Die überwiegend von Jesiden bewohnte Region Sindschar, die im August 2014 vom IS überfallen worden war, stand in den letzten Monaten im Fokus von Auseinandersetzungen zwischen Barzanis Regionalregierung Kurdistans, jesidischen Anhängern der PKK und jesidischen Volksmobilisierungseinheiten, die mit Bagdad zusammenarbeiteten. Die Frontlinien der großen Konflikte gingen mitten durch das kleine Gebiet, dessen Bewohner immer noch großteils in Zeltlagern innerhalb Kurdistans oder auf dem Gebirgsstock des Dschabal Sindschar ausharrten. Am Dienstag räumten nun die Peschmerga von Barzanis PDK (Demokratische Partei Kurdistan) die von ihnen kontrollierten Gebiete Sindschars.

Etwa 5.000 Familien harren seit 2014 in Zelten auf dem Berg Sindschar aus.
Foto: Thomas Schmidinger

Zivilisten zwischen den Fronten

Bereits seit der Rückeroberung des Gebiets durch verschiedene rivalisierende Milizen waren die auf dem Berg Sindschar verbliebenen Zivilisten zunehmend zwischen die Fronten geraten. Aus den Befreiern, die die Überlebenden vom IS befreiten, war zunehmend ein Sicherheitsproblem geworden. Bereits seit 2014 baute man mit Hilfe der PKK-nahen Kämpfer der syrisch-kurdischen YPG und YPJ sowie der HPG die Widerstandseinheiten von Sindschar (YBŞ) und die Fraueneinheit von Êzîdxan (YJÊ) auf, die seit Herbst 2014 den Nordwesten der Region kontrollieren.

Diese PKK-nahen jesidischen Milizen standen in Rivalität mit den in die Region zurückgekehrten – nun im Gegensatz zu früher ebenfalls mehrheitlich jesidischen – Peschmerga der PDK, die den Nordosten der Region mit der Stadt Sindschar kontrollierten. Zwischen beiden Kräften standen einige Peschmerga-Einheiten der PUK und die Verteidigungskraft von Sindschar (HPŞ) unter ihrem Kommandanten Haydar Şeşo, die sich seit November 2015 Verteidigungskraft von Êzîdxan (HPÊ) nennt. Deren Hochburgen befinden sich ebenfalls im Nordosten der Region. Ursprünglich als Volksmobilisierungseinheiten in Bagdad registriert, unterstellte Haydar Şeşo, der Neffe des PDK-Peschmerga-Kommandanten Qasim Şeşo, seine HPÊ im März 2017 offiziell dem Peschmerga-Ministerium der Regionalregierung Kurdistans. Dieser, unter Druck erfolgte Wechsel, scheint nun wieder rückgängig gemacht zu werden.

Reklametafel mit Bildnis des Präsidenten Kurdistans, Masud Barzani.
Foto: APA/AFP/AHMAD AL-RUBAYE
Haydar Seso, Kommandant der Verteidigungskraft von Êzîdxan (HPÊ).
Foto: Thomas Schmidinger

Rückzug der Peschmerga

Nach dem Rückzug der Peschmerga aus Kirkuk und einigen anderen umstrittenen Gebieten am Montag, sind am Dienstag die Peschmerga von Barzanis PDK gestern auch aus Sindschar abgezogen. In der Früh verließen sie die völlig zerstörte Gebietshauptstadt Sindschar, am Nachmittag die Dörfer und Städte im Norden der Region, in die in den letzten beiden Jahren der Großteil der Bevölkerung zurückgekehrt war.

Die Kleinstadt Sinûnê, die in den letzten zwei Jahren zu einem neuen Zentrum des von der PDK beherrschten Teils Sindschars wurde, wurde im Lauf des Nachmittags allerdings nicht von der irakischen Armee oder den Volksmobilisierungseinheiten übernommen, sondern von den nebenan stationierten PKK-nahen YBŞ. Am 25. September hatten die Regionalregierung Kurdistans dort noch das Referendum über die Unabhängigkeit Kurdistans durchgeführt.

Werbung für das Unabhängigkeitsreferendum Kurdistans in Sinûnê.
Foto: Thomas Schmidinger

Jesidische Milizen bleiben

Nicht zurückgezogen und weiterhin in ihrer Hochburg Sherfedîn und den Dörfern Ghobal, Borik und Zorava präsent ist Haydar Şeşos HPÊ. Offenbar wird die HPÊ derzeit von der irakischen Regierung geduldet. Ob sie wieder zu den Hashd ash-Shaabi wechseln, wie es bereits vor März 2017 der Fall war, ist derzeit aber unklar. Von PDK-nahen Jesiden wird kolportiert, dass Haydar Şeşo mit den schiitisch-dominierten Volksmobilisierungseinheiten Bagdads kooperiere.

Gedenkstätte der PKK für die Gefallenen im Kampf gegen den IS um Sinjar.
Foto: Thomas Schmidinger

Auch die PKK-nahen Gruppen YBŞ und die Fraueneinheit YJÊ sind weiter in ihrem Gebiet im Nordwesten Sindschar präsent und kooperieren teilweise mit der HPÊ. Die YBŞ konnten sogar das von ihnen kontrollierte Gebiet ausweiten und übernahmen Sinûnê von den Peschmerga, nachdem diese die Stadt geräumt haben. Da YBŞ und der von ihnen gegründete Volksrat von Sindschar die Souveränität des Irak immer anerkannt und die irakische Fahne gehisst haben, kann es durchaus sein, das deren Gebiet (vorerst) unangetastet bleibt oder sogar ausgeweitet wird. (Thomas Schmidinger, 19.10.2017)