Der Fachbegriff dafür, mit aufkommenden Gefühlen gut umgehen zu können, heißt "emotionale Kompetenz" und wird, seit der US-Psychologe Daniel Goleman ihn in den 90er-Jahren in die Welt brachte, als die Zukunftskompetenz schlechthin gehandelt.

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Eigenartig. Sie wollten nicht viel über meine spezifischen Kenntnisse wissen", habe sein Sohn ihm über sein Vorstellungsgespräch bei Google erzählt, sagt der Harvard-Professor Gil Noam kürzlich bei einem Vortrag in Wien. Laszlo Bock, vormals Personalentscheider beim TechRiesen, bestätigt das in einem Interview mit der "New York Times": Gute Noten in Mathematik oder Coding seien zugegebenermaßen wünschenswert, reichten aber längst nicht aus, um einen Job bei Google zu bekommen. "Die Nummer-eins-Fähigkeit", auf die man achte? "Kognitive Kompetenz", sagt Bock. Und damit sei keineswegs der Intelligenzquotient gemeint – "sondern Lernfähigkeit. Die Fähigkeit, sich laufend weiterzuentwickeln, verschiedene Teile von Information zusammensetzen zu können."

Durch Megatrends wie Digitalisierung und Globalisierung verändert sich die Arbeitswelt permanent und grundlegend. Technisches Verständnis ist in vielen Berufen mittlerweile zentral. Doch wer weiß, ob nicht schon in ein paar Jahren Roboter für uns programmieren werden? Es ist also notwendig, am Ball zu bleiben. Neben Lernfähigkeit macht Harvard-Professor Noam noch weitere Schlüsselkompetenzen für die Zukunft aus. "Sie heißen Problemlösekompetenz, Durchhaltevermögen, Kritikfähigkeit, Kreativität, Empathie und Beziehungsfähigkeit."

Der große Kontext

Der Meinung, dass diese Fähigkeiten künftig mehr denn je von Nöten sein werden, sind auch andere Experten. In einer Welt, die sich immer schneller drehe, die immer unsicherer, undurchsichtiger und komplexer werde, sei es entscheidend, den Überblick zu behalten, sagt etwa Martina Gaisch, Professorin an der Fachhochschule Oberösterreich. Junge Menschen müssten mehr denn je "Verbindungen herstellen und Zusammenhänge erkennen können".

"Konzeptionelles" Denken hält die Professorin mittlerweile für essenzieller als lineares. Verständnis werde wichtiger als Logik. Und da kommt eine weitere angebliche Zukunftskompetenz ins Spiel: Intuition. Wissenschafter, die zum Thema forschen, halten sie gar für den Schlüssel zur Bewältigung von Komplexität. Um aktuelle politische, soziale und wirtschaftliche Probleme zu lösen, dürfe man sich eben nicht nur des bloßen Verstandes bedienen – zu groß sei die Gefahr, sich in der Menge an Informationen zu verlieren und den Blick auf das wirklich Wichtige einzubüßen.

Intuition verschaffe den Zugang zum Unbewussten, dorthin, wo Informationen gespeichert werden, die der Mensch im Laufe des Alltags nicht sofort verarbeiten kann. Mithilfe dieses Wissens, auf das man in intuitiven Momenten zurückgreift, könne man auch neue Informationen besser filtern. Eng verbunden ist mit dem Zugang zur Intuition auch die Kreativität. Sie gilt als weitere gefragte Fähigkeit – schließlich muss sich heute jeder stets neu erfinden, alles permanent neu erfunden werden.

Kenn dich selbst und andere

Aber nicht nur Kreative, auch wer sich selbst gut kennt, punktet angeblich in der Arbeitswelt. Der Fachbegriff dafür, mit aufkommenden Gefühlen gut umgehen zu können, heißt "emotionale Kompetenz" und wird, seit der US-Psychologe Daniel Goleman ihn in den 90er-Jahren in die Welt brachte, als die Zukunftskompetenz schlechthin gehandelt. Wer emotional kompetent ist, sei auch empathischer und beziehungsfähiger, in der Lage, die Perspektive anderer einzunehmen – was natürlich bei allen Firmen gefragt sei, sagt Harvard-Professor Noam: "Jeder braucht Leute, die gut im Team arbeiten."

Aber wie genau lernt man sich selbst besser kennen, wie lehrt und lernt man soziale Kompetenz und wie Kreativität und Intuition? Dafür haben die Wissenschafter ebenfalls Vorschläge. Sie sehen Räume vor, in denen ausprobiert werden darf – Fab-Labs oder Maker-Spaces. Ebenfalls entscheidend: eine Kultur, in der Fehler erlaubt sind. Denn nur durch das Hinfallen lerne man und könne innovativ sein. "Think outside the box" brauche Lehrende und Kollegen, die eine angstfreie Umgebung schaffen.

Neue Lehrmethoden

Sind neue Skills gefragt, müssen sich auch die Lehrmethoden und Curricula verändern. Eine Empfehlung ist das Studieren in kleineren Gruppen. "Da lernt man natürlich viel soziale Kompetenz", sagt Noam, "und es stärkt das Zugehörigkeitsgefühl."

Neugegründete Online-Hochschulen setzen bereits auf dieses Prinzip des Gruppenlernens. Etwa erarbeiten sich bereits an der Code-University in Berlin oder an der Paris École 42 in Paris Studierende ihr Wissen in gemeinsamen Projekten. Sie beantworten einander Fragen, geben Feedback. Dabei lernte man nicht nur mit, sondern auch voneinander, ist Gaisch überzeugt. Geht es nach der Bildungsforscherin, müssten Lehrende dieses Potenzial stärker nutzen. "Sie müssen erkennen, dass ihre Zielgruppe keine Tabula rasa ist". Das "vorhandene und zum Teil sehr unterschiedliche Vorwissen" könne gezielt für den Unterricht genutzt, Diversität so zur Ressource werden.

Für den Unterricht rät Gaisch zu einer "didaktischen Reduktion": Könne man das Faktenwissen bereits googeln, müssten Lehrerinnen und Lehrer "den Mut zur Lücke haben". Entscheidender sei, sich auf bestimmte Inhalte zu beschränken "und diese überschaubar zu machen". Relevante Beispiele könnten beim Verstehen und Merken helfen. Die Bildungsexpertin empfiehlt Lehrertandems, die Studierenden zwei Perspektiven auf ein Thema bieten können. "Das ist genau das, was es zum vernetzten, komplexen Problemlösen braucht."

Als neue Fächer schlägt Gaisch "Reflexion" oder "Medienkompetenz" vor. "Denn dieses sogenannte metakognitive Denken, das Nachdenken über das eigene Denken, wird immer wichtiger." Die Methoden, mit denen emotionale Kompetenz trainiert wird, sind übrigens Meditation, Körperübungen oder Rollenwechsel. (Lisa Breit, 24.10.2017)