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Die türkische Armee operiert mit Panzern im (türkischen) Kurdengebiet. Die Lage im Irak und in Syrien verkompliziert die Situation.

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Im März kommenden Jahres stehe ich vor Gericht. Der Grund: Ich habe eine Petition unterzeichnet, die eine friedliche Lösung des Konflikts mit den Kurden fordert, mehr nicht. Das ging der Regierung in Ankara offenbar zu weit.

Erdogan ist sichtlich nervös, weil sich die Kurden in einem Referendum für die Unabhängigkeit vom Irak ausgesprochen haben. Das ist einigermaßen verständlich, die Loslösung vom Irak wird eine große Umwälzung in der Grenzregion nach sich ziehen. Nicht nur die Erdogan-Regierung, sondern alle anderen Player in der Region sind durch diese Entwicklung beunruhigt.

Im Moment sieht es nicht nach einem Waffengang aus. Die Drohungen der Türkei gegen die kurdische Regionalregierung sind verhältnismäßig moderat, die angekündigten Wirtschaftssanktionen scheinen unrealistisch. Erdogan hat zudem auch international wenig Rückenwind. Wahrscheinlich hat er sich deutlich mehr vom jüngsten Staatsbesuch des russischen Präsidenten Wladimir Putin erhofft. Anstatt über die kurdische Unabhängigkeit zu reden, ging es in den Gesprächen vorwiegend um den Waffenstillstand in Syrien.

Später erklärte der Kreml auch noch, dass die Blockade der kurdischen Ölpipelines keine Option für Russland darstellt. Erdogans Staatsbesuch in Teheran muss als ein weiterer Versuch gewertet werden, einen Verbündeten gegen die Kurden im Nordirak zu finden. Und auch diese Mission war wenig erfolgreich. Der Iran hat seine Grenzen bereits für die kurdische Regionalregierung geöffnet. Schließlich zeigt sich auch die irakische Regionalregierung offen gegenüber Verhandlungen mit dem kurdischen Präsidenten Masud Barzani. Plötzlich wirkt die Türkei wie ein "einsamer Wolf" in der Region. Ein Phänomen, das wir in der Vergangenheit schon so oft beobachten konnten.

Innenpolitische Krise

Trotzdem ist diese Krise vor allem eine innenpolitische. Die auf türkischem Staatsgebiet lebenden Kurden werden künftig weiter marginalisiert. Verbündete haben sie in der Türkei kaum noch. Selbst kurdische AKP-Abgeordnete schweigen. Nur wenige haben sich öffentlich für die Antireferendumpolitik ihrer Partei geäußert. Hinter den Kulissen dürften es mehr gewesen sein. Viele konservativen Kurden, die AKP-Anhänger sind, unterstützen gleichzeitig Barzani und seine Unabhängigkeitsbestrebungen.

Die Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) goss mit der Ansage, dass über 5000 ihrer Anhänger sofort losziehen würden, um die nordirakische Stadt Kirkuk zu verteidigen, zusätzliches Öl ins Feuer. Dass die kurdische Regionalregierung nun auch Kirkuk in ihre Gebietsansprüche de facto integriert (zum besseren Verständnis: Kirkuk ist jene Stadt, die neben Mosul nach der US-Invasion 2003 hart umkämpft war und zuletzt von den Kurden vor einer Übernahme des IS bewahrt werden konnte), wollen die ultranationalistischen Lager in der Türkei keineswegs akzeptieren.

Selbst die oppositionelle Republikanische Volkspartei CHP unterstützt die Forderung der Regierung, Kirkuk in die Türkei einzugliedern. Das hat historische Gründe: Der Streit um Kirkuk hat bereits nach dem Ende des Ersten Weltkriegs zu Kontroversen geführt. Doch die CHP schließt sich momentan auch der scharfen Kritik der AKP an Barzani an.

Es scheint fast so, als ob mittlerweile Regierung wie Oppositionsparteien von der nationalistischen Welle im Land erfasst und daher nicht in der Lage sind, mit innen- wie außenpolitischen Krisen umzugehen. Der Hass gegen die kurdische Bevölkerung zeigt sich auch im Alltag. Trauriger Höhepunkt war zuletzt das Begräbnis der Mutter der kurdischen Abgeordneten Aysel Tugluk. Der Leichnam der Frau musste von einem Friedhof in Ankara entfernt werden, nachdem ein Mob das Grab unmittelbar nach der Trauerzeremonie geschändet hatte. Das war einer der traurigsten Momente, die ich in meiner Heimat jemals erlebt habe. Vor kurzem wurden nun auch öffentliche Untersuchungen gegen jene Akademiker eingeleitet, die eine Petition für eine friedliche Lösung mit den Kurden unterzeichnet haben. (Nuray Mert, 16.10.2017)