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Spitäler sind nicht unbedingt sichere Orte, sagt Markus Müller, Rektor der MedUni Wien.

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Wenn es im Medizinbetrieb zu einem tödlich verlaufenen Zwischenfall kommt, gehen die Wogen hoch. Doch laut Experten könnte mit umfassenden Maßnahmen in Sachen Patientensicherheit die Häufigkeit solcher Schäden drastisch reduziert werden.

"Innerhalb von sieben Jahren ist die Schadenshäufigkeit um 70 Prozent gesunken", sagt Wolfgang Buchberger, medizinischer Direktor der Tirol Kliniken zu den bisherigen Ergebnissen einer laufenden Etablierung eines umfassenden Systems zur Erhöhung der Patientensicherheit in den Spitälern des Bundeslandes. "Die Investitionen zahlten sich aus, die Kosten finanzieren sich aus den Einsparungen für die Haftpflichtversicherung."

Die Medizin hat in den vergangenen Jahrzehnten enorme Fortschritte gemacht. Gleichzeitig sind die Abläufe in der Versorgung der Kranken viel komplexer geworden. Oft ist die Entwicklung wirksamerer Therapien mit einer Gratwanderung zwischen erzielbaren Vorteilen und höheren Risiken im Negativfall vergleichbar. "Die dritthäufigste Todesursache in den westlichen Ländern ist ein medizinischer Fehler", sagt Klaus Markstaller, Leiter der Universitätsklinik für Anästhesie, Allgemeine Intensivmedizin und Schmerztherapie der MedUni Wien im AKH und Präsident des Vereins zur Förderung von Wissenschaft und Forschung.

Ständiges Monitoring

Kommunikation, sichere Arbeitsabläufe, ständiges Monitoring der Situation, zusätzliche Ausbildung von im Gesundheitswesen Tätigen in Sachen Qualitäts- und Sicherheitsmanagement und faktisch das Vorhersehen von Signalen, die auf Risiken für Patienten hindeuten könnten, sind Hauptbestandteile eines komplexen Sicherheitsnetzes. Es sollte in allen Gesundheitseinrichtungen funktionieren.

Am Wiener AKH wurde deshalb etwa ein System etabliert, bei dem Personal der Intensivstation einen auf die Normalstation rückübersiedelten Patienten besucht. Das intensiviert die Kontrolle des Zustandes des Betroffenen und damit auch die Sicherheit. "Laut Studien ist nichts nachteiliger für einen Intensivpatienten als wenn er ungeplant rückübersiedelt wird", betont Markstaller. Man lehne sich dabei an Systeme der Luftfahrt an. So müssen Piloten nach der Landung und vor dem Abstellen der Turbinen zum Beispiel dokumentieren, ob ihnen während des Flugs irgendetwas Ungewöhnliches aufgefallen ist. Die Aufzeichnungen werden ausgewertet und können ein Anfangssignal für weitere Untersuchungen darstellen.

"Patientensicherheit ist unser Kerngeschäft", sagt Michael Gnant, Vorstand der Universitätsklinik für Chirurgie der MedUni Wien. Am Wiener AKH haben die Chirurgen und Anästhesisten ein Zentrum für "Perioperative Medizin" gegründet, um die Kooperation der Fachgebiete rund um Operationen zu verbessern.

Spitalsaufenthalte vermeiden

Das alles findet bei einem extrem raschen Fortschritt der Medizin mit allen ihren Vorteilen statt. "Bei großen Bauchoperationen betrug in meiner Ausbildungszeit die Sterblichkeit 20 bis 25 Prozent. Heute sind wir bei zwei, ein oder null Prozent", sagt Gnant. Sei früher von einem Todesfall pro 1.500 Narkosen ausgegangen, gebe es heute bei jährlich rund 50.000 chirurgischen Eingriffen pro Jahr im Wiener AKH keinen einzigen Todesfall durch die Narkose mehr.

"Präzisionsmedizin ist nicht nur eine Frage der Wirksamkeit", sie sei gerade für die Patientensicherheit besonders wichtig, betont Markus Müller, Rektor der MedUni Wien. Viele Arzneimittelnebenwirkungen seien nicht wirklich vermeidbar. Man müsse aber auch wissen, dass Spitäler nicht unbedingt sichere Orte seien. Schon die einfache Vermeidung von nicht unbedingt notwendigen Krankenhausaufenthalten reduziere das Risiko.

Der Spezialist für klinische Pharmakologie nennt ein Beispiel dafür, dass in Sachen Patientensicherheit auch das Aufbrechen von Dogmen notwendig sein kann. Bis Mitte der 1990er-Jahre war die Verordnung von bestimmten Antiarrhythmika für Patienten nach Herzinfarkt und bestehenden Herzrhythmusstörungen "Lehrbuchmeinung". Eine klassische und sogar gegen ethische Bedenken durchgeführt Vergleichsstudie mit der Gabe bzw. nicht erfolgenden Gabe solcher Medikamente zeigte: Die Arzneimittel beseitigen zwar die Rhythmusstörungen, führten aber zu einer deutlichen Erhöhung der Sterblichkeit der Patienten. (APA, 14.10.2017)