Bild nicht mehr verfügbar.

Neue Unesco-Chefin: Audrey Azoulay.

Foto: AP Photo/Michel Euler

Nach dem spektakulären Rückzug der USA und Israels aus der Unesco erfolgte am Freitagabend der nächste Paukenschlag: Der Exekutivrat der in Paris angesiedelten Organisation für Kultur, Bildung und Wissenschaft wählte mit 30 Stimmen die französische Ex-Kulturministerin Audrey Azoulay zur neuen Unesco-Chefin. Der katarische Kandidat Abdulaziz Al-Kuwari unterlag mit 28 Stimmen.

Die 45-jährige Französin ist die Tochter eines Chefberaters des marokkanischen Königs Mohammed VI. Diplomatisch unerfahren, war die Kinoexpertin vom ehemaligen französischen Präsidenten François Hollande 2016 in die französische Regierung geholt und erst dadurch einer breiteren Öffentlichkeit bekannt geworden. Ihre Wahl stellt in der äußerst politisierten Uno-Institution eine doppelte Überraschung dar: Zum einen bricht die Unesco mit der ungeschriebenen Regel, dass das Standortland einer Uno-Organisation nicht auch noch den Vorsitz derselbigen übernehmen soll. Außerdem erhob die arabische Welt seit Jahren Anspruch auf den Chefsessel, den sie seit der Gründung der Organisation 1946 nie besetzt hatte; von den zehn Vorsitzenden waren sieben westlicher Abstammung, so auch die scheidende Bulgarin Irina Bokova, die nun nach acht Jahren abtritt.

Antisemitismus-Vorwürfe

Wie schon der 2009 unterlegene Ägypter Faruk Hosni scheiterte Al-Kawari vermutlich an Antisemitismus-Vorwürfen. In Unesco-Kreisen wurde moniert, der ursprüngliche Wahlfavorit habe wiederholt die "mediale Weltherrschaft der Juden" angeprangert und Azoulays jüdische Herkunft als Gegenargument angeführt. Am Donnerstag, als der Katarer nach mehreren Wahlgängen klar in Führung lag, hatten die USA und Israel ihren Rückzug aus der Unesco angekündigt.

Dieser Schritt war zwar seit einiger Zeit erwartet worden, wirkte dann aber klar auf diese Wahl terminiert. Mit ihm gelang es den Amerikanern möglicherweise, den Ex-Minister aus Katar in letzter Minute zu verhindern. Denn der US-Rückzug dürfte dem Vernehmen nach mehr als ein Mitgliedsland bewogen haben, lieber einer gewieften westlichen Diplomatin die Stimme zu geben, die eher in der Lage scheint, die amerikanischen Zahlmeister zurück ins Boot zu holen.

US-Beitragszahlungen ausgesetzt

Auch wenn US-Präsident Donald Trump für den Unesco-Austritt noch ganz andere Motive haben dürfte: Die Amerikaner nehmen in der Unesco nicht zum ersten Mal mehr Einfluss von außen als von innen. Und nicht zum ersten Mal zwang der Nahostkonflikt die "multilaterale" Unesco in einen aufreibenden Zweifrontenkrieg. Schon die erste Unesco-Krise im Jahr 1974 war ausgebrochen, als die USA ihre Zahlungen unter anderem wegen einer Anti-Israel-Resolution einstellten. 1984 trat US-Präsident Ronald Reagan, gefolgt von den Regierungen in London und Singapur, ganz aus der Unesco aus, weil diese im Kalten Krieg sehr blockfrei auftrat und unter anderem ein PLO-Projekt lanciert hatte.

Erst zwei Jahrzehnte später kehrten die USA wieder in die Unesco zurück. Als diese Palästina 2011 zum Vollmitglied wählte, setzte Washington die Beitragszahlungen aber erneut aus. Als die Unesco diesen Sommer die Altstadt Hebrons im Westjordanland zum Weltkulturerbe ernannte, schien der neuerliche Austritt der USA nur noch eine Frage der Zeit. Da die Unesco im Unterschied zum Sicherheitsrat kein Vetorecht kennt, haben die USA weniger Einzeleinfluss. Sie versuchen deshalb über ihren Finanzbeitrag – ein Fünftel des Unesco-Budgets – Einfluss zu nehmen. Mittlerweile belaufen sich ihre Ausstände auf fünf Milliarden Dollar. Ob es Azoulay gelingen wird, die Amerikaner zurückzuholen, wird sich weisen müssen – und zwar vielleicht erst nach Ablauf des Trump-Mandates.

Kostenbremse

Bis dahin wird die Französin mit voller Kraft auf die Kostenbremse treten müssen. Bisher sparte die Unesco weniger an ihrer Pariser Bürokratie als an den Kultur-, Wissenschafts- und Bildungsprogrammen für die Armen und Ärmsten. Diese werden damit immer mehr Kollateralopfer eines Nahostkonfliktes, mit dem sie gar nichts zu tun haben. Ein Ende des jahrzehntelangen, längst verhärteten Unesco-Machtkampfs zwischen den Freunden und Feinden Israels ist an der Unesco nicht in Sicht. Azoulay wird alle Hände voll zu tun haben. (Stefan Brändle, 13.10.2017)