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Katalanische Demonstranten riefen bereits bei Demonstrationen vor einigen Tagen die EU um Hilfe. Spanien plant, am Samstag der Region die Autonomie zu entziehen, sollte sie den Pfad zur Abtrennung nicht eindeutig verlassen.

Foto: Reuters / Gonzalo Fuentes

Barcelona/Madrid – Spaniens Regierung und die Separatisten in Katalonien treiben ihren Streit über die Abspaltung der Region auf die Spitze. Die Zentralregierung in Madrid warnte, sie werde am Samstag die formelle Machtübernahme in der autonomen Provinz einleiten. Die Regionalregierung hatte am Donnerstag ein zweites Ultimatum ignoriert, sich klar zur Einheit Spaniens zu bekennen. Kataloniens Regierungschef Carles Puigdemont drohte stattdessen, bei einer Zwangsverwaltung durch die Zentralregierung die Unabhängigkeit auszurufen. An Europas Börsen stieg die Nervosität, der Eurokurs bröckelte vorübergehend ab, erholte sich aber später wieder.

Erstmals seit seiner Rückkehr zur Demokratie vor knapp 40 Jahren steht Spanien damit vor einer Zerreißprobe: Bisher wurde der Artikel 155 in der Verfassung von 1978 noch nie angewendet. Er sieht den Entzug von Autonomierechten und die Unterstellung unter die Zentralverwaltung in Madrid vor, wenn sich eine der 17 Region nicht an die Verfassung hält. Vorbild für die Regelung ist der Artikel 37 ("Bundeszwang") im deutschen Grundgesetz, mit dem der Bund gegenüber den Ländern notfalls ein Weisungsrecht durchsetzen kann. Dem Schritt muss in Deutschland der Bundesrat zustimmen, in Spanien der Senat mit seinen Regionalvertretern.

Unabhängigkeit vorerst ruhend gestellt

Ministerpräsident Mariano Rajoy rief sein Kabinett für Samstag zu einer Sondersitzung zusammen. "Die Regierung wird alle zur Verfügung stehenden Mittel nutzen, um so schnell wie möglich Gesetze und Verfassungsordnung wiederherzustellen", sagte Regierungssprecher Inigo Mendez de Vigo. Ziel sei es, zurück zu einem friedlichen Zusammenleben der Bürger zu kommen und den wirtschaftlichen Schaden zu stoppen. Die oppositionellen Sozialisten sagten der Regierung für ihr Vorgehen Unterstützung zu, regten aber an, dass die Zwangsmaßnahmen zeitlich und inhaltlich begrenzt werden sollten.

Der Streit über die Unabhängigkeit treibt seit Wochen immer wieder Hunderttausende Befürworter und Gegner der Unabhängigkeit auf die Straßen. Seit dem umstrittenen Unabhängigkeitsreferendum am 1. Oktober haben nach offiziellen Zahlen 700 Unternehmen ihren Firmensitze aus Katalonien verlagert.

Sollte Katalonien unter Kuratel gestellt werden, könnte die Zentralregierung dort die Kontrolle über Polizei und Finanzen übernehmen und Neuwahlen ausrufen. Nach dem Referendum hatten Puigdemont und andere katalanische Politiker am 10. Oktober eine Unabhängigkeitserklärung unterzeichnet, diese aber sofort wieder außer Vollzug gesetzt. Die Zentralregierung hatte die Regionalregierung daraufhin zwei Mal ultimativ aufgefordert zu erklären, ob die Unabhängigkeitserklärung gilt. Puigdemont vermied sowohl in seinem Schreiben am Montag als auch in seinem Brief am Donnerstag eine klare Aussage dazu.

Drohung mit Unabhängigkeit

Puigdemont machte in seinem zweiten Schreiben an Rajoy deutlich, dass er sich nicht beugen will. "Wenn die Regierung weiter den Dialog verhindert und mit der Unterdrückung weitermacht, könnte das katalanische Parlament fortfahren (...), über eine formelle Unabhängigkeitserklärung abzustimmen." Wann das geschehen könnte, ließ er offen. Puigdemont steht auch im eigenen Lager unter Druck. Er führt eine aus vier Parteien bestehende Minderheitsregierung an, die auf die Tolerierung durch die CUP angewiesen ist, die auf eine zügige Abspaltung dringt.

Wegen des Streits hatten mehrere Unternehmen angekündigt, ihre juristischen Hauptsitze aus der Region zu verlegen. Zudem hat die spanische Regierung bereits ihre Wachstumsprognose für 2018 reduziert. Börsen-Händler sagte, die Katalonien-Krise sorge am Markt für Unsicherheit. Der Leitindex der Börse Madrid gab ein Prozent nach. Auch der deutsche Dax und der EuroStoxx50 lagen zum Mittag im Minus. Die Risikoaufschläge für spanische Staatsanleihen legten zu.

Sollte die spanische Regierung am Samstag den Artikel 155 aktivieren, müsste sie sich anschließend noch grünes Licht vom Senat holen, was einige Tage dauern könnte. Dort haben Rajoys Konservative zumindest rechnerisch eine Mehrheit. Rajoy hatte der katalanischen Regierung mehrfach vorgeworfen, das Recht zu brechen und von Beginn an einen harten Kurs gewählt. Die Verfassung lässt eine Abspaltung eines Landesteils nicht zu. Puigdemont droht Experten zufolge eine Anklage wegen Rebellion. (Reuters, 19.10.2017)