Wirtschaftskanzleien müssen sich auf neue Herausforderungen einstellen.

Illustration: Davor Markovic

In Österreich halten die großen Kanzleien am Partnerschaftsmodell fest.

Illustration: Davor Markovic

"Was jetzt in den USA passiert, ist in drei bis fünf Jahren auch bei uns. Das wird wie ein Tsunami kommen." Leo Staub, Professor für Law & Management, Universität St. Gallen

"Ich verbinde das operative Management mit der Vertrauensrolle, die einem Geschäftsführer, der nciht aus der Branche kommt, nicht in dieser Form entgegengebracht wird." Gudrun Stangl, Chief Operating Officer und Partnerin, Schönherr Rechtsanwälte

"Die Entscheidungsfindung dauert in einer Partnerschaft länger. Aber weil sie auf breiteren Beinen stehen, sind die Entscheidungen tiefer verankert." Erik Steger, Managing Partner, Wolf Theiss Rechtsanwälte

Es beginnt meist ganz klein: Zwei oder drei junge Anwälte schließen sich in einer Kanzlei zusammen, haben Erfolg, nehmen weitere Anwälte auf, von denen einige Partner werden. Die Sozietät wächst – und ist plötzlich ein Dienstleistungsunternehmen mit mehreren hundert Mitarbeitern, in anderen Ländern geht es sogar in die Tausende. Aber die Managementstruktur ist seit den Anfangszeiten gleich geblieben. Jeder Anwalt betreut seine Klienten, einige kümmern sich um gemeinsame Bereiche wie Finanzen, IT oder Marketing, und Beschlüsse werden gemeinschaftlich gefasst. Marktanalyse und strategische Planung geschehen nur nebenbei.

Doch dieses bewährte System sei in Gefahr, warnt Leo Staub, Professor für Law & Management an der Universität St. Gallen. Die Anwaltsbranche habe lange in einem geschützten Markt gelebt, sei stark gewachsen und habe selbst die Finanzkrise gut verkraftet. "Wir sind schwerfällig geworden", sagt Staub, der selbst Anwalt ist. Ein Dutzend neuer Trends zwingt partnerschaftlich geführte Großkanzleien, sich nun neu zu organisieren und ihr Geschäftsmodell zu überdenken. Dazu zählen neue Technologien wie künstliche Intelligenz, die gewisse rechtliche Arbeitsschritte wie etwa die Due Diligence automatisieren. Das werde neue, kostengünstigere Anbieter in den Markt locken, meint Staub.

Legal Services werden zunehmend segmentiert, ist Staub überzeugt. "Anspruchsvolle Mandanten erkennen, dass ihr Problem aus verschiedenen Teilproblemen besteht, und sie werden Topanwälten ihre hohen Stundensätze nur bezahlen, wenn deren Expertise im Einzelfall wirklich gefragt ist. Das Butter-und-Brot-Geschäft können auch andere."

Statt alles aus einer Hand zu nehmen, könnten Klienten durch die Leistungen verschiedener spezialisierter Kanzleien Wertschöpfungsketten aufbauen. Um hier dabei zu sein, müssten auch große Kanzleien international noch viel mehr in Netzwerken zusammenarbeiten.

Neue Preispolitik

Der Kostendruck vonseiten der Mandanten werde weiter steigen – und eine neue Preispolitik notwendig machen. "Auch wer sein Haus anmalen lassen will, zahlt nicht nach Stunden", sagt Staub. "Große Kunden verlangen immer öfter Fixpreise, das Kalkulationsrisiko liegt dann bei der Kanzlei und nicht mehr beim Kunden. Das löst bereits viel Stress in der Branche aus, und der wird weiter wachsen."

Und schließlich müsse man sich darauf einstellen, dass die Generation Y der in den 80ern und 90ern Geborenen, die nun alt genug sind, Partner zu werden, weniger traditionelle Vorstellungen von der Arbeitswelt hat als die ältere Generation und mehr Flexibilität und Individualität fordert.

Die drei Hauptaufgaben für Wirtschaftskanzleien beschreibt Staub so:

  • die Formulierung einer klaren Strategie, die auf der Marktposition und den besonderen Stärken des eigenen Hauses beruht;
  • eine intensive Beschäftigung mit technologischen Entwicklungen ("Was jetzt in den USA passiert, ist in drei bis fünf Jahren auch bei uns. Das wird wie ein Tsunami kommen"); und
  • ein besseres Verständnis für die Wünsche und Bedürfnisse der Generation Y. "Man sollte den jungen Leuten zuhören und sich damit auseinandersetzen, was sie wollen."

Kanzleien müssten letztlich mehr wie normale Unternehmen geführt werden, wo die wichtigsten Bereiche professionalisiert sind, ist Staub überzeugt. Die partnerschaftliche Eigentümerstruktur könne dabei erhalten bleiben, dürfe aber nicht das Tagesgeschäft bestimmen. Als Vorbild sieht er etwa die großen Wirtschaftsprüfungs- und Unternehmensberatungsgesellschaften an, die zwar in ihrer Eigentümerstruktur auf Partnerschaften basieren, aber als Unternehmen schlagkräftiger aufgestellt sind.

Frau als Managerin

Eine große Wiener Kanzlei, die von sich behauptet, diesen Weg bereits eingeschlagen zu haben, ist Schönherr. Dort wurde 2013 die Partnerin Gudrun Stangl zum Chief Operating Officer (COO) ernannt und ist seit Jahresanfang Vollmitglied im fünfköpfigen Steering Committee, das vom Managing Partner Michael Lagler geleitet wird. Darin sitzen neben Stangl und Lagler zwei weitere Partner, die ebenso wie Lagler Vollzeit im Beratungsgeschäft tätig sind, sowie ein externes Mitglied, der Schweizer Manager Peter Kurer. Dem Steering Committee ist die Gesellschafterversammlung übergeordnet, die strategische Entscheidungen trifft.

Stangl war 13 Jahre als Anwältin bei Schönherr tätig, heute ist sie vorrangig Managerin. "Wir haben mit unserer Corporate-Governance-Struktur eine Vorreiterrolle am österreichischen Markt", sagt Stangl, die zusätzlich eine MBA-Ausbildung gemacht hat. "Ich verbinde das operative Management mit der Vertrauensrolle, die einem Fremdgeschäftsführer, der nicht aus der Branche kommt, nicht in dieser Form entgegengebracht wird. Meine Partner schätzen es sehr, dass jemand, der ihre Sprache spricht, die kaufmännischen Agenden der Sozietät führt."

Schönherr glaubt damit den Spagat zwischen einer Kultur des Freiberuflertums mit starken juristischen Persönlichkeiten und den Notwendigkeiten eines Dienstleistungsunternehmens mit 29 Equity-Partnern und 290 Juristen in 14 Ländern zu schaffen. Es sei immer noch typisch für eine Kanzlei, dass hier weniger angeordnet und mehr diskutiert wird, sagt Lagler. "Eine partnerschaftliche Struktur zeichnet sich dadurch aus, dass man viel miteinander redet", sagt er. "Man muss jede Entscheidung intern verkaufen, man muss überzeugen."

Anwälte seien es gewohnt, sich immer wieder auf neue Situationen einzustellen. Nach der Finanzkrise 2008 habe sich Banking & Finance völlig neu ausgerichtet, sagt Lagler, und klassisches M&A sei temporär durch Distressed M&A verdrängt worden. Mittlerweile ist das Transaktionsgeschäft wieder auf Vorkrisenniveau.

Und nun ist die Digitalisierung der Rechtsbranche in aller Munde. Bei Schönherr beschäftige sich ein eigenes Juristenteam mit Rechtsfragen rund um die nächste industrielle Revolution. "Wir sind nahe am Markt", sagt Stangl. "Wir begleiten und beraten unsere Mandanten bei ihren aktuellen Herausforderungen."

Feste Preise oder nicht

Manche neuen Ansätze werden noch nicht angenommen, sagt Stangl. "Wir setzen uns schon seit längerem mit alternativen Honorarmodellen auseinander. Derzeit bevorzugt der Klient jedoch überwiegend den klassischen Stundensatz mit unterschiedlichen Rabattierungsmodellen, der Vergleichbarkeit und Transparenz wegen." Man könne zwar mit einer Zunahme von Festpreismodellen rechnen, aber nur in ganz bestimmten Fachbereichen wie etwa Transaktionen.

Auch Wolf Theiss, Österreichs größte Anwaltskanzlei, hat vor einigen Jahren mit einem COO experimentiert, der allerdings kein Anwalt war. Das habe nicht so gut funktioniert, sagt Managing Partner Erik Steger. Er wurde 2010 zum Vorsitzenden eines dreiköpfigen Managementteams gewählt und ist selbst seither zu 80 Prozent mit Leitungsaufgaben beschäftigt; Beratung macht bei ihm nur noch ein Fünftel seiner Tätigkeit aus, bei den anderen beiden Mitgliedern, Richard Wolf und Nikolaus Paul, ist es mehr. Fünfmal im Jahr treffen sich die Miteigentümer, die 28 Equity-Partner, dazwischen gibt es Umlaufbeschlüsse. Mit diesem System sei man zuletzt sehr gut gefahren, sagt Steger.

Stärkere Konzernstrukturen seien für Kanzleien von der Größe von Wolf Theiss, das in Österreich und CEE 340 Juristen beschäftigt, unpassend. Das sei auch in deutschen Großkanzleien, wo es bis zu 70 Partner gibt, nicht anders. Erst die Riesenkanzleien im angelsächsischen Raum mit 500 Partnern oder mehr benötigten andere Strukturen, sagt Steger. "Wir wären nicht besser, wenn wir Corporate wären", sagt er.

"Anwälte werden dann zu gemanagten Ressourcen, soweit sie sich das gefallen lassen. Sie verlieren das Gefühl, mitzugestalten, das eigene Unternehmen zu fördern und zu überlegen, was sie hinterlassen, wenn sie in Pension gehen. Die Entscheidungsfindung dauert in einer Partnerschaft länger und ist nicht immer so präzise, weil sie auf Kompromissen beruht. Aber weil sie auf breiteren Beinen stehen, sind die Entscheidungen tiefer verankert."

Neue Wege

Aber auch Steger sieht längerfristig andere Modelle, die sich auch hierzulande etablieren könnten. So können sich in Großbritannien Investoren an Kanzleien beteiligen und diese an die Börse führen. Das sei in Kontinentaleuropa noch nicht möglich und würde die Unabhängigkeit des Anwalts infrage stellen. "Aber auch in Großbritannien ist der Himmel nicht auf den Kopf gefallen", sagt Steger.

Kanzleien gingen dort neue Wege, indem sie mit viel Technologie und kalkuliertem Risiko gewisse skalierbare Rechtsbereiche hochgradig effizient und kostengünstig zu Pauschalpreisen abdecken. Das geht dort, wo sich Fälle gleichen, etwa bei Fluggastverspätungen, oder wo intelligente Computer tausende Dokumente nach gewissen Stichwörtern durchforsten können.

Das sei ein ganz anderes Arbeitsumfeld, betont Steger: "Das ist auch eine Frage der persönlichen Einstellung: Welche Art von Anwalt will ich sein, in welcher Kanzlei will ich tätig sein?"

In den Märkten in Mitteleuropa sei man vor dieser neuen Konkurrenz noch einige Jahre geschützt, auch durch die Barrieren, die durch die vielen verschiedenen Sprachen entstehen, sagt Steger. "Und wir können zum Glück immer beobachten, was im angloamerikanischen Raum geschieht, wo neue Produkte zuerst angeboten werden. Dort findet kostenintensives Lernen durch Scheitern statt, bevor sie den Sprung in die kleineren Märkte machen. Wir haben ein wenig Vorwarnung vor dem Tsunami." (Eric Frey, Wirtschaft & Recht Journal, 22.10.2017)