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Die katalanische Unabhängigkeit will Madrid um jeden Preis verhindern.

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Politiker beider Seiten setzen auf Konflikt, sagt der Politologe Antonio Muñoz Sánchez.

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Am 1. Oktober ging die spanische Polizei hart gegen katalanische Demonstranten und Wähler vor.

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STANDARD: Sie forschen zum Übergang Spaniens von der Franco-Diktatur zur Demokratie. Was ist denn da in den vergangenen vier Jahrzehnten schiefgegangen in Katalonien?

Muñoz: Bis zur Wirtschaftskrise 2008 wurde der Übergang zur Demokratie von der überwiegenden Mehrheit der Spanier sehr positiv bewertet. Nicht ohne Grund. Denn die "Transición" hat eine friedliche Überwindung des Frankismus ermöglicht, die Risse des Bürgerkriegs geschlossen, Spanien das Tor zu europäischen Familie geöffnet und last but not least einen Prozess der politischen Dezentralisierung in Gang gesetzt. Und auch die große Mehrheit der Katalanen war also bis vor einem Jahrzehnt mit dem Status quo zufrieden. Hätte es keine Wirtschaftskrise gegeben, wären wir sicher nicht in der heutigen Situation. Die aktuellen Probleme sind also keine direkte und logische Folge des Übergangs zu Demokratie. Es ist etwas kindisch, den schwarzen Peter einer Generation zu geben, die fast ausgestorben ist. Das Land ist zu lange stehengeblieben und hat die Lösungen, die damals den Übergang ermöglicht haben, einfach fortgeführt. Fehlende Debatte, Furcht vor Konfrontation und das Schweigen über die Vergangenheit sind keine Basis für eine gesunde Demokratie. Die extreme Wendung vieler Katalanen zum Independentismus (dem Streben nach Unabhängigkeit, Anm.) kann man ohne diese fehlende demokratische Kultur im Spanien der vergangenen vierzig Jahre nicht erklären.

STANDARD: Der Regierung Rajoy und der Guardia Civil werden von Katalanen "Franco-Methoden" vorgeworfen. Wie viel Schuld an der Eskalation trägt Madrid denn?

Muñoz: Der Partido Popular (PP) trägt zweifellos eine große Verantwortung für die heutige Situation, weil er den spanischen Nationalismus und den Antikatalanismus als politische Waffen benutzt hat. Die Tragik ist, dass PP den Konfrontationskurs zu genießen schient, denn es spricht niemand mehr von seinen Korruptionsfällen oder von der katastrophalen soziale Lage in Spanien. Im Kern der Sache macht der PP in der jetzigen Situation aber das, was jede andere demokratische Regierung auf der Welt machen würde. Nach dem Gesetz haben sie keine andere Wahl, als auf Konfrontation zu gehen, weil die katalanische Regierung auch auf Konfrontation gesetzt hat und sich seit Wochen außerhalb jeder Legalität bewegt. Der Weg in die Sackgasse hat aber viel mit der Art und Weise zu tun, wie in Spanien Politik gemacht wird, wo Dinge wie Dialog, Zuneigung und Respekt wenig Beachtung finden. Und hier sind alle Seiten verantwortlich.

STANDARD: Wie viel Kontinuität zum Franco-Regime sehen Sie im regierenden Partido Popular?

Muñoz: Als Ende der 90er-Jahre José María Aznar an die Macht kam, wurde er von den katalanischen gemäßigten Nationalisten unterstützt. Der PP schien damals seine DNA als nationalistische Partei mit tiefen frankistischen Wurzeln, die er seit seiner Gründung durch ehemalige Franco-Minister war, endlich abgelegt zu haben. Es war aber nicht so. 2000 gewann PP die Wahlen mit absoluter Mehrheit und brauchte die Unterstützung der Katalanen nicht mehr. So konnte Aznar sein bei vielen an der Peripherie Spaniens unpopuläres Vorhaben der Zentralisierung lancieren. Der PP versuchte den spanischen Nationalismus, der bis dato von vielen Spaniern als eine Art Surrogat des Frankismus angesehen wurde, wieder salonfähig zu machen. Nach dem alten Schema wurden die regionalen Nationalismen als bedrohlich für die Heimat abgestempelt. Manche seiner Unterstützer hingegen waren zufrieden, dass man endlich wieder die spanische Fahne zeigen konnte, ohne Frankist genannt zu werden. In der Opposition baute der PP diese Strategie weiter aus, organisierte zum Beispiel eine aggressive Kampagne gegen den katalanischen Anspruch auf ein neues Autonomiestatut.

STANDARD: Der Artikel 155 der spanischen Verfassung gilt als "nukleare Option", er ermächtigt Madrid, den Autonomiestatus Kataloniens aufzuheben, notfalls auch mit Gewalt. Wie weit würde die Zentralregierung schlussendlich gehen?

Muñoz: Mithilfe einer aggressiven Kampagne in den Medien hat die Regierung in der letzten Woche eine Stimmung im Land geschaffen, die ihr einen harten Kurs gegen die regionale Regierung ermöglicht, ja fast dazu zwingt. Anstatt auf einen Mittelweg oder Dialog zu setzen, wird sie so hart wie möglich vorgehen. Die Aufhebung der Autonomie, die nicht nur von den Befürwortern der Unabhängigkeit, sondern auch von der Mehrheit der Katalanen als frontale Attacke verstanden wird, wird so als eine logische und angemessene Maßnahme angesehen. Die katalanische Regierung ist aber keineswegs unschuldig an der Eskalation. Genauso wie Madrid setzt auch Barcelona auf Konfrontation. Wir haben es hier also mit Politikern zu tun, die Brandstifter sind. (Florian Niederndorfer, 19.10.2017)