Heimat der Hirschknöpfe: Im Wahlkampf schmiss sich sogar Bundeskanzler Christian Kern in Tracht.

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Heinz-Christian Strache hat diesbezüglich allgemein weniger Berührungsängste.

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Sebastian Kurz ebenso.

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Die Reaktionen waren gespalten: Lederhose und Trachtenstutzen, schrieb der Bundeskanzler in seinem Facebook-Eintrag, seien "ein Muss bei einem traditionellen Trachtenumzug wie dem Villacher Kirchtag". Auf den dazu gehörigen Fotos war Christian Kern in einer Hirschledernen zum blauweiß karierten Hemd zu sehen. Jägergrüne Wollstutzen und Haferlschuhe. Nur die Sonnenbrille wollte nicht so recht in die Trachtenidylle passen. Aber gut: Es war ein blendend schöner Tag, dieser Sonntag, Anfang August in Villach, die Sonne brannte gnadenlos vom Himmel, das Thermometer zeigte 34 Grad.

Auf die Facebook-Gemeinde wollte die gute Laune vom Villacher Rathausplatz aber nicht so recht überschwappen. "Mon Dieu", schrieb eine Userin, "muss man sich für die Politik so gehen lassen? Humtata, humtatä." Ein anderer sekundierte: "Warum ist das ein 'Muss'? Das einzige 'Muss' ist Authentizität!" Eben jene wollte man dem Bundeskanzler und Slim-Fit-Anzugträger nicht so wirklich abnehmen. Ein Sozialdemokrat in Tracht, daran muss man sich erst gewöhnen – vor allem, wenn es sich nicht um einen Regional-, sondern um einen Bundespolitiker, zumal den Bundeskanzler, handelt.

Die Tracht ist ein Kleidungsstück, das wie kaum ein anderes mit Bedeutung aufgeladen ist. Wer immer in ein Dirndl oder in eine Lederhose schlüpft, freimachen kann sie oder er sich davon nicht. Will man vielleicht auch nicht: Mit Kleidung werden nicht nur ästhetische Aussagen getroffen, es geht auch um Botschaften, die ausgesendet werden.

Das macht die Tracht vor allem für Politiker interessant: Als sich Sebastian Kurz am Neustifter Kirtag durch die Bierbänke schunkelte, machte er dies im Trachtenjanker, Josef Cap zog es dagegen vor, seinen Vorzugsstimmenwahlkampf im karierten Kurzarmhemd zu absolvieren – dazu trug er allerdings Jeans statt Lederhose. "Ich weiß, es ist nicht ganz mein Terrain", erklärte er einer Reporterin.

Links gegen rechts

Im Umgang mit der Tracht konnte man über Jahrzehnte einen klaren Trennungsstrich zwischen der einen und der anderen Reichshälfte ziehen. Lodenmäntel und Steirerhüte waren Politikern der ÖVP und FPÖ vorbehalten, über die Sozialdemokraten und Grüne nur die Nase rümpfen konnten. Ihre Klientel hätte einen Minister in der Krachledernen oder eine Bundespolitikerin im Dirndl auch kaum goutiert.

Hätte, mittlerweile scheint es diese unsichtbaren Grenzen nicht mehr zu geben. Als sich die ehemalige Landeshauptfrau Gabi Burgstaller (SPÖ) wieder einmal im Dirndl zeigte, erklärte sie, Tracht sei "nicht mehr das Zeichen einer bestimmten Herkunft". Jeder könne Lederhose und Dirndl tragen, klare Regeln gäbe es nicht.

Außer in der Nazizeit, als den sozialdemokratischen Arbeitervereinen der Volkstanz und das Trachtenwesen ausdrücklich verboten waren, waren sie in der Tat nie klar formuliert. Vielleicht, weil ihre Bedeutung nicht wirklich eindeutig ist.

In der Semiotik würde man sagen: Dirndln und Lederhosen gehören zu jenen Zeichen, deren Bedeutungen klar und schwammig zugleich sind. Sie senden Botschaften aus, die man nicht erklären muss, evozieren ein Gefühl, das diffus ist. Die Empfänger der Botschaft wissen genau, was man ihnen mitteilen möchte, ohne dass darum viele Worte gemacht werden müssen.

Tracht vermittle ein "Gefühl der Zugehörigkeit", sagt die Wissenschafterin Simone Egger, die an der Uni Klagenfurt über das Trachtenwesen forscht. Schon die Wittelsbacher kleideten sich bei bestimmten Anlässen in Tracht, um ihre Zugehörigkeit zum gemeinen Volk zu demonstrieren, ebenso Erzherzog Johann von Österreich. "In der Nachkriegszeit hatte das Tragen von Tracht dagegen viel mit Nation-Building zu tun", sagt Egger.

Österreich, das sich als Opfer von Hitler-Deutschland stilisierte, setzte auch beim Trachtenthema ganz auf Kontinuität. Und das, obwohl die Nazis Trachten bewusst dazu verwendet hatten, rassische Delimitation zu betreiben. Tracht oder Dirndl durfte nur von der "deutschen, arischen Frau" getragen werden, ja, Trachten seien ein Ausdruck des "deutschen Wesens".

Freizügiges Dekolleté

Es war denn eine glühende Nationalsozialistin, die Innsbruckerin Gertraud Pesendorfer, die die ursprünglichen, unförmigen, bis zum Hals zugeschnürten Bauerntrachten in jene Form brachte, die wir heute kennen. Sie schuf die mittlerweile für Dirndln und Trachten charakteristische Taille, entwarf ein (wenn auch nicht zu freizügiges) Dekolleté, befand, dass zum Dirndl eine weiße Bluse und gestrickte Kniestrümpfe gehörten, wie Elsbeth Wallnöfer unterstreicht.

Oder, um es in den Worten der in Wien lebenden Ethnologin zu sagen: "Das, was wir heute als traditionelles Dirndl bezeichnen, ist eine Erfindung der Nazis." Das erklärt, warum in Deutschland die Verwendung von Trachten einer weitaus stärkeren Zäsur unterworfen war, als dies in Österreich der Fall war. Noch vor 20 Jahren war auf dem Münchner Oktoberfest kaum jemand in Dirndl und Lederhose zu sehen.

In der Alpenrepublik wurde die Tracht dagegen "zum Icon für die österreichische Identität", sagt Wallnöfer. Prinzipien wie Heimatverbundenheit und Traditionspflege, aber auch eines diffusen Wir-gegen-die-anderen-Gefühls waren der Tracht eingeschrieben – und wurden von Politikern für ihre Zwecke benutzt.

Es musste einige Zeit vergehen, bis Volksvertreter aller Couleur auf die Tracht als Kommunikationsmittel zurückgriffen. Zum Erstaunen vieler zeigte sich selbst Grünen-Politiker Alexander Van der Bellen im vergangenen Jahr im Rahmen des Bundespräsidentschaftswahlkampfes im Trachtenjanker. Dabei wäre es gerade für Grüne nachvollziehbar, wenn sie ein Naheverhältnis zur Tracht hätten, meint Trachtenexpertin Gexi Tostmann: "Ein Dirndl steht für das Lokale, fürs Handwerk, gegen die Wegwerfgesellschaft." Also für all das, wofür auch die Grünen stehen.

Verankerung in der Region

"In meiner Wahrnehmung war der Rückgriff auf die Tracht beim Wahlkampf im vergangenen Jahr stärker, als das jetzt der Fall ist", sagt der in Innsbruck lehrende Volkskundler Timo Heimderdinger. Das erklärt sich wahrscheinlich damit, dass es bei der Wahl des Bundespräsidenten traditionell weitaus weniger um Themen als um Gefühle geht.

Neben einem Rückgriff auf die Tradition symbolisiert Tracht immer auch eine Verankerung im Regionalen. Dies zu unterstreichen, sei für Politiker in Zeiten einer mitunter furchteinflößenden Globalisierung von besonderer Wichtigkeit, ist Heimerdinger überzeugt. Ein zweites Erklärungsmodell, warum sich nicht mehr nur rechte Politiker in Tracht zeigen, habe mit der "Ludifizierung des Trachtenthemas" zu tun.

Um zu verstehen, was der Wissenschafter damit meint, muss man sich nur auf dem Oktoberfest oder seinen diversen Ablegern wie etwa der Wiener Wiesn umschauen. "Ich möchte so gern mit dir schmusen und dich küssen auf den Busen", schallte es bis zum letzten Wochenende im Wiener Prater aus den Boxen. Weit über den Knien endende Billigdirndln trafen hier auf Knickerbocker zu ausgetretenen Chucks. Erlaubt ist, was gefällt, jegliche Regeln, wie Tracht zu tragen sei, sind bereits seit Jahren einem bunten Spiel mit Trachtenelementen gewichen.

Gemeinsames unterstreichen

Wann diese Entwicklung eingesetzt habe, darüber sind sich die Wissenschafter uneins – ob in den Neunzigern im Zuge des Aufkommens der sogenannten Spaßgesellschaft oder erst in den Nuller-Jahren als schließlich sogar Diskonter wie Hofer Dirndln und Lederhosen anboten. Mit Sicherheit lässt sich aber sagen, dass erst der allgemeine Dirndlboom bzw. die "Demokratisierung von Trachten" das Thema für Politiker auf einer breiteren Ebene interessant machte.

"Jetzt wurde es auch für grüne oder sozialdemokratische Politiker wichtig, die Icons mit Bedeutung zu füllen. Ansonsten hätte man sie anderen überlassen", so Wallnöfer. Statt das Trennende zu betonen, konnte man mit der Tracht plötzlich das Gemeinsame unterstreichen. So die positive Interpretation des Phänomens. Will man (wie die eingangs zitierten Facebook-Poster) das Negative herausstreichen, kann man auch von Anbiederung sprechen.

Über Jahrzehnte hatte ein Kleidungsstück die Trennung zwischen dem Eigenen und dem Fremden symbolisiert. Jetzt soll es dabei helfen, die Gräben zu überbrücken, die sich zwischen Stadt und Land, Tradition und Moderne, links und rechts ziehen. Keine kleine Aufgabe für ein Stückchen Stoff. Oder eine Hirschlederne. (Stephan Hilpold, 14.10.2017)