Bei der Gleichbehandlungsanwaltschaft (GAW) sind im Vorjahr rund 3.000 Fälle von Diskriminierung am Arbeitsplatz eingelangt – 213 davon wegen sexueller Belästigung.

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Ein ganz normaler Nachmittag im Büro. Julia V. (Name geändert) trifft im Gang auf einen Kollegen. Ihr fällt auf, dass er hinkt, und sie erkundigt sich danach. Seine Antwort: "Ich hinke nicht, ich bin erregt."

Julia V., aktuell in einem Großunternehmen tätig, kann viele solcher Geschichten erzählen. Seit dem Studium ist sie immer wieder von verbaler sexueller Belästigung betroffen. Da war zum Beispiel ein Projektleiter, der vor der Besprechung meinte: "Sagen Sie nichts, sie behübschen nur den Raum." Oder der Vorgesetzte, der sie auf die Aussage, sie habe zwei Kinder und zwei Katzen, fragte: "Haben Sie dann auch zwei Männer?"

Angst vor dem Karriere-Aus

Dumme Sprüche oder mehr? Klar ist: Strafrechtlich gilt als sexuelle Belästigung nur, wenn es einen körperlichen Übergriff gab. Verbale Attacken, anzügliche Kommentare, unerwünschte Angebote am Arbeitsplatz werden entweder intern gelöst oder sie gelangen vor die Gleichbehandlungsanwaltschaft. Viele kommen allerdings gar nicht ans Licht: "Zu uns kommt nur die Spitze des Eisbergs", sagt Cornelia Amon-Konrath von der Gleichbehandlungsanwaltschaft. Die Betroffenen seien teilweise noch im aufrechten Dienstverhältnis und hätten Angst, ihren Job zu verlieren, wenn sie etwas unternehmen. "Was aber auch oft vorkommt: Die Betroffenen wollen gar nicht darüber sprechen", sagt die Juristin. Es herrsche Angst, vom Umfeld belächelt zu werden, vor und Fragen beantworten zu müssen wie 'Warum hast du dich nicht gewehrt?' oder eben: 'Das war doch nur ein dummer Spruch'.

Wo die rote Linie zwischen zu-vergessender-Bemerkung und sexueller Belästigung verläuft, sei sehr individuell, sagt Amon-Konrath. Eine klare Abgrenzung gebe es nicht. Im Gleichbehandlungsgesetz steht jedenfalls, dass es für die betroffene Person "unerwünscht" sein muss (siehe Wissen). "Die Würde muss beeinträchtigt sein. Das kann ein Übergriff sein oder wenn sich Bemerkungen summieren." Auch das Alter oder die Arbeitssituation würden für die Einschätzung eine Rolle spielen. "Allerdings ist es nicht so, dass auf einer Baustelle zum Beispiel das Level niedriger ist – das geht nicht."

Jene Frauen, die Belästigungen nicht melden, kann Julia V. verstehen – es ist auch zu ihrer Devise geworden: "Ich bespreche so etwas mit Kollegen, weil es thematisiert gehört. Aber leider habe ich Angst, Vorkommnisse zu melden." Ein Grund sei, das Leben des Täters nicht "zerstören" zu wollen. Und: "Letztendlich bezahle ich die Rechnung dafür", sagt V. Für Frauen drohe oft das Aus der Karriere. "Man wird immer als die gesehen, die Unruhe stiftet."

Was Arbeitgeber tun sollten

Auch Erwin Fuchs, selbstständiger Anwalt bei Northcote.Recht, meint: "Der Bote der schlechten Nachricht wird leider häufig als schlechte Nachricht empfunden." Der Arbeitsrechtsexperte appelliert dennoch, etwas zu unternehmen. Im Betrieb könnten sich Betroffene etwa an direkte Vorgesetzte wenden. Ist er oder sie der Belästiger sei es besser zur Personalabteilung oder zum Vorgesetzten des Vorgesetzten gehen. Wird nichts oder nicht genug unternommen, empfehle es sich, die Geschäftsführung schriftlich aufzufordern, das Problem zu lösen.

"Die Sache mit einem kurzen Gespräch abzuhandeln, reicht absolut nicht", sagt Fuchs. Er rät Arbeitgebern, Vorwürfe "sehr ernst zu nehmen" und schnell zu reagieren – dazu seien sie im Rahmen der so genannten Fürsorgepflicht verpflichtet. Fuchs empfiehlt, einen eigenen Prozess im Unternehmen. "Man hört sich an, was das vermeintliche Opfer zu sagen hat, welche Beweise und welche Zeugen es gibt und schaut, so wie es die Gleichbehandlungskommission oder ein Gericht machen würde, möglichst neutral herauszufinden, was passiert ist."

Dann müssten gegebenenfalls Konsequenzen folgen, "wie den Vorgesetzten zu versetzen", sagt Fuchs. Schwere sexuelle Belästigung wie körperliche Übergriffe seien ein Entlassungsgrund, verbale Übergriffe höchstwahrscheinlich noch nicht, sie könnten aber zu einer Verwarnung führen. Sein Appell an Betriebe: Richtlinien gegen Diskriminierung festlegen und "interne Stellen für Beschwerden schaffen."

Geld statt Konsequenzen

Wo es diese Anlaufstellen nicht gibt, hilft die Gleichbehandlungsanwaltschaft gerne weiter, sagt Amon-Konrath. Weil Prozesse in der Regel lange dauern würden und auch ein finanzielles Risiko bedeuten, weise man darauf immer hin. "Für uns hat die außergerichtliche Einigung oberste Priorität. Die kann ganz unterschiedlich aussehen: Manche wollen nur in Ruhe weiterarbeiten, ohne die Beklagten. Andere wollen eine Entschuldigung – aber die gibt es in den seltensten Fällen. Und dann gibt es natürlich auch die Forderung nach Schadenersatz." Diese kann gegen einen bestimmen Beklagten, aber auch gegen das Unternehmen geltend gemacht werden, wenn Hilfe ausblieb. Bis zu 6000 Euro könnten laut Amon-Konrath geltend gemacht werden für bis maximal drei Jahre zurückliegende Fälle.

Dass aber auch mit diesen Institutionen und Abläufen Betroffenen nicht immer geholfen ist, wird im universitären Bereich sichtbar. Beschwerden gebe es durchaus, erzählt ein Professor, der nicht namentlich genannt werden will. Man wisse auch um "schwarze Schafe unter Professoren", aber schlussendlich würden Vorwürfe "wegverglichen". Was das heißt? "Dass Geld bezahlt wird dafür, dass es keine Konsequenzen gibt." Die Situation sei teilweise ein "Albtraum".

Der Versuch drüberzustehen

Auch dass der WU-Professor, der Studentinnen und Mitarbeiterinnen – Vorwürfe gibt es von 13 Frauen – sexuell belästigt haben soll, bis 2019 nur karenziert, aber nicht entlassen wurde, stieß großteils auf Unverständnis. Laut dem Erkenntnis der Disziplinarkommission hat der Professor etwa eine Studentin am Busen berührt und einer ein Foto eines Penis mit dem Kommentar "Wo hast du Platz für mich, wo ich ihn reinrammen kann?" per E-Mail geschickt. Die Universität konnte ihn, weil er pragmatisierter Beamter ist, weder entlassen noch versetzen.

Das Ausnützen von Hierarchie und damit klarer Machtmissbrauch – das sei sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz in den allermeisten Fällen, sagt Experte Fuchs: "Ganz klassisch: Das Lehrmädl wurde von einem älteren Arbeiter belästigt." Bei Julia V. kamen die anzüglichen Bemerkungen auch von Kollegen. "Einer hat mir ein lustiges Video geschickt – und ich habe geantwortet: ‚You made my day.‘, er schrieb: ‚I would prefer to make your night.‘" V. versucht mittlerweile, diese Aussagen nicht mehr an sich herankommen zu lassen. "Unangenehm sind sie trotzdem." (lib, lhag, 11.11.2017)