahlen und ziehen erfolgreich in politische Strukturen ein. Dem kann man als Tschusch nur entgegenwirken, indem man keine Ausrede findet, sie doch zu wählen. Das ist kein Protest, kein Denkzettel – und schon gar nicht ein Türöffner für positive Veränderungen, sondern dumm.

Es wird zu spät sein, wenn auch die heutigen Nazis beginnen "national befreite Zonen" mit Waffengewalt zu schaffen, wenn auch die heutigen Nazis beginnen Juden auf den Straßen Europas zu ermorden, nur weil sie Juden sind, Frauen gesetzlich in die Küche, hinter den Herd und ins Wochenbett zu stecken, Homosexuelle von Dächern zu schubsen und wenn sie dir und mir verbieten Karikaturen von Adolf Hitler zu zeichnen!

Also: Wähl, du Tschusch! Wähl, wen du willst! Aber wähl keine Leute, die dich und mich und die Demokratie verachten. (Bogumil Balkansky, 13.10.2017)