Auch auf einer Buchmesse sitzt nicht jedes Wort.

Foto: Wurmitzer

"Verdammt dazu, in weißer Weiblichkeit gefangen zu sein ... weil ich Orientalin bin", schreibt eine der drei irakischen Autorinnen auf dem Podium. Alles, was die arabische Frau sei, verkörpere sich in ihrem Körper, erklärt sie die Zeilen. Das Gedicht heißt Einzelhaft, das assoziierte Gefängnis ist ein Bild für das Dasein in diesem weiblichen Körper. Man sei darin allein. Ist Schreiben also Widerstand? Klar.

Dass Bagdad seit zwei Jahren eine Bürgermeisterin habe und 25 Prozent der Abgeordneten im irakischen Parlament weiblich seien, darum gehe es nicht, erklären die Frauen. Sondern um das Tabu, um das, was nicht angesprochen wird. Denn die Frauen, die in solchen Positionen säßen, gehören ja einer Partei an. Für die übrigen Frauen allerdings habe es nach dem Sturz des Hussein-Regines Rückschritte gegeben, sei die Situation im Land schwieriger als davor. Es gebe wieder mehr Verbote. Schreibende Frauen seien zudem ein Tabubruch. Auch als Bedrohung für die Situation des Mannes.

Leben mit der Angst

Das Gedicht Wünsche reflektiert die tägliche Angst. "Es wäre auch möglich, dass ich Gott nicht bitten muss, mein Kind und mich zu beschützen auf dem Heimweg...", kontrastiert darin eine Utopie die tatsächlichen Verhältnisse. In ihnen brodle ein Vulkan des Lebens, sagen die Frauen, so hätten sie gelernt, trotz und mit der Angst in verschiedenen Regimes von Saddam Hussein bis zum IS zu leben. "Als wir klein waren, begegnete uns die Angst in Geschichten, als wir größer wurden, begegnete sie uns auf den Straßen, wieder später ist sie in unsere Häuser eingedrungen. Wir haben uns daran gewöhnt, wir haben keine andere Wahl."

Mit den Augen von Inana (Verlag Hans Schiler, 2015) heißt die vom Goetheinstitut geförderte Anthologie. Keine andere Institution, auch keine irakische, habe sich in 25 Jahren um die schreibenden Frauen gekümmert. Ein zweiter Band mit neuen Texten bis heute ist in Arbeit. Die International Stage der Frankfurter Buchmesse verbreitet mit der Lesung der drei Irakerinnen fast etwas Besinnliches inmitten des Trubels.

Fremde Sprachen und Kulturen

Die fremden Sprachen, Schriftzeichen und Kulturen gewidmeten internationalen Hallen punkten aber auch mit sonst nur kaum zu überblickenden weltweiten Erscheinungen. Seit heute, Samstag, ist die Messe für "Normalpublikum", also Nicht-Brancheninsider geöffnet. Das lockt naturgemäß auch allerhand Prominente mit Autorambitionen – etwa den deutschen Designer Harald Glööckler mit Fuck you, Brain! – zu öffentlichen Buchpräsentationen. Am Sonntag, zum Abschluss, kann hier auch gekauft werden.

Auf wessen Empfehlungen hin? Dem Erfolg von Buchblogs und Bookhauls im Internet und der daher zunehmenden Zahl von Bloggeradressen in den Verteilerlisten der Verlage erweist Frankfurt mit dem erstmals vergebenen "Buchblog-Award 2017" Referenz. Es ist Aufgabe der Verlage, Öffentlichkeit für Titel und Autoren zu schaffen. Als an Blogger verschickte Rezensionsexemplare kostet sie diese kaum etwas und erreicht eine Zielgruppe abseits von klassischen Medien. Die erhofften Zauberworten lauten: Authentizität und Fanbindung. Der Hauptpreis ging an Uwe Kalkowski für seinen Blog "Kaffehaussitzer", den Sonderpreis erhielt Florian Valerius' Instagram-Auftritt als "LiterarischerNerd".

Von Parasiten und Entdeckungen

Ein anderer Preis, nämlich der mit 5.000 Euro dotierte "Preis der Hotlist", der seit 2009 an eine Neuerscheinug aus einem unabhängigen Verlag vergeben wird, ging indes am Freitagabend an Brigitta Falkners Strategien der Wirtsfindung (Matthes & Seitz). Die österreichische Autorin und bildende Künstlerin "erkundet darin in Texten und Bildern die wuchernde Welt der Parasiten und Schmarotzer und erweist sich dabei als ebenso kundige wie poetische Naturforscherin", begründet die Jury. Falkner steht mit dem Titel auch auf der Shortlist für den Österreichischen Buchpreis.

Ebenso auf der Shortlist für den Hotlist-Preis gestanden hatte auch der im Klagenfurter Wieser-Verlag fünfbändig erschienene Roman Die Fahnen von Miroslav Krleža (1893-1981). Erst spät für eine deutschsprachige Übersetzung entdeckt ein weiteres gutes Argument für die internationale Ausstellung.

International zusammen taten sich auch die Schriftstellerverbände aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, die in Frankfurt mit einer gemeinsamen "10-Punkte-Charta" Mindeststandards für Verlagsverträge forderte – gegen die (befürchteten) Folgen der fortschreitenden Digitalisierung der Buchbranche. Denn, so Gerhard Ruiss, Geschäftsführer der IG Autoren Autorinnen, zur Verhinderung von "Dumpingpreisen" sei die grenzüberschreitende Kooperation der deutschsprachigen Länder unabdingbar. (Michael Wurmitzer aus Frankfurt, 14.10.2017)