Marthina Ogbonna mit ihrem kleinen Wunder.

Foto: Gänsler

Marthina Ogbonna schaukelt ihre kleine Tochter sanft im Arm hin und her. "Miracle habe ich sie genannt", sagt die junge Mutter stockend. Die Kleine gluckst manchmal leise, weint oder schreit jedoch kein einziges Mal. Stattdessen schaut sie immer wieder den Autos nach, die viel zu schnell durch das kleine Dorf Abakaliki im Bundesstaat Ebonyi im Südosten Nigerias fahren. Warum sich die junge Mutter für diesen Namen entschieden hat, ist schnell erklärt: "Sie ist wirklich ein kleines Wunder." Eines, das sie nie geplant hat.

Als Ogbonna schwanger wurde, war sie 15 oder 16 Jahre alt. Bis heute wird in vielen ländlichen Regionen Nigerias das Geburtsdatum nicht aufgeschrieben, weshalb sie ihr eigenes Alter nicht genau kennt. Sechs Jahre lang war sie in der Grundschule. Doch das Schreiben, aber auch das Sprechen auf Englisch – es ist die Unterrichtssprache im Land – fällt ihr schwer. Ogbonna, die mager ist und selbst noch wie ein Kind wirkt, ist das peinlich. Unangenehm ist ihr aber noch etwas anderes. Sie ist noch keine 20 und weiß, dass sie kaum eine Chance hat, weiter zur Schule zu gehen.

Schulbildung ist ohnehin ein heikles Thema. Es wird geschätzt, dass 10,5 Millionen Mädchen und Burschen im Grundschulalter nicht in der Schule sind. Laut Unicef bleiben im Nordosten des Landes wegen der Krise durch die Terrormiliz Boko Haram auch in diesem Schuljahr 57 Prozent aller Schulen geschlossen. Wie viele Mädchen zusätzlich die Schule abbrechen, weil sie schwanger werden, ist nicht bekannt.

"Stigma sehr groß"

"Das Stigma ist sehr groß", sagt Rosemary Ukata, die das "Zentrum für Frauenstudien und Einmischung" (CWSI) leitet. Die katholische Ordensschwester hat die Einrichtung vor 18 Jahren gegründet und versucht seitdem, jungen Frauen nach Schwangerschaft und Entbindung bei der Rückkehr auf die Schulbank zu helfen. Angehörige würden sich häufig schämen, wenn ihre Töchter schwanger würden. Neben dem gesellschaftlichen Tabu gibt es auch einen finanziellen Aspekt. "Eltern sind enttäuscht, weil sie in ihre Töchter investiert haben. Doch stattdessen es sich auszahlt, müssen sie eine weitere Person versorgen."

Die Mitarbeiter des CWSI versuchen, in den Familien zu vermitteln, was jedoch nicht immer klappt. "Als Miracle sechs Monate alt war, bin ich gegangen. Der Druck war zu groß." Ogbonna deutet auf eine Holztür, hinter der sie jetzt lebt. Jeden Tag versucht sie, sich durchzuschlagen. Manchmal arbeitet sie für ein paar Naira als Erntehelferin, mal auf dem Markt. Was sie verdient, reicht höchstens zum Überleben. Unterhalt vom Vater einzutreiben ist so gut wie unmöglich. "Er ist mal mein Freund gewesen. Aber heute haben wir kaum noch Kontakt", sagt sie, die vor allem einen Wunsch hat: "Meine Tochter soll es einmal besser haben als ich."

Kein Geld für die Uni

Eucheria Oluchi Ogbodoge versteht das nur zu gut. Die 26-Jährige hat einen dreijährigen Sohn, dessen Vater ein ehemaliger Mitschüler ist. "Er versprach mir Liebe und die Heirat. Als ich schwanger wurde, sagte er: 'Dafür bin ich nicht verantwortlich.'" Der erste Schock war groß, durch die Unterstützung von CWSI gelang es ihr jedoch, zumindest die weiterführende Schule abzuschließen. Ungewiss ist nun, ob ihr Traum vom Lehramtsstudium klappt. Ogbodoge lebt zwar bei ihren Eltern, die sie unterstützen. Doch für die Uni reicht das Geld nicht.

Sollte das tatsächlich nicht funktionieren, hat sie noch einen anderen Plan: "Ich würde gerne eine Organisation gründen, junge Mädchen aufklären und etwas gegen die Stigmatisierung tun." Sie sollen nicht jeden Liebesschwur für bare Münze nehmen und lernen, klare Grenzen zu setzen, wünscht sich die junge Frau. (Katrin Gänsler aus Abakaliki, 14.10.2017)