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Ein Vaterschaftstest und unbehagliche Zeit mit dem ansonsten abwesenden Vater.

Foto: AP/Ronald Zak

Der dänische Familientherapeut, Autor und STANDARD-Kolumnist Jesper Juul.

Foto: family Lab

Diese Serie entsteht in Kooperation mit Family Lab Österreich.

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Frage

Ich bin 20 Jahre alt und lebe noch bei meiner wundervollen Mutter und einem großartigen Bonusvater. Es beschäftigt mich etwas schon seit langer Zeit, und im Moment ist dieses Thema wieder sehr präsent.

Mein leiblicher Vater hat mehrere Kinder mit verschiedenen Frauen, bisher habe ich nur Kontakt zu meiner großen Schwester. Mein jüngerer Bruder hat mich, so empfinde ich es, abgelehnt. Mein älterer Bruder hat zwar meine Nummer, so wie ich auch seine, wir kontaktieren uns aber nicht. Meinen leiblichen Vater habe ich nie kennengelernt. Das Einzige, was ich wusste, war, dass meine Mutter Geld von ihm bekam. Vor ungefähr zwei Jahren erhielt ich einen Brief von einem Anwalt, der von meinem Vater beauftragt wurde und behauptete, ich sei nicht seine Tochter.

Nachdem ich mich mit dem Anwalt und meinem Vater in Verbindung gesetzt hatte, wurde ein gemeinsamer Termin vereinbart. Meine Mutter sagte offen zu mir, dass ich diesbezüglich nichts zu befürchten hätte, denn er sei mein leiblicher Vater. Kurz vor unserem Treffen versuchte ich mich "aufzurichten und für alles bereit zu sein". Es ist tatsächlich nichts Schlimmes geschehen, denn er sagte Folgendes: "Der Grund, warum ich dich sehen will, ist ein Vaterschaftstest, den ich machen will, um es auf Papier zu haben." Eine andere Sache wäre, dass er von Leuten gehört habe, dass meine Mutter auch andere Männer besucht hätten, während er mit ihr zusammen war. Die letzte Behauptung klang fast so, als hätte er meine Mutter eine Hure genannt, um es milde auszudrücken.

Ich hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Nachdem wir ein wenig geredet hatten, stimmte ich zu, den Arzt zu kontaktieren und einen Termin zu vereinbaren, und er fuhr mich zur Bushaltestelle. Kurz nach dem Verlassen des Autos saß ich auf einer Bank, um auf den Bus zu warten. Plötzlich kam Wut, Enttäuschung, Ablehnung und Hass über mich.

Unangenehme Stunden

Es dauerte fast drei Monate, bis ich etwas hörte. Ich dachte, vielleicht hatte er es vergessen, was ich auch hoffte. Aber nein, hat er nicht. Er rief eines Montags an und sagte, wir sollten am Mittwoch den Test machen. Dieser Tag war die reine Folter, ich hatte schreckliche Kopfschmerzen, die zwar verschwanden, wenn mich jemand ablenkte, aber ich habe es nicht in die Schule geschafft. Ich schaffte es aber zu sagen, dass dieser Test idiotisch sei, als er mich abholte. Ich sagte, dass ich wie meine ältere Schwester und mein jüngerer Bruder aussehe. Mein Vater stimmte mir zu, wollte aber dennoch den Test machen, der schließlich ergab, dass er mein leiblicher Vater ist.

Wir verbrachten zwei Stunden und 15 Minuten zusammen. Die schlimmsten Stunden meines Lebens. Wir machten nicht nur den Test, sondern waren auch gemeinsam etwas essen, das er bezahlte. Es war mir peinlich, nahe bei ihm zu sitzen und Zeit mit ihm zu verbringen. Als ich also auf die Uhr sah und sah, dass der Bus "bald" ging, entschied ich, dass wir genug Zeit miteinander verbracht hatten. Er umarmte mich und ging in die andere Richtung. Seitdem habe ich ihn einmal gesehen, zum Glück hat er mich nicht gesehen. Obwohl die Leute mir sagen, dass es die Vergangenheit ist und ich es einfach vergessen soll, spüre ich Enttäuschung und Ablehnung. War es nicht genug, dass er mich schon einmal ablehnte? Soll ich die Telefonnummer, die ich von meinem älteren Bruder habe, endlich verwenden und anrufen? Sollte ich einen Brief, den ich an meinen Vater geschrieben habe, wirklich verschicken?

Antwort

Es war eine unangenehme Situation, in die Ihr leiblicher Vater Sie gebracht hat – noch dazu ohne Empathie. Er scheint tatsächlich ehrlich zu sein, aber Ehrlichkeit ohne Liebe ist oft genauso verletzend, wie Sie es jetzt erleben.

Lassen Sie mich versuchen, die Bedingungen in Ihrem Leben zu skizzieren. Ihre Mutter hat Ihnen von Anfang an vom leiblichen Vater erzählt, und irgendwo wollten Sie ihn "behalten". Jetzt, aufgrund seines völlig selbstsüchtigen Motivs und nach seinem Timing, ist ein potenziell positives und bereicherndes Treffen problematisch, verletzend und wirklich bedeutungslos geworden.

Dies könnte zu einer ernsthaften Identitätskrise führen, was nicht geschehen ist – dank Ihrer Familie. Ihre emotionalen Reaktionen auf das Verhalten Ihres Vaters sind gesund, relevant und natürlich, und wenn ich Sie wäre, hätte ich volles Vertrauen in mich, in mein Bauchgefühl, wann die richtige Zeit ist, meinen älteren Halbbruder zu kontaktieren und zu sehen. Was den Brief betrifft, der an Ihren Vater gerichtet ist, werden Sie selbst am besten wissen, was damit geschehen soll. Solange Zweifel bestehen, schicken sie ihn nicht ab.

Mit dem möglicherweise zukünftigen Kontakt zu Ihrem Halbbruder verhält es sich ganz anders. Vielleicht möchten Sie Ihren Halbbruder aufsuchen, um zu wissen, wer er ist, und die Möglichkeiten prüfen, ihn in Ihre Familie oder Ihr Netzwerk aufzunehmen. Wenn er Nein dazu sagt, gibt es keinen Grund, sich abgelehnt zu fühlen – er will einfach nicht das Gleiche, was Sie wollen, und es macht keinen Sinn, das persönlich zu nehmen. Ein Fremder, an dem Sie interessiert sind, interessiert sich nicht für Sie!

Ihren leiblichen Vater betreffend liegt der Fall etwas anders. In dieser Beziehung stecken ein paar mehr Gefühle. Es wäre gut, wenn Ihr inneres Gleichgewicht auf die richtige Adresse, nämlich Ihren Vater, ausgerichtet ist. Ob Sie dies schriftlich tun oder ihn um eine persönliche Konfrontation bitten, ist wahrscheinlich nicht so wichtig. Er hat Sie für kurze Zeit aus dem Gleichgewicht gebracht, und Sie werden es wiederfinden – mit oder ohne seine Hilfe. Es scheint, als hätten Sie eine offene und liebevolle Beziehung zu Ihrem Bonusvater, und ich denke, das beruht auf Gegenseitigkeit. Meine Idee ist, dass Sie ihn entweder einladen oder zu Hause beim Abendessen eine kleine Rede halten, um ihm zu sagen, was er für Ihr Leben bedeutet. Es wird ihn glücklich machen, während er Ihnen hilft, die Tür zu Ihrem biologischen Vaters hinter Ihnen zu schließen. (Jesper Juul, 22.10.2017)