Autor Robert Menasse.

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Wien – In der österreichischen Kulturszene rechnet man nun fix mit einer Neuauflage von Schwarz-Blau, wie ein erster Rundruf an einem Wahlabend ergab, an dem manche Fragen – wie etwa jene über Platz zwei und drei oder der Einzug von Grünen und der Liste Pilz ins Parlament – noch gar nicht endgültig zu beantworten waren. Große Proteste wie anno 2000 werden allerdings nicht erwartet.

Der Dramatiker und Bachmannpreisträger 2017 Ferdinand Schmalz (32) zeigte sich über das starke Abschneiden der FPÖ überrascht, "zumal ihr Wahlkampf nicht ganz rund gelaufen ist". "Das erschreckt einen dann schon, dass die beiden Parteien zusammen knapp an der Zweidrittelmehrheit kratzen."

Das Wahlverhalten kann der Autor nicht nachvollziehen: "In meiner Generation fand die Politisierung durch den Widerstand gegen die erste Auflage von Schwarz-Blau statt", so der Steirer. Die Folgen dieser Zusammenarbeit seien ja bis zuletzt auch Gegenstand von Untersuchungsausschüssen gewesen. "Sollte nun wieder zu Schwarz-Blau kommen, muss man ihnen auf die Finger schauen!"

Das Ergebnis erklärt sich Schmalz durch einen "über Emotionen geführten Wahlkampf, in dem die negativsten Emotionen am Stärksten angekommen sind. Jene, die die stärksten Ressentiments bespielen, stehen am Ende als Sieger da." Das Migrationsthema habe den Wahlkampf bestimmt, "positive, zukunftsgestaltende Ideen sind da wenig rübergekommen", zeigt er sich ernüchtert.

Gleichzeitig sei er überrascht, dass die SPÖ den Querelen und Pannen zum Trotz "stand gehalten hat". "Christian Kern hat glaube ich sehr viele Meter mit direktem Kontakt mit den Menschen gemacht", analysiert Schmalz, der auch die "taktisch sehr unklugen Problemlösungsversuche" der Grünen als Grund sieht, warum die Partei jetzt um den Einzug ins Parlament zittern muss. Ulrike Lunacek habe "keinen schlechten Wahlkampf gemacht", aber die Kleinparteien seien zuletzt im Kampf der drei Großparteien "zu wenig vorgekommen".

Für die Kulturszene gelte es nun, klare Positionen zu beziehen und die Freiheit der Kunst zu verteidigen. Schließlich sehe man in Ländern wie Ungarn oder Polen, wohin "massive Rechtsrucke" auch in der Kulturpolitik führen. Schmalz' Fazit: "Die Kunst ist frei und sie muss frei bleiben."

Der Galerist Thaddaeus Ropac kann sich "die Schlagzeilen in Frankreich schon vorstellen". Das starke Abschneiden der FPÖ führe eine Situation herbei, "die uns ganz falsch positioniert, das wird man in Europa nicht verstehen". Gerade in Ländern wie Frankreich herrsche derzeit ein "unglaublicher Aufschwung Richtung Europa". Dass Österreich nunmehr gemeinsam mit Polen und Ungarn in die "ultrarechte Schmuddelecke" gestellt werden könnte, sei fatal.

"Gerade in einer Stimmung, die jetzt so offen und pro-europäisch wird, ist das eine Linie, die ich nicht nachvollziehen kann", so der Galerist. Das starke Abschneiden der FPÖ könne er sich nicht erklären, "zumal Ungarn und Polen ein anderes Wirtschaftsverhalten zeigen als Österreich, dem es vergleichsweise sehr gut geht. Dass es in Österreich da zu solchen extremen Ausschwankungen kommt, ist für mich sehr überraschend." Außerdem befürchtet Ropac, dass es diesmal nicht mehr einen ähnlich großen Aufschrei geben könnte wie bei Schwarz-Blau im Jahr 2000. "Die Schamgrenze wurde völlig aufgehoben."

Auch der Autor Franzobel sieht keinen Grund für Sanktionen: "Es wäre völlig absurd, wenn jetzt die EU wieder Weisen nach Österreich schicken würde. Europa ist nach rechts gerückt." Innerhalb Österreichs sei es zwar möglich, dass es vereinzelt zu Protesten kommen werde, wenn es, wie er rechnet, zur Bildung einer schwarz-blauen Regierung kommen wird. "Aber letztlich ist das zu akzeptieren, sie sind ja demokratisch gewählt." Dass das Wahlergebnis jetzt fast genauso aussehe wie die ersten Umfragen nach der Übernahme der ÖVP-Obmannschaft durch Sebastian Kurz hält Franzobel für erstaunlich: "Den Wahlkampf hätte man sich eigentlich sparen können."

Überraschend sei für ihn das respektable SP-Abschneiden. "Das war einerseits der Mitleidseffekt, andererseits die Angst vor Schwarz-Blau. Deswegen haben auch die Grünen stark verloren." Er hoffe sehr dass diese noch die 4-Prozent-Hürde zum Parlaments-Einzug schafften, ortet aber viele Fehler, von parteiinternen Querelen wie dem Ausschluss der Jungen Grünen oder Auseinandersetzung mit Peter Pilz ("Sein voraussichtlicher Einzug freut mich für ihn") bis zur Wiener Kommunalpolitik und dem Heumarkt-Desaster: "Da ist auch Frau Vassilakou mitschuld." Es sei aber bitter, dass sich die österreichischen Wähler für wichtige Zukunftsthemen wie Klimawandel, Globalisierung oder ökologische Landwirtschaft offenbar nicht interessierten.

SPÖ und Grüne müssten sich nun erneuern, der Rechtsruck werde sich als erstes wohl in öffentlichkeitswirksamen Gesetzen im sicherheitspolizeilichen Bereich oder bei der Stärkung der Wirtschaft durch unternehmensfreundliche Steuersenkungen bemerkbar machen. In der Kulturpolitik setze er auf die Trägheit der "fest im Stall stehenden Amtsschimmel": "Da wird sich vermutlich nicht so schnell etwas ändern."

Der Schriftsteller Robert Menasse hat in einem Interview mit der italienischen Tageszeitung "La Repubblica" scharfe Kritik an Wahlsieger Sebastian Kurz (ÖVP) geübt. Der ÖVP-Chef sei ein "Kasperl" in den Händen von FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache, sagte der österreichische Autor dem römischen Blatt.

"Wir haben schon einige Erfahrungen mit diesen 'jungen Genies' gemacht. Und wir wissen genau, wie es endet, von Jörg Haider bis Karl-Heinz Grasser, der Ex-Finanzminister, der von der Regierung vor Gericht gelandet ist. Kurz ist der wahre Erbe von Haider und Grasser. Er hetzt die Massen mit populistischen und antieuropäischen Slogans auf. Er ist ein Kasperl Straches. Die beiden sind nicht mehr zu unterscheiden", sagte der frisch gebackene Sieger des Deutschen Buchpreises.

"Der Nationalismus wird vom allgemeinen Gefühl genährt, dass Europa nicht funktioniert. Doch wir sollten uns fragen: Warum fliegen Staats- und Regierungschefs nach Brüssel, wo sie die europäischen Beschlüsse blockieren, und dann nach Hause zurückkehren und behaupten: 'Europa funktioniert nicht'. Die gemäßigten Politiker haben den idealen politischen Boden für den Nationalismus geschafft", so der Autor, der sich im Wahlkampf auf der pro-europäischen Wahlkampfplattform "Weil's um was geht" engagiert hatte.

"Kein europäisches Land kann allein in einer Welt mit globaler Wirtschaft überleben. Der Terrorismus ist global, sowie die klimatischen Änderungen die uns alle bedrohen. Doch die Politiker sagen nicht: Ich kämpfe, um etwas für Europa zu erreichen. So werden die Nationalisten gewählt, die natürlich unfähig sind, effiziente Antworten zu finden. Und wenn sie scheitern, wählen die Menschen noch mehr rechts", so Menasse.

Menasse schließt nicht aus, dass Österreich zum fünften der "Visegrad-Länder" werden könnte, die sich gegen die europäische Flüchtlingspolitik wehren. "In diesem Fall würde ich dank der von Europa garantierten Bewegungsfreiheit in ein anderes Land ziehen." (APA, 16.10.2017)