Kohlmeisen zählen zu den häufigsten Gästen an der Futterstation. Die Vögel mit Körner und Meisenknödel zu versorgen hat einen evolutionären Einfluss auf das Aussehen der Tiere, wie sich nun gezeigt hat.

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Wageningen/Wien – Ob man Vögeln mit Futter durch den Winter helfen soll, darüber gehen die Meinungen auseinander. Während die einen darin einen wichtigen Beitrag zum Artenschutz sehen, halten andere Experten diese Praxis sogar für gefährlich. Eine im Februar veröffentlichte US-Studie beispielsweise kommt zu dem Schluss, dass Futterstellen auch Nesträuber anziehen, was die Überlebensrate von Singvögeln insgesamt verringern kann.

Britische Meisen haben längere Schnäbel

In jedem Fall wirkt sich das Füttern bei einigen Arten durchaus gravierend aus – und zwar nicht nur auf das Verhalten, sondern offenbar auch auf körperliche Merkmale, wie nun eine groß angelegte genetische Studie in Großbritannien und den Niederlanden zeigen konnte.

Ein internationales Team um Mirte Bosse von der Universität Wageningen hat die Genome von mehr als 3000 Kohlmeisen analysiert und dabei Unterschiede bei Vögeln aus den beiden Ländern festgestellt, die in direktem Zusammenhang mit der jeweiligen Schnabelgröße stehen.

Weitere Untersuchungen erhärteten diesen Befund: Die britischen Meisen hatten im Durchschnitt signifikant längere Schnäbel entwickelt, was die Forscher auf natürliche Selektion zurückführten. Woher der Selektionsdruck kam, blieb zunächst jedoch unklar. Erst der Vergleich der Fütterungspraxis in beiden Ländern lieferte einen Hinweis: In Großbritannien ist das Füttern von Gartenvögeln seit einigen Jahrzehnten wesentlich weiter verbreitet als in den Niederlanden.

Rasante Evolution

Dies und die Beobachtung, dass im Schnitt mehr langschnäbelige Kohlmeisen an den Futterstellen erschienen und sich dadurch erfolgreicher vermehrten als jene mit kürzeren Schnäbeln, führte die Forscher im Fachjournal "Science" zu der Schlussfolgerung: Die Abgabe von Futter hat einen deutlichen evolutionären Einfluss auf die Vögel – und einen überraschend schnellen noch dazu, denn Kohlmeisen mit längeren Schnäbeln tauchten erst zu Beginn der 1970er-Jahre auf. (tberg, 21.10.2017)