Die grüne Frontfrau Ulrike Lunacek wurde von Brüssel nach Wien geholt, um zu retten, was (nicht mehr) zu retten war, ...

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... Ex-Kollege Peter Pilz dürfte den Einzug schaffen.

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Es ist für die Grünen eine Niederlage, wie sie noch vor einem halben Jahr niemand vorhergesehen hätte: Laut dem vorläufigen Ergebnis verpasste die Liste unter Spitzenkandidatin Ulrike Lunacek sogar den Wiedereinzug in den Nationalrat. Die Partei musste demnach einen Stimmenverlust von mehr als acht Prozentpunkten hinnehmen.

Zwar ist noch immer nicht fix, wie viele Stimmen den Grünen tatsächlich abhandenkamen: Bei dieser Wahl wurden so viele Wahlkarten ausgegeben wie nie zuvor, das endgültige Ergebnis inklusive Briefwahl wird voraussichtlich erst am Donnerstag feststehen, und erfahrungsgemäß schneiden die Grünen bei den Wahlkarten besser ab als an den Urnen. Doch eines stand bereits Sonntagabend fest: Für die Grünen ist dieses Ergebnis ein Desaster.

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Entsprechend fassungslos zeigten sich führende Vertreter der Partei bei der Wahlparty Sonntagabend im Wiener Metropol. Man müsse das Ergebnis "erst verdauen", sagte Parteichefin Ingrid Felipe kurz nach der zweiten Hochrechnung, als noch von einem Wiedereinzug die Rede war. Klubobmann Albert Steinhauser räumte ein "Debakel für die grüne Bewegung" ein. Die "Entzweiung" in Sachen Peter Pilz sei sicherlich ein Fehler gewesen. Und Lunacek selbst blieb nichts anderes, als auf ein Wunder zu hoffen – also auf den Wiedereinzug: "Ich hoffe, das wird uns noch gelingen, aber ja, es ist ein Debakel", sagte sie und sprach von einer "Zitterpartie".

Wunschergebnis Minus zwei Prozent

Zwar hatte selbst in der Partei niemand damit gerechnet, dass die Grünen ihren Mandatsstand auch nur annähernd halten könnten. Aber das? Man hoffe auf zehn Prozent der Stimmen, hatte Lunacek bereits im Sommer verkündet. Eine bemerkenswerte Ansage, wenn man bedenkt, dass die Partei bei der letzten Wahl 12,4 Prozent der Stimmen erreicht hatte: Eine Liste, die als Wunschergebnis ein Minus von zwei Prozentpunkten angibt – eine solche Liste rechnete bereits lange vor dem Intensivwahlkampf mit dem Schlimmsten.

Und das aus guten Gründen. Für die Ökopartei lief so ziemlich alles schief, was schieflaufen konnte. Erst verstrickte sie sich in einen medial intensiv begleiteten internen Streit, der im wutschnaubenden Auszug der Jugendorganisation gipfelte. Fünf Monate vor der Wahl kam der Partei mit Eva Glawischnig die Chefin abhanden.

Die Grünen zauberten mit Lunacek zwar eine erfahrene und in TV-Auseinandersetzungen geübte Spitzenkandidatin aus dem Hut, doch fehlte es der Europaabgeordneten aus Wählersicht an einem klaren Profil. So richtig schwierig wurde es für die Grünen aber erst nach der internen Kür der Wahlkandidaten. Dass sich mehrere altgediente Parteigranden nicht mehr auf Fixplätzen befanden, machte viele treue Grüne sauer – und trieb sie flugs in die Arme des Listengründers Peter Pilz.

Kleines Budget, großer Erfolg

Dieser hat es aus dem Stand in den Nationalrat geschafft. Der Altparlamentarier, der das Parlament bereits seit 23 Jahren von innen kennt und sich einen Ruf als Korruptionsaufdecker gemacht hat, wird laut vorläufigem Ergebnis mit acht Abgeordneten in den Nationalrat einziehen. Zum schlechten Abschneiden seiner Ex-Partei meinte Pilz: "Dafür werde ich nicht die Verantwortung übernehmen." Er habe keinen Wahlkampf gegen die Grünen geführt.

Angesichts des vergleichsweise geringen Budgets – die Kampfkassa der Liste war kleiner als eine einzige Großspende der Liste Kurz – ist der Einzug ein beachtlicher Erfolg. Zumal die Liste in kürzester Zeit Personal und Programm finden musste und auch bei den TV-Konfrontationen im ORF nicht vertreten war. Anwalt Alfred Noll, Dritter auf der Liste Pilz, zeigte sich in einer ersten Reaktion dennoch enttäuscht: "Das ist viel weniger, als wir erwartet haben."

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Träge und abgehoben

Fest steht, dass Pilz die Grünen Stimmen gekostet hat – und zwar auf zweierlei Weise. Einerseits fischten der Listengründer und die grüne Spitzenkandidatin Lunacek im selben Teich, beide sprachen eher linksliberale, urbane, tendenziell höher gebildete Wähler an. Andererseits ließ Pilz im Wahlkampf keine Gelegenheit aus, den ehemaligen Parteikollegen eins auszuwischen. Die Grünen, so Pilz, seien zu träge und zu abgehoben, um auf aktuelle Fragen wie Migration und den politischen Islam angemessen zu reagieren. Viele, die die Grünen in der Vergangenheit wohl eher trotz als wegen dieser Positionen gewählt hatten, waren für diese Argumentation leicht zu gewinnen.

Peter Pilz war aber nicht der einzige Konkurrent, der den Grünen zusetzte. Der bürgerliche Flügel der Grünwähler fand in Sebastian Kurz einen Kandidaten, der alles daran setzte, der konservativen Volkspartei einen jungen, reformorientierten Anstrich zu geben – und dem dies mit einer perfekt durchgetakteten Kampagne auch gelang. Für die Grünen würde damit nicht nur eine Ära im Parlament enden, sondern auch eine lange Aufwärtsphase. Seit 1999 haben sie bei Nationalratswahlen dazugewonnen, mit einer Ausnahme 2008, als die Partei unter Alexander Van der Bellen ein leichtes Minus von 0,6 Prozent hinnehmen musste. Nach der letzten Nationalratswahl zogen 24 Grüne ins Parlament ein. Jetzt könnte es wohl kein Einziger sein. (Maria Sterkl, 16.10.2017)