Lebenshelferin: Hanna Binder als Hostess im Werk X.


Foto: Yasmina Haddad

Wien – Im Meidlinger Kabelwerk ist seit geraumer Zeit das Werk X untergebracht, eine gute Adresse für feinen Theaterkrawall. Dieser Tage hat ausgerechnet ein "Zentrum für Identitätsfindung" in dem Industriebau die Pforten geöffnet. Zuständig ist diese temporäre Operneinrichtung für den politischen Zustand in unserer Lebenswelt, also für beinahe alles. Wer den dringenden Wunsch verspürt, kann sich hier identitätspolitisch auf den Zahn fühlen lassen.

Unter dem schmerzenden englischen Titel Me Are the World wird den Österreichern eine bezaubernde Art von Nachwahlhilfe zuteil. Schorsch Kamerun, Sänger und Texter der famosen Goldenen Zitronen, forscht nach Gründen. Ihm will nicht recht einleuchten, warum der Neopopulismus in unser aller Bewusstsein einsickert. Er mag nicht glauben, wie der Egoismus die Ängste schürt, wie zugleich das Ego-Marketing boomt und das politische Phlegma befördert wird.

Kamerun, der Art-Punk aus Hamburg, steht hinter einer DJ-Konsole (Assistenz: PC Nackt). Gelegentlich schlägt er aufs Xylofon und fragt mit wohllautender Suada nach dem Stand der Dinge: "Was meinen sie damit, dass sie ein Volk sind?" Kamerun ist längst ein gewohnter Gast an deutschen Stadttheatern. Er kann die Soziolekte unserer Tage wie kein Zweiter kneten und verbiegen, so lange, bis sie ihren inhumanen Sinn preisgeben: "Ich sehe ein sehr enges Spektrum / An Angstbewältigungsstrategien ..."

Rund um ihn haben zahlreiche Mitwirkende auf drei Spielebenen eine Therapiezentrale errichtet. Begehbar ist hier alles. Entlang von Bodenmarkierungen, beschirmt von Kopfhörern und daher mit dem Genöle Kameruns im Ohr, schreitet der Flaneur durch eine Gegenwelt der Armut, die voller verpasster Zivilisierungschancen ist. Heizkörper finden sich ebenso ausgestellt wie Therapielampen, Kunstweihnachtsbäume oder Ofenrohrstücke. Zitat: "Der Anschluss ist gelungen!"

Erregte Hostessen sondern Meinungsschrott ab. Man wird meditativ gestimmt in diesem Erstversorgungslager, in dem auch Schubert erklingt. "Das Ende aller Vielfalt" (Untertitel) wird von dieser tollen Produktion hinausgezögert. Immerhin. (Ronald Pohl, 20.10.2017)