Musikdokumentationen beinhalten gern sehr wenig Musik, ein wenig verwackelte Konzertschnipsel aus den Anfangstagen einer Karriere, Menschen, die missmutig und leicht verkatert in Hotels ein- und auschecken oder zum Flughafen fahren und dabei ins graue Nichts von Industriezonen in der urbanen Peripherie starren. Irgendwann kommt dann Bono von U2 mit einer Sonnenbrille, für die sich selbst Oligarchengattinnen schämen würden, und erklärt der Kamera, dass es ohne die Band Hinz oder den Sänger Kunz U2 nie gegeben hätte. Das führt beim Kinopublikum zu einem Grummeln, mit dem Marge Simpson ihrem Bedauern wie ihrer Wut Ausdruck verleiht.

Jason Williamson lässt mit seinen Hasstiraden Dampf ab.
Foto: Viennale

Im Fall des britischen Duos Sleaford Mods verhält es sich etwas anders. Erstens sind die beiden Protagonisten Jason Williamson und Andrew Fearn kreativ noch längst nicht stillgelegt. Zweitens ist das proletarische Geschimpfe und nihilistische Gekeife dieses Duos aus Nottingham weit jenseits von Weltumarmung, dem lieben Herrn Jesus und Mahnwachen von Bono bei einem Abendessen im Rahmen eines G8-Gipfels angesiedelt.

Die Sleaford Mods machen mit sturen Hip-Hop-Beats und stumpfen Punkrock-Riffs im Stile von Iggy Pop und I Wanna Be Your Dog den passenden Soundtrack zum Untergang der westlichen Sozialstaaten und einer Generation, die sich vor der Altersarmut nicht fürchten muss, weil es auch vorher nicht genug Geld gibt.

Munro Films

Für die Dokumentation Bunch of Kunst – A Film About Sleaford Mods war die Berliner Regisseurin Christine Franz vor zwei Jahren zur rechten Zeit am richtigen Ort. Sie begleitete das in den Hinterzimmern britischer Pubs mit geifernden und gespuckten sozialen Zustandsbeschreibungen des ehemaligen Callcenterarbeiters Jason Williamson bekanntgewordene Duo auf dem Sprung zur internationalen Karriere und Auftritten bei (verhassten) Großfestivals.

Der Film erzählt vor allem aber auch die Geschichte ihres Freundes und Managers Steve Underwood als gutem Geist hinter dem Erfolg. Und er präsentiert neben Interviews mit Konzertbesuchern, die in den Sleaford Mods so etwas wie Fürsprecher für ihre eigene miserable Lebenssituation sehen, statt Bono eben auch Iggy Pop. Der gibt als väterlicher Fan der Band den Märchenonkel und rezitiert aus dem großen, in Nottingham von Jason Williamson niedergeschriebenen Buch des Hasses. Im konkreten Fall Williamsons Masturbationserlebnisse auf dem Klo eines Kunstsammlers. (Christian Schachinger, 19.10.2017)