Paul Badura-Skoda: "Dass der Wahltag mit dem Konzert zusammenfällt, ist nicht meine Schuld. Wir haben das viel früher fixiert, als die Parteien sich entschlossen haben."


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STANDARD: Was war für Sie der Grund, Ihren 90er mit dem letzten Beethoven zu begehen?

Badura-Skoda: Beethovens späte Sonaten sind ein Vermächtnis. Die letzten Sonaten, vielleicht einer meiner letzten Klavierabende – da gibt es doch eine Parallele, nur dass ich noch a bissl älter bin, als Beethoven wurde. Obwohl man heutzutage mit 90 etwa so ist wie vor 150 Jahren mit 50. Es ist ja unglaublich, wie die Lebenserwartung gestiegen ist. Insofern bin ich ungefähr gleich alt (lacht).

STANDARD: Wobei Beethoven nicht sehr gesund gelebt hat ...

Badura-Skoda: Ja, und er hat sehr intensiv gelebt. Es ist unvorstellbar, was diese Genies geschaffen haben. Beethoven hat verhältnismäßig etwas weniger geschrieben als Schubert, der schätzungsweise 20.000 Seiten Noten geschrieben hat. Allein dieses Schreiben ist eine unvorstellbare Arbeit – nur das Abschreiben würde die doppelte Zeit brauchen, die er, ähnlich wie Mozart, mit unglaublicher Geschwindigkeit und Präzision gearbeitet hat. Für mich ist es auch ein Erlebnis, die Handschriften dieser Meister zu sehen.

STANDARD: Lernt man aus dem geschriebenen Notenbild über die Komponisten und die Werke?

Badura-Skoda: Ja, obwohl das Schriftbild auch irreführen kann. Aber meistens spürt man den Erregungszustand, den Komponisten beim Schreiben gehabt haben müssen – etwa Mozart beim c-Moll-Klavierkonzert. Da wird seine Schrift, die sonst präzis, cool ist, plötzlich aufgeregt. Auch bei Chopin sieht man oft etwas Ähnliches. Am meisten überrascht hat mich Mussorgsky, von dem ich mir die Schrift eines Betrunkenen erwartet hätte. Doch sie sieht aus wie die eines Mittelschullehrers.

STANDARD: In Ihrer Biografie gab es viele Begegnungen mit bedeutenden Interpreten und Komponisten. Welche waren aus jetziger Sicht besondere Lichtgestalten?

Badura-Skoda: Bei den Interpreten Edwin Fischer, als Pianist, als Lehrer und als menschliches Vorbild. Er hat gesagt: "Nicht ich spiele, sondern es spielt mich." Ich hatte das Glück, zehn Jahre lang seine Meisterkurse zu besuchen. Dann war Wilhelm Furtwängler ein Erlebnis, bei dem ich ebenfalls das Gefühl hatte, dass das Werk in dem Moment entsteht, wo er dirigiert. Dieses Erlebnis war in Kriegszeiten doppelt so groß, weil wir nicht wussten, ob wir am nächsten Tag noch leben. Zum Glück wurde Wien relativ von Bombenangriffen verschont. Die Musik brachte da Trost und Hoffnung – das hat man fast körperlich erlebt: dass es etwas gibt, das die Zerstörung und das Morden überdauert. Das hat mich so ergriffen, dass ich meine Absicht, Naturwissenschafter oder Ingenieur zu werden, geändert habe und mich entschloss, Musiker zu werden.

STANDARD: War in diesen Jahren überhaupt eine Konzentration auf die Musik möglich?

Badura-Skoda: Noch mehr als sonst, ja. Allerdings verdanke ich es meinem Stiefvater Anton Skoda, dass ein Bauer in der Gegend von Amstetten, der Bürgermeister war und Antinazi, mich und meine Familie offiziell als Landhilfsarbeiter untergebracht hat. Inoffiziell hatte ich ein Klavier und ein Akkordeon, und da konnten wir bei Hochzeiten aufspielen – man hat vergessen, dass man mitten im Krieg war.

STANDARD: Der Komponist Frank Martin hat das Ende des Krieges mit seinem Oratorium "In terra pax" heraufbeschworen. Wie war Ihre Zusammenarbeit mit ihm?

Badura-Skoda: Ein großes Erlebnis, ihm freundschaftlich näher zu kommen, und eine Ehre, dass er mir zwei Werke gewidmet hat. Die Gespräche mit ihm waren sehr prägend. Nach der Uraufführung seines Zweiten Klavierkonzerts schrieb er mir eine Widmung: "Du hast das Größte fertig gebracht. Du hast mich von meiner eigenen Komposition überzeugt."

STANDARD: Gab es Momente in Ihrer Karriere, die Sie bereut haben?

Badura-Skoda: Vielleicht werden Sie das aufgeblasen nennen: Aber ich bin weltweit als Mozart-Interpret anerkannt, da ich alle seine Klavierwerke auf modernem Flügel und auf Hammerklavier gespielt habe. Außerdem wurde mein Buch Mozart-Interpretation in viele Sprachen übersetzt. Warum ich seit 50 Jahren nicht mehr nach Salzburg eingeladen wurde, verstehe ich nicht. Ich kann ohne Salzburg leben – und umgekehrt bestimmt auch. Aber es gibt auch die Schubertiade in Vorarlberg. Ich habe alle Schubert-Werke gespielt, aber die haben mich von Anfang an vollkommen ignoriert. Freund und Manager haben ihnen geschrieben und nicht einmal eine Antwort bekommen.

STANDARD: Was heißt bei Konzerten gelingen oder nicht gelingen?

Badura-Skoda: Es geht nicht um die Anzahl falscher Noten. Es geht eher darum, den Kontakt zum Publikum zu finden und die Botschaft eines Werks zu vermitteln. Manchmal gibt es natürlich auch Ärger über ungerechte Kritiken.

STANDARD: Ausgerechnet am Tag Ihres Klavierabends finden die Wahlen statt. Möchten Sie das kommentieren?

Badura-Skoda: Ja, warum nicht? Dass der Wahltag mit dem Konzert zusammenfällt, ist nicht meine Schuld. Wir haben das viel früher fixiert, als die Parteien sich entschlossen haben. Mir persönlich gefällt der Bundeskanzler Kern – er äußert sich klar, spricht sehr konkret. Das kann man doch sagen. Ich würde aber nicht Wahlpropaganda machen wollen. Das ist eine Antwort, gell? (Daniel Ender, 14.10.2017)