Scheinbar endlos verläuft der Highway von New Orleans durch ein riesiges Sumpfgebiet. Manchmal lässt sich ein Reiher blicken, thront gewissermaßen auf den aus dem Wasser ragenden Bäumen. Nach dem Verlassen der Autobahn fährt man durch Ortschaften wie Hammond, die einander alle sehr ähnlich sind: karge Reihenhäuser, Fastfood-Buden, breite Straßen, tristes Gesamtbild. Und schließlich folgt eine Abzweigung nach Livingston, ins Zentrum des gleichnamigen Parish, eines Verwaltungsbezirks. Auf den Straßen ist niemand zu sehen. Füchse und Hasen sind mit Gute-Nacht-Sagen beschäftigt. Immerhin fahren zwei Wissenschaftsjournalisten gerade dorthin, wo vermutlich alle Besucher von Livingston hinwollen: zum neun Autominuten außerhalb gelegenen Observatorium Ligo (Laser-Interferometer-Gravitationswellen-Observatorium).

Die Austria Presse Agentur (APA) und der STANDARD wurden zu einer Führung durch jene Anlage eingeladen, die an der ersten Messung von Gravitationswellen im September 2015 beteiligt war. Zur Ligo Collaboration gehört freilich auch noch das 3.000 Kilometer entfernt gelegene Observatorium in Hanford im US-Bundesstaat Washington. Jedes der beiden Observatorien besteht aus einem L-förmigen Vakuumsystem, das in mehreren Kammern mit Lasern die Länge der Arme überwacht.

Ein Techniker in der Vakuumröhre in Livingston: Die Wissenschafter bemühen sich um ein Upgrade bis 2021, das muss aber extra finanziert werden.
Foto: Caltech/MIT/LIGO Lab

Wird einer der vier Kilometer langen Arme länger, der andere aber kürzer, dann ist, vereinfacht gesprochen, der Beweis für die Gravitationswellen erbracht. Erstmals gelang das genau 100 Jahre nachdem Albert Einstein diese Krümmung der Raumzeit theoretisch vorhergesagt hatte. Sie entsteht durch die schnelle Bewegung massereicher Objekte wie Schwarzer Löcher. Die erzeugten Wellen breiten sich mit Lichtgeschwindigkeit aus.

Erfolg ließ auf sich warten

Ligo wurde 1992 durch die Wissenschafter Kip Thorne, Ronald Drever (beide vom California Institute of Technology, Caltech) und Rainer Weiss (Massachusetts Institute of Technology, MIT) gegründet, 2002 begann man mit den Messungen, erst 2015 gelang der Nachweis nach der Kollision zweier Schwarzer Löcher. Drever ist mittlerweile verstorben. Thorne und Weiss wurde gemeinsam mit Barry Barish der Physiknobelpreis 2017 zugesprochen.

Der Physiker Keith Thorne ist für Software im Observatorium Livingston zuständig.
Foto: Peter Illetschko

In Livingston arbeitet auch ein Physiker namens Thorne, er heißt freilich Keith und sagt gleich zur Begrüßung lächelnd, dass er kein Verwandter des Nobelpreisträgers ist. Er ist hier mit Datenakquisition und Softwareentwicklung beschäftigt. Fürwahr eine zentrale Aufgabe am Ligo-Observatorium, denn man muss echte Signale von "Fakes" unterscheiden können. Die Sensoren sind ja so empfindlich, dass man auch Wellen an Küstenstränden und den vorbeifahrenden Zug in großer Entfernung "sehen" kann.

"Das beschäftigt uns schon sehr", sagt Thorne. Auch nach der ersten Gravitationswellenmessung war man sich lange nicht sicher, ob es wirklich das war, wofür man es halten konnte. "Wir fürchteten, jemand hätte uns hacken können", erzählt Thorne. Und hat natürlich nach all den mäßig erfolgreichen Jahren zunächst einmal Witze gemacht über diejenigen, die von möglicherweise echten Daten sprachen: Ja, ja, passt schon. Doch allmählich wich die Skepsis. Man ließ sich Zeit mit der Veröffentlichung und konnte am Ende jeden Irrtum ausschließen. Das 0,2 Sekunden lange Signal war echt.

Schwierige Suche nach Mitteln

Thorne grinst, während er die Besucher über das Gelände führt und die Röhrenarme des besagten L zeigt, die von außen nichts von der hochsensiblen Hightech vermuten lassen, die sich in ihnen verbirgt. Seit 2003 ist er jetzt schon bei Ligo, seit 2008 hier in Livingston beschäftigt. Anfangs war es schwierig, Förderungen zu bekommen, erzählt er. Die National Science Foundation (NSF) war für derart große Projekte einfach nicht ausgerichtet. Nach einer Ted-X-Rede von Ligo-Mitbegründer Kip Thorne soll die Politik aber so begeistert gewesen sein, dass es zu einer Gesetzesänderung kam. Heute beträgt das Budget etwa 40 bis 45 Millionen Dollar (34 bis 38 Millionen Euro). Die Gesamtkosten der vergangenen Jahrzehnte liegen bei etwa einer Milliarde Dollar (850 Millionen Euro). Ligo in Livingston ist seit der Bestätigung der Einstein'schen Theorie auch populärer geworden: Besucher können derzeit jeden dritten Samstag im Monat ins Science Center des Observatoriums. Das war nicht immer so.

Ligo Livingston aus der Vogelperspektive: Datensammlung in the Middle of Nowhere.
Foto: Caltech/MIT/LIGO Lab

In Livingston arbeiten etwa 40 bis 50 Experten, in Hanford werden es wohl noch einmal so viele sein, und an den Forschungseinrichtungen MIT und Caltech, schätzt Thorne, sind etwa 100 mit Gravitationswellen beschäftigt. Das Observatorium ist derzeit für ein Upgrade 15 Monate offline, danach soll es schon eine 20-prozentige Leistungsverbesserung der Technik geben – aber man will mehr. Man bräuchte eine dringende Verbesserung der Infrastruktur – vor allem im mittlerweile 20 Jahre alten Vakuumsystem der Röhren. Thorne: "Wir wollen Ligo besser machen, wir brauchen größere Spiegel und stärkere Laser." Das braucht aber zusätzliche Mittel. Der Plan steht – bis 2021 sollen die neuen Technologien installiert werden. Aber Thorne weiß auch ganz genau, dass die Wissenschafter und Techniker jetzt einmal liefern müssen. "Wir haben lange nur aufgrund unserer Versprechungen Geld bekommen." Es gebe recht verrückte Ideen wie 40 Kilometer lange Messarme, aber jetzt will man einmal in die Gänge kommen.

Daten von mehreren Seiten

Und das heißt natürlich: Ergebnisse liefern. Wie berichtet konnten Gravitationswellen nach einer Neutronensternkollision gemessen werden – andere Forscher konnten das Ereignis über die Teleskope der Europäischen Südsternwarte (Eso) beobachten. Zuvor waren Nachweise nur nach der Kollision von Schwarzen Löchern möglich. Thorne gerät ins Schwärmen über die gleichzeitige Messung von Ligo und Eso: "So erhält man wesentlich mehr Daten von mehreren Seiten, viel mehr Informationen über die Beschaffenheit des Objekts." Irgendwann sollte es auch möglich sein, Pulsare, also einzelne Neutronensterne, und Supernovae, das kurze Aufleuchten von Sternen vor ihrem Lebensende, zu sehen.

Ligo ist für andere Observatorien auch eine Art Werkbank. Für jene Anlage, die in Indien geplant ist und wohl erst in acht Jahren mit Messungen beginnen kann, liefert man die Technik. Am Observatorium in Louisiana freut man sich schon darüber, aber vor allem jubelt man über aktuelle gelungene Forschungsarbeiten.

Groß gefeiert wird das wahrscheinlich nicht. Das hat man auch nach der Nobelpreisbekanntgabe nicht getan. Da gab es Kaffee und Kuchen. Thorne bescheiden: "Wir sind im Besitz einer Uni, nicht wie in Europa, wo man Wein und Bier in der Kantine bekommt." Der Chief Operator ergänzt fast trotzig: "Ich habe mir ein Bier genehmigt, nachdem ich das Observatorium verlassen hatte." (Peter Illetschko aus Livingston, 18.10.2017)