Womöglich nur Dritter, aber in einer komfortablen Position: FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache steht vor dem Einzug in die Regierung.

Sebastian Kurz ist am Zug. Der Wahlsieger wird, wie es Usus ist, vom Bundespräsidenten den Auftrag zur Regierungsbildung erhalten – und kann zwischen zwei potenziellen Partnern wählen: Um im Nationalrat eine Mehrheit zustande zu bringen, braucht der ÖVP-Chef entweder die SPÖ oder die FPÖ.

Eine der beiden Varianten ist allerdings diskreditiert. Zwar haben SPÖ und ÖVP die Zweite Republik in 45 von 72 Jahren gemeinsam regiert, doch auf beiden Seiten haben viele die Liaison satt. Außerdem hat gerade Kurz "Zeit für Neues" ausgerufen, eine Neuauflage von Rot-Schwarz erscheint höchst unwahrscheinlich.

Die Alternative ist nicht nur atmosphärisch, sondern auch inhaltlich verträglicher. Im Wahlkampf haben Türkis-Schwarze und Blaue nur notdürftig kaschiert, dass sie in vielen Fragen auf einer Wellenlänge sind. Beim Thema Migration stritten FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache und Kurz darüber, wer welche Restriktion als Erster erfunden hat, nicht aber über grundsätzliche Differenzen. Die wirtschaftspolitischen Pläne gleichen einander bis hin zum versprochenen Steuerentlastungsvolumen von zwölf Milliarden. Senkung von Lohnsteuer, Körperschaftssteuer und Lohnnebenkosten, mehr Geld für Familien, Gegenfinanzierung ausschließlich über Einsparungen – all das propagiert Kurz ebenso wie Strache. Bezeichnend: Die ÖVP-Funktionäre quittierten am Sonntagabend auch das FPÖ-Ergebnis mit lautstarkem Applaus.

Schwarz-Blau ist Favorit

Schon wird kolportiert, dass die ÖVP diese Koalition im Eiltempo unter Dach und Fach bringen wolle. Bis 26. Oktober könne eine Grundsatzeinigung stehen. Aus dem Umfeld von Kurz wurde aber auch gestreut, dass diesem Unkonventionelles vorschwebe: etwa eine Art Minderheitsregierung mit "Experten" aus verschiedenen Lagern.

Allerdings fragt sich, was Kurz den Mehrheitsbeschaffern bieten könnte. Für die FPÖ ist eine vollwertige Koalition mit vielen Ministerposten attraktiver – und die SPÖ müsste für den im Laufe des Wahlkampfs immer verhassteren ÖVP-Chef den Steigbügelhalter spielen.

Und eine Regierung ohne den Sieger? Für die SPÖ, die mit Stand der Hochrechnungen von Sonntagabend vor der FPÖ lag, wäre die Verlockung groß: Sie könnte trotz Verlusts von Platz eins doch die Kanzlerschaft retten. Aber selbst dieses Zuckerl müsste die rote Chefetage den eigenen Reihen erst einmal schmackhaft machen. Mit seinem "Kriterienkatalog" hat Kern die Partei zwar auf die Möglichkeit einer Koalition mit der FPÖ vorzubereiten versucht. Doch für viele Genossen, gerade in Wien, sind die Blauen immer noch das Feindbild schlechthin.

Rote Versprechen brechen

Außerdem hat sich Kern festgelegt: Schafft die SPÖ nicht Platz eins, werde er die Partei in die Opposition führen. Dieses Versprechen müsste er brechen – oder eben von der Spitze weichen. In diesem Fall wird sich zeigen, welche Liebe in der Partei größer ist: jene zu Kern oder jene zur Macht.

In der FPÖ gibt es, gerade in Wien, auch Stimmen für eine Koalition mit der SPÖ, und persönlich kann Strache gut mit Kern. Das wirtschaftsliberal angelegte Wahlprogramm spricht dagegen.

Sollte die FPÖ nach Auszählung aller Stimmen doch auf Platz zwei landen, sinkt die Chance auf Rot-Blau massiv: Die SPÖ wird Strache kaum auf den Schild heben – und dieser hat ausgeschlossen, als der Stärkere in einer Koalition auf den Kanzlerposten zu verzichten. (Gerald John, 15.10.2017)