Bei der Verschmelzung zweier Neutronensterne kam es zu einer zuvor noch nie beobachteten Kilonova. Dabei werden Gold, Platin und andere schwere Elemente ins All geschleudert. Damit konnten die Forscher indirekt auch die alte Frage klären, woher das Gold auf der Erde stammt.
Illustration: ESO/L. Calçada/M. Kornmesser

London/Wien – Auch in der Forschung finden angekündigte Sensationen nicht immer statt. Man denke nur an die kalte Fusion, die sich als Irrtum erwies, oder die "Stap-Zellen", die trotz Publikation im renommierten Fachblatt "Nature" ein Schwindel waren.

Für die bahnbrechende astrophysikalische Entdeckung, die am Montagnachmittag in mehreren Pressekonferenzen rund um den Globus präsentiert wurde, sind Irrtümer aber auszuschließen: Zum einen ließ man sich mit der Veröffentlichung der Ergebnisse lange Zeit, zum anderen waren Tausende Forscher in rund 70 Observatorien weltweit an den Beobachtungen beteiligt.

Beispiellose Beobachtung

Und das ist schon ein Teil der Erklärung, warum die neuen Entdeckungen "beispiellos" sind, wie die Europäische Südsternwarte Eso vorab verlautbart hatte, um die Neugier zu schüren. Tatsächlich handelt es sich bei dem erstmals beschriebenen Ereignis zugleich auch um das vermutlich am besten beobachtete in der Geschichte der Astronomie. Die daraus hervorgegangenen Publikationen haben über 45.000 (!) Ko-Autoren, das sind rund 35 Prozent aller Astronomen weltweit.

Was also wurde entdeckt? Am 17. August um 14:41 unserer Zeit registrierte der Gravitationswellendetektoren Ligo in den USA, dessen drei "Väter" Anfang Oktober mit dem Physiknobelpreis ausgezeichnet wurden, Gravitationswellen – ein Ereignis, das nach dem Datum GW170817 benannt wurde. Solche minimalen wellenförmigen Änderungen in der Krümmung der Raumzeit, die von Albert Einstein vor über 100 Jahren vorhergesagt wurden und sich – wie er vermutete – mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten, entstehen durch schnelle Bewegungsänderungen extrem massereicher Objekte – etwa bei der Verschmelzung von zwei Schwarzen Löchern.

"Andere" Gravitationswellen

Durch solche Kollisionen waren auch die ersten beobachteten Gravitationswellenereignisse ausgelöst worden. Doch diesmal war das Signal schwächer und dauerte insgesamt rund 100 Sekunden lang. Dazu kam, dass zwei Weltraumteleskope der Nasa und der Esa 1,7 Sekunden später einen kurzen Gammablitz registrierten, der in wenigen Sekunden mehr Energie freisetzte als die Sonne in Milliarden von Jahren.

Die bald vermutete Erklärung für die Doppelbeobachtung: Es waren womöglich zwei Neutronensterne kollidiert, deren Verschmelzung zu den gewaltigeren Ereignissen in unserem Universum zählt. Anders als die Kollisionen von Schwarzen Löchern werden dabei nicht nur "unsichtbare" Gravitationswellen erzeugt, sondern eben auch ein "sichtbarer" Gammastrahlenausbruch.

Simulation einer Neutronensternkollision.
caltech

Neutronensterne sind die dichtesten Sterne, die man kennt: Sie haben einen Durchmesser von rund 20 Kilometern, bestehen im Kern ausschließlich aus einer Neutronensuppe, die ziemlich dick ist – ein Teelöffel voll wiegt ungefähr eine Milliarde Tonnen.

In ihrem etwa 100 Sekunden lang dauernden Todestanz waren die beiden Neutronensterne zunächst 300 Kilometer voneinander entfernt und umkreisten einander 30 Mal pro Sekunde, ehe sie kurz vor der Kollision noch 2.000 Umdrehungen pro Sekunde schafften und dann vermutlich in ein Schwarzes Loch "zusammenstürzten" – unter Erzeugung des Gammablitzes.

So "klang" die Verschmelzung der beiden Neutronensterne laut Signalen des Gravitationswellendetektors.
Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut)

Sollten die beiden Beobachtungen – also die der Gravitationswellen und des unmittelbar danach erzeugten Gammablitzes – tatsächlich auf ein einziges Ereignis zurückgehen, würden das Einsteins Theorie erstmals empirisch bestätigen, dass sich Gravitationswellen mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten. Doch dafür musste man die Region des Gammablitzes lokalisieren, um dann sein "Nachglühen" beobachten zu können.

Lokalisierung des Signals

Dank des Zusammenspiels von Ligo und des italienischen Gravitationswellendetektors Virgo wusste man mittels Triangulation in etwa, wo das Signal herkam. In der Nacht wurden die Teleskope der Europäischen Südsternwarte in Chile sofort auf die entsprechende Region des Himmels gerichtet. Fündig wurde man nach etwa mehr als zehn Stunden Suche im Sternbild Hydra, konkret: in der 130 Millionen Lichtjahre entfernten Galaxie NGC 4993. Man beobachtete dort erstmals eine sogenannte Kilonova, die laut einer erst gut 30 Jahre alten Theorie unmittelbar nach einem Gammablitz entsteht.

Klärung des Ursprungs von Gold

Dabei werden durch den sogenannten r-Prozess extrem schwere Elemente wie Gold und Platin mit 20 Prozent der Lichtgeschwindigkeit ins All geschleudert, wie die Forscher mit zahlreichen Teleskopen quer durch das gesamte elektromagnetische Spektrum indirekt beobachten konnten: Die Farbe der Kilonova änderte sich innerhalb weniger Tage von tiefem Blau in tiefes Rot (siehe die Animation im Tweet).

Damit konnten die Forscher en passant auch die Frage klären, woher "unser" Gold oder Platin kommen, also jene Edelmetalle, die wir gerne als Schmuck tragen: Sie dürften, wie vermutet, tatsächlich in Kilonovae entstehen.

Hier noch einmal die Kollision, die Kilonova – und die Elemente, die dabei erzeugt werden.
Illustration: ESO/L. Calçada/M. Kornmesser

Beginn eines neuen Zeitalters

Diese und andere neue Erkenntnisse, die in gleich sieben Aufsätzen in "Nature" und "Nature Astrophysics" sowie in weiteren Fachjournalen publiziert wurden, haben zwar – so wie die Detektion von Gravitationswellen – keine unmittelbaren praktischen Auswirkungen. Sie sind aber "ein Triumph für die Theoretiker", deren Annahmen etwa über die Kilonova bestätigt werden konnten, sagt Stefan Covino, einer der Erstautoren der Aufsätze.

Seine Kollegin Elena Pian (IASF Bologna) geht angesichts der einzigartigen Beobachtungen so wie viele ihrer Kollegen gar "vom Beginn eines neuen Zeitalters" für die Astrophysik aus. Denn die hat durch diese erstmals erfolgreich demonstrierte Kombination der Detektion von Gravitationswellen und elektromagnetischen Signalen tatsächlich völlig neue Möglichkeiten, weitere große und kleine Rätsel unseres Universum zu lösen. (Klaus Taschwer, 16.10.2017)