Autorin Streeruwitz über den Wahlkampf: "Die heultonhergestellte Angst versammelt die Alarmbereiten zu einem Pulk selbstvergessen Alarmierter."
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Als vor einer Woche in Wien die Sirenen heulten. Sie kennen das: Sirenenprobe. Warnung. Alarm. Entwarnung. Da überlegte ich, ob es nun so weit kommen könnte, dass wir dieses Sirenenheulen vielleicht doch noch brauchen werden. Dass diese Töne doch eine Realität beschreiben werden. Dass die Töne plötzlich eine Sprache sein könnten, die wir verstehen müssen. So wie das unsere Eltern oder Großeltern gekannt hatten. Ich schaute dann doch gleich nach, was die einzelnen Tonsequenzen bedeuten. Wie Vokabellernen ist das. Sirenenprobe. 15 Sekunden lang. Warnung. Das ist drei Minuten Dauerton. Alarm. Das ist eine Minute lang an- und abschwellender Heulton. Entwarnung. Eine Minute der Dauerton. Das mit der Zeit, das schien mir schwierig. Aber die Handys haben ja eine Stoppuhr, und das Handy ist immer mit. Eine App gibt es auch. Das Heulen. Das versteht sich von selbst. Der an- und abschwellende Heulton steht für Gefahr. Stellt die Gefahr dar. Steht für die Gefahr.

Und dann. Dann musste ich aber doch lachen. Wir leben gerade inmitten eines solchen Heultons. Wir leben umgeben von Propaganda in Heultonformat. Aber. Es sind Heultöne, die keine Gefahr ankündigen. Es sind Heultöne, die die die Gefahr erfinden. Und. Der Heulton ist das siegreiche Stilmittel geworden. Sich den Heulton zur Sprache gemacht zu haben, das heißt schon, Territorium gewonnen zu haben. Denn. Der Krieg findet um die Sprechmacht statt. Es geht darum, wer die Welt deutet. Das war immer schon so. Und immer schon war es so, dass es um Versprechungen ging. Das konnte das ewige Leben sein. Nationaler Triumph. Persönliche Integrität. Das eigene Seelenheil. Im Heulton von heute. Da geht es auch wieder um den Weg heraus aus im Heulton überhaupt erst hergestellten Gefahren. Das war zu allen Zeiten so. Herrschende oder Herrschenwollende. Sie benutzten den Alarmton zur Motivation ihrer Truppen. Jeder Hassprediger machte das so. Und Hassprediger. Das waren sie alle. Die Päpste. Die Kaiser. Die Könige. Die Präsidenten. Die Vorsitzenden. Die Führer aller Art halt. Mindestens drei Minuten lang an- und abschwellender Heulton. Meistens hat es sehr viel länger gedauert. Bei den Reden und Ansprachen. Da wurden die Massen zum Territorium gemacht, in dem die herbeigeheulte Gefahr zur Wahrheit erklärt wird. Die Selbstaufgabe jedes Einzelnen der Masse an die Angst. Das ist dann die Substanz, mit der die Rettung erst versprochen werden kann. Wir sollten uns schon erinnern, dass dieser Heulton in der Geschichte zuerst meist die ihr Glück und ihr Leben gekostet hat, die diesem Heulton ausgesetzt wurden. Und ihm folgten. Aber das ist der große Vorteil des Angstmarketings. Die Alarmierten. Der Heulton übertönt deren Eigeninteressen. Die heultonhergestellte Angst versammelt die Alarmbereiten zu einem Pulk selbstvergessen Alarmierter.

Heute. Hier. In Österreich.

Der Heulton ist natürlich zum Übertönen da. Heulton ist Gleichschaltung schon durch die Lautstärke. Nur noch Lautes ist zu hören. Einzelstimmen. Vorsichtiges Reden. Persönliches Reden. Sprachen der Befreiung. Das alles kann nicht vernommen werden. Denn. So sagen die Heultöner. Es ist genug damit, dass jeder und jede reden will. Der Heulton ist gezielt antidemokratisch.

Wahlurnen der MA 54: "Und die nächste Krise wird in den Fachblättern schon besprochen (...). Die nächste Krise wird das Geheul übertönen, dass man nun selbst Gegenstand des Staatssadismus geworden ist."
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Erinnern wir uns. Die 60er-Jahre des 20. Jahrhunderts. In die mühselige Vereinbarung darüber, was Demokratie in Österreich sein soll, mischten sich die Stimmen von Minderheiten. Damals begann eine Konkurrenz zwischen strukturellen Minderheiten und den hegemonialen Gruppen der großen Parteien SPÖ und ÖVP. Und die lagen miteinander schon in Konkurrenz.

Eigentlich. Im Nachhinein ging es um die Frage, wer sich über wen beklagen durfte. Der von der offiziellen Politik adoptierte Opfermythos Österreichs wurde zur Selbstbeschreibung des Österreichers umfunktioniert. Und derart in die Identität eingebaut, dass nichts mehr davon erkannt werden konnte. Kann.

Ich kann mich noch gut erinnern, wie ein – mittlerweile längst verstorbener – "schwarzer" Parlamentspräsident sich wortreich beschwerte, dass es immer um die "Juden" gehe. Er und alle seine Parteifreunde hätten schließlich auch gelitten. Die Geschwisterkonkurrenz betraf alles außerhalb des Eigenen. Dann warf dieser Parlamentspräsident gleich noch Kreisky das Exil vor. Das Argument, dass Kreisky nur so überleben konnte, das wurde mit abschätzigem Kopfschütteln abgetan. Das Leben der anderen war nie viel wert.

Dieses Gefühl des Zu-kurz-gekommen-Seins. Es ist wunderbar ironisch, dieses Gefühl von einem Mann namens Kurz endgültig zur Waffe umgeschmiedet zu sehen. Der Heulton warnt alle Zu-kurz-Gekommenen zu diesem gesichtslosen Pulk zusammen, in dem dann niemand verantwortlich, alles möglich wird. Versprochen wird Belohnung. "Wieder mehr für die Fleißigen tun." Es ist ein legitimistischer Heulton, der da verwendet wird. Belohnung durch den Monarchen, der jetzt einmal als Kronprinz auftritt. Belohnungen. Das sind Geschenke. Geschenke. Die stellen emotionale Beziehungen her. Oder bestätigen sie. Geschenke bauen familienähnliche Netzwerke auf, die Loyalitäten abrufen, aber keine Rechte zusichern.

Die Fleißigen. Was heißt das überhaupt. Fleißig. Das ist ein Attribut, das zur heutigen Arbeitsplatzsituation und zum Arbeitsmarkt überhaupt nicht passt. Fleißig. Das sind Computer und Roboter. Aber. Die sich fleißig Fühlenden. Sie können sich bedroht sehen und Rettung erwarten. Rettung. Da muss ein Zustand in einen anderen überführt werden. Man oder frau kann aus den Fluten gerettet und aufs trockene Land gebracht werden. Man oder frau kann vor der Verdammnis gerettet und auf den Boden des wahren Glaubens geführt werden. Man oder frau soll hier aus dem Zustand der Vernachlässigung durch die Gesellschaft und die Politik gerettet und wieder in das Blickfeld des Hegemonen gebracht werden.

Zu kurz gekommen. Vernachlässigt. Erinnern wir uns. In die hierzulande nie abgeschlossene Situation des Ständischen. Der Hass der postchristlichen Mittelschicht auf die aufsteigenswillige Arbeiterklasse ist weiter und nach wie vor Politikbegründung der politischen Mitte. In so einem Satz wie "Wieder mehr für die Fleißigen tun" ist die Angst vor der zu befürchtenden Beraubung durch kollektive Politiken der Linken in Emotion verwandelt ausgedrückt. Jedenfalls. In den 60er-Jahren. In diese, damals griesgrämig aggressive Politikkultur schrieben sich jäh und für hiesige Verhältnisse brutal Minderheiten in die Politik hinein. Mit der Avantgarde konnte noch kurzer Prozess gemacht werden. Gegen die Revolte der Wiener Gruppe reichte Kriminalisierung aus. Wie ja jede geistige Emanzipation kriminalisiert gedacht wird. Auch hier die lange Erinnerung bis weit in die Monarchie zurück. Und dass Änderungen von oben kommen müssen und alles von unten Kommende wörtlich des Teufels und Revolution, aber auf jeden Fall links ist.

Nachdem die Männer ihre Emanzipation vom Politisch-Gängigen durch die Flucht in die Kunst bewerkstelligt hatten, traten die Frauen auf den Plan. Wie die Avantgardisten akzeptierten die Frauen nicht mehr, durch die Hegemonie beschrieben zu werden. Das war ja damals wörtlich so. Der Mann musste der Frau unterschreiben, dass sie einen Pass beantragen durfte. Das war bis 1975 so. Die Frauen wollten sich selbst beschreiben. Voll rechtsfähig. Genau aus dieser Geschichte erklärt sich die Gegnerschaft gegen gegenderte Schreibweisen. Es war und ist ein Akt der Emanzipation, darauf zu bestehen, genannt zu werden. Mit den selbstbewussten Frauen der Linken gelang der Umbau der Gesellschaft. Was wir heute als selbstverständliche Umstände sehen, die mittlerweile auch mehr der Neoliberalisierung danken.

Das war damals eine Revolution. Und Revolutionen machen nie alle glücklich. Der Hegemon wird gestürzt und kommt nie wieder zur vollen Machtausübung von vor der Revolution. Irgendein Restchen des Errungenen bleibt. Und darum geht es bei dieser Wahl. Alle Emanzipation soll hinweggeheult werden. Die Uhren sollen zurückgedreht werden. Kurz und Strache erfüllen die Wünsche des Kaiserhauses. Die Rückkehr vor die Französische Revolution soll zu einer Ordnung führen, in der alle ihren Platz haben. Und schön auf dem verbleiben. Für die FPÖ soll das von Geburt an so sein. Für die FPÖ soll man in Österreich geboren sein, damit man dann deutschnational auftreten darf. Für die ÖVP soll es ein bisschen lockerer sein. Aber da geht es ja auch um die Wirtschaft. Die Wirtschaft ist Migration gegenüber meist aufgeschlossen. Da können die inländischen Arbeitskräfte gegen die ausländischen ausgespielt werden. Das drückt den Lohn. Und Spitzenkräfte dürfen auch von anderswo kommen. Wenn sie Spitze sind.

Staatssadismus

In Großbritannien trat im April ein Gesetz in Kraft. Das dritte Kind jeder Frau bekommt von da an keine Unterstützung mehr und kann nicht von der Steuer abgesetzt werden. Das ist Biopolitik. Leute, die sich ein drittes Kind nicht leisten können, sollen auch keines haben. So wird jede Frau dazu gezwungen, es sich genau zu überlegen. Und wenn es doch passiert. In Großbritannien kann frau bis zum sechsten Monat abtreiben.

Während nun das dritte Kind von Prinz William und seiner Frau Kate in aller Welt bejubelt wurde, fand sich in keinem Artikel keines Mediums die Erwähnung des "Child Tax Credit", mit dem die dritten Kinder vom Staat nicht mehr anerkannt werden. Aber. Braucht eine Frau die Unterstützung unter allen Umständen. Dann muss sie ein acht Seiten langes Rape-Assessment-Formular ausfüllen. Sie muss glaubwürdig nachweisen, dass sie unter Zwang schwanger wurde, und sie darf mit dem Vater dieses Kinds nicht zusammenleben. Dann bekommt sie die 17,35 Pfund in der Woche. Man oder frau muss keine Romanautorin sein, um sich vorstellen zu können, wie eine solche "Reform" gelebt werden muss.

Das Leid beginnt mit dem Zwang, sich vorstellen zu müssen, ob das Kind zu teuer sein wird. Dickens' Romane fallen einer da ein. Und. Die Entkriminalisierung der Abtreibung haben wir sicher nicht durchgesetzt, um neoliberalen Regimes ein Instrument der Biopolitik in die Hand zu geben. Die Abtreibung wird aber ganz real als Alternative durchgedacht werden müssen. Und. Wenn Sie. Lieber Leser. Liebe Leserin nun den Impuls verspüren zu denken, dass sie dann halt nicht schwanger werden sollen. Oder. Dass sie sich dann halt kein drittes Kind leisten können. Oder. Dass es sich ja ohnehin nur um die Unterschicht und die Migranten handelt, die auf die Unterstützung angewiesen sind. Wenn Sie jetzt die Vision von vielen netten kleinen weißen Mittelschichtdrittkindern haben. Dann sollten Sie doch daran denken, dass Sie in die Mitte des Heultons geraten sind. Denn. Die mit solchen Gesetzen hergestellte institutionalisierte Vernachlässigung ist die Beschäftigungstherapie, wie sie rechte Politik mag. Und. Bei uns findet die von links der Mitte weg statt. An der Konkurrenz im Heulen des Heultons ist das hörbar.

Das Beispiel aus Großbritannien zeigt aufs Schönste, wie der Weg zur Selbsterstickung aussieht. Mitheulen in der Masse. Die triumphale Herstellung des Leids der anderen. Den Weg frei machen, für Staatssadismus. Und dann. In der nächsten Krise. Und die nächste Krise wird in den Fachblättern schon besprochen und nicht mehr vorausgesagt. Die nächste Krise wird das Geheul übertönen, dass man nun selbst Gegenstand des Staatssadismus geworden ist. Dann werden die Häuschen besteuert werden. Dann wird der Arbeitsgerichtsprozess ohne Hilfe der mittlerweile abgeschafften Arbeiterkammer stattfinden müssen. Dann wird die Beratungsstelle aufgelöst sein. Die Pension wird nicht größer geworden sein. Das Gesundheitssystem wird noch krasser in zwei Klassen zerfallen. Schicksalsschläge werden in die "Freiheit" vom Staat gerechnet werden. Altersarmut wird nicht den Strukturen angerechnet. Im Gegenteil.

Es werden die falschen Entscheidungen der einzelnen Person als Grund angegeben werden. Und. Die Zusammenlegung der Sozialversicherungen wird Nachteile für alle bringen, damit es ein paar wenigen nicht besser gehen darf. Gerechtigkeit. Banken werden wieder gerettet werden müssen. Niemand hat aus der Hypo Alpe Adria etwas gelernt. Korruption wird Politik genannt werden. Das ist dann der kleinste gemeinsame Nenner im Negativen. Aber. Den anderen wird es schlecht gehen. Die werden ihre Familien jahrelang nicht sehen können. Die müssen sich, ohne arbeiten zu dürfen, selbst disziplinieren und ja nicht auffallen. Jeder Schleier wird gelüftet werden. Hurra.

Darum geht es ja in spezifischer Weise. Die Disziplinierung der Frauen. Denn. Feministinnen. Die sind links. Und tatsächlich waren es die Frauen in den linken Parteien, die diese soziale Revolution in Gang setzten. Dass sie in ihren eigenen Parteien mit der Geschlechtersolidarität des Männlichen über die Parteigrenzen hinweg rechnen mussten. Das konnte erst die Geschichte zeigen. Die flüchteten in die wirtschaftliche Revolution, um die Frauen nicht zu groß werden zu lassen. Damit aber ermöglichten die linken Chauvinisten, dass die rechten ihre Sprache nicht verlernen mussten. Der an- und abschwellende Heulton des Männeralarms wurde zum Archiv, in dem Verachtung und der Ausdruck davon aufbewahrt werden konnten.

Zu den Frauen kamen alle anderen Geschlechter. Schwule. Lesben. Transgender. Intersexuelle. Queere. Diese Minderheiten mussten sich ihre Selbstbenennung aufs Härteste erkämpfen. Aber das Ziel wurde erreicht. Staatliche Anerkennung und rechtliche Gleichstellung.

Imgrund. Die heterosexuell verortete Hegemonie, die sich das Patriarchat zum Gründungsmythos nimmt. Diese Hegemonie nahm den Kampf nicht auf. Da wäre es ja dann darum gegangen, die im Patriarchalen verankerten Verantwortungen zu übernehmen. Also. Die Familie erhalten. Die Frau absichern. Die Töchter ausstatten. Die Familie verteidigen. Den Nationalstaat als größere Familieneinheit sehen. Und mit der Waffe verteidigen. Kriegerisch sein. "Männertugenden" anhängen. Das war den Männern von links bis weit nach rechts zu anstrengend.

Deshalb setzten sie die Frauen frei und lassen sie für sich selber sorgen, ohne die Möglichkeiten freizugeben, diese Selbstversorgung wirklich erfüllen zu können. Nein. Es wurde nicht gekämpft. Nie sagte ein bürgerlicher oder ein rechter Mann, ich will für meine Frau sorgen können. Und die Wirtschaft tat das ihre dazu. Nein. Die hegemonial-chauvinistische Männlichkeit ging in den Untergrund. Zog sich zurück. Gekränkt. Beleidigt. Zu kurz gekommen. Diese chauvinistische Männlichkeit tauchte so in den 90er-Jahren als Opfer wieder auf. So machen das Eliten. Sie verteidigen ihr Territorium nicht. Sie verwandeln es. Und schwupps. Die Institutionen werden so kaputtgemacht. Aber. Der Machterhalt ist gesichert. So wurde in der Regierung Schüssel der Staat ausgehöhlt in Privatisierung und Deregulierung. Und schwupps. Die ÖVP ist kaputt. Aber. Die Bewegung Kurz wird den Machterhalt des reaktionär Bürgerlichen bewerkstelligen.

Heute. Hier. In Österreich.

So machen das Eliten

Wenn ich am Gürtel die Plakate entlangfahre. Die FPÖ denkt vor. Das sagt nichts aus. "Wieder mehr für die Fleißigen tun", "Es ist Zeit", "Jetzt. Oder nie!" Das sagt nichts aus. Die Neos haben die Schrift vor den Augen. Ulrike Lunacek schaut wenigstens in die Zukunft und nicht wie Kurz zurück in die Vergangenheit. Großartigerweise wird ja nicht gelogen. Auf solchen Plakaten. "Steuersenkung auf Arbeit". Das bleibt dann das einzig politisch Programmatische von der SPÖ. Und die KPÖ plus Leute lachen. Die haben auch die Demokratie im Programm. Müssen sie, könnte gesagt werden. Müssten sie aber auch nicht, könnte da geantwortet werden.

Das schaut alles noch halbwegs friedlich aus. Im Fernsehen ist es das nicht. Da ist der Heulton in allen Varianten zu hören, und die Nachahmung hinkt hinterdrein. Was aber bedacht werden muss. Der an- und abschwellende Heulton ist auch eine Vorbereitung. Die AfD in Deutschland spricht es aus. Es geht um die Vernichtung anderer. Es muss schon überlegt werden, dass gar nicht so kleine Gruppen daran arbeiten, wieder straflos töten zu können. Es geht um den Aufbau von Institutionen, in deren Dienst das Töten die Aufgabe ist. Polizei. Militär. Sicherheitsdienste. Gesetze, die den Mörder schützen. Weil es Grenzschutz ist. Weil es um die Autochthonen geht. Es geht um die rhetorischen Begründungen, warum das Töten notwendig ist. Oder das Sterbenlassen. Ganz sicher ist die Nachkriegsvereinbarung, die meiner Generation als Staatsdogma vermittelt wurde. Nämlich "Jedes Leben zählt". Und danach würde ich gehen. Wer. Welche Partei lässt jedes Leben zählen. Und welche stellt Hierarchien der Ausschließung her, in die man oder frau ganz schnell selber fallen kann. Denn. Es geht ganz einfach um Verträge. Verträge, wie sie die demokratischen Grundrechte sind. Auf Verträge kann eine oder einer sich berufen. Da gibt es Rechte. Pflichten. Das ist geregelt. Und kein Heulton sollte dazwischenfahren.

Hier. Heute. In Österreich.

Im Jahr 1933. Am 4. März. Im Parlament ging es um die Bezahlung der Eisenbahner, für die es keine Einigung gab. Die Eisenbahner wollten ihren Märzlohn auf einmal ausbezahlt bekommen und nicht in drei Raten, wie das von der Regierung vorgeschlagen worden war. Es war dann eine Geschäftsordnungsdebatte um die drei Anträge der Sozialdemokraten, der Großdeutschen und der Christlich-Sozialen, die das Ende der Ersten Republik besiegelte. Der Antrag der Christlich-Sozialen auf Disziplinierung der streikenden Eisenbahner kam nicht mehr zur Abstimmung. Das war der letzte demokratische Auftritt dieser Partei. Manchmal denke ich, dass im Geist dieses Antrags weitergemacht wurde. Und die Großdeutschen gab es auch schon. Die Krise damals. Die katastrophale wirtschaftliche Situation und der Zusammenbruch der Creditanstalt. Das kann alles sehr schnell so oder so ähnlich wieder werden. Der Heulton damals. Das hat die Geschichte unserer Familien hergestellt. Versprechungen auf Identität waren das. Auf Dominanz. Auf eine Ordnung, in der die politische Ordnung die wirtschaftliche Ordnung spiegelt. Wer Geld hat, darf etwas sagen. Wer keines hat, nicht. Ich habe nicht den Eindruck, dass die Situation in Fragen der Geschlechtergerechtigkeit heute sooo gesichert ist. Die Ordnung, die das "Jetzt. Oder nie!" verspricht, weiß nichts davon.

In Zeiten der Unsicherheiten. Da geht es um die Verträge. Um die Rechtlichkeit. Um die Grundrechte. Und das für alle. Um Geschäftsordnungen und Rahmenbedingungen. Das ist nicht so sonnig. Aber das wird der Kampf der nächsten Jahr e sein. Auf den Grundrechten bestehen und keine Geschenke von der Politik annehmen und sich zum Staatskind machen lassen. Den Heulton ausschelten. Die Frauenpolitik hat das schon einmal vorgeführt. Das wird auch wieder gelingen.

So ist demokratisch. (Marlene Streeruwitz, Album, 14.10.2017)