Wien – Der erste Gedanke beim Programm – huch, steht schon wieder eine Gesamtaufnahme der Beethoven-Symphonien an? – sollte sich bewahrheiten. Das tut sie, bis 2020. Jetzt jetten die Wiener Philharmoniker und Andris Nelsons aber erst mal für zehn Konzerte nach China, auch in Fernost werden die Siebte und die Achte gern gehört. Davor spielte man das symphonische Doppelpack viermal en suite im Musikverein.

Bei den Philharmonikern waren strahlende Mienen zu beobachten, und der designierte Gewandhauskapellmeister aus Lettland strahlte sowieso: Man scheint sich zu mögen. Der phänotypisch immer mehr zum Falstaff tendierende grundsympathische Nelsons bevorzugte genießerische Darbietungsformen: Die Sforzati im Kopfsatz der Achten waren mehr saftig als scharf, von süffig-leichter Poesie das Seitenthema. In der Durchführung agierte man dann struppiger, das dreifache Forte war wirklich eines.

Die kompakte achte Symphonie wirkt mit ihrer ausgetüftelten Motivarbeit oft wie eine Reverenz Beethovens an Joseph Haydn. Auch dessen Vorliebe für humoristische Einlagen klingt in dem 1814 uraufgeführten Werk an: Die unvermittelt auftauchende Vierundsechzigstelfigur im zweiten Satz erinnert an einen nassen Hund, der sich schüttelt. Das überraschende Fortissimo-Cis im Schlusssatz empfand Louis Spohr so, als ob jemand mitten im Gespräch die Zunge herausstreckt. Ludwig van Tourette.

Körperlich-wuchtiges Musizieren

Überhaupt scheinen die Philharmoniker in dieser Saison, die unter Daniel Hardings Leitung mit einer gewalttätig hingeballerten sechsten Symphonie von Mahler begonnen hatte, das körperlich-wuchtige Musizieren mehr zu forcieren. Im Schlusssatz der Siebten wirkten die hohen und tiefen Streicher mit ihrem Hin und Her der aufsteigenden Sexten wie rauflustige Bubengangs im Schulhof, die sich voreinander aufplustern und einen auf dicke Hose machen. Davor und danach war viel Euphorie, aber auch viel Getöse: Die Antworten der zweiten Geigen und der Bratschen auf das Kernmotiv der ersten Geigen (ab Takt 36) gingen im Tumult komplett unter.

Das vorangegangene Presto war nicht nur superschnell, präzise und leicht, sondern auch von einer mitreißenden Aufgeregtheit des Herzens erfüllt. Dafür ging dem zwischen Moll und Dur changierenden Allegretto alles Schicksalhafte ab. Der Kopfsatz, in dem noch die Kriegshändel mit Napoleon nachklingen, bot reichlich Elan und prustende Hörner, und am Ende meinte man, ein Kavallerieregiment galoppiere triumphierend durch den Großen Musikvereinssaal. Helle Begeisterung dafür an einem sonnigen Oktobersommersamstagnachmittag. (Stefan Ender, 15.10.2017)