Hätten Sie gewusst, dass anstelle des Hauses, in dem Gustav Klimt geboren wurde, heute ein Gemeindebau steht? Dass in den ehemaligen Räumlichkeiten der stilprägenden Jugendstilzeitschrift Ver Sacrum ein Sexshop residiert? Dass ein Swingerclub im Sinne der Sinnlichkeit temporär den güldenen Beethovenfries der Secession in ein reales Rotlicht-Erotikon verwandelte? Dass, obwohl Wien zwar fleißig mit Klimt und dem Fin de Siècle wirbt, hier bis dato kein Denkmal zu seinen Ehren existiert? Obwohl man das Grätzel im Siebenten, in dem er über fünfzig Jahre lang gelebt hat, eigentlich zum Weltkulturerbe erklären müsste.

Erwartung und Erfüllung divergieren häufig, wenn man auf Klimts Spuren durch Wien flaniert. Seltene Ausnahme: die Klimt-Villa in Hietzing.
Fotos: Moriz Nähr, Gregor Auenhammer

Oder aber hätten Sie gewusst, dass exakt an der Adresse des legendären Gartenateliers mitten im Achten seit Jahrzehnten ein Ex-Präsident wohnt? Und was glauben Sie, welcher Professionist sich just in jenem Refugium, in dem Klimt einige seiner wichtigsten Werke schuf, heute befindet? Ein Maler und Anstreicher. (...)

Nach dem Besuch etlicher Artefakte in diversen Musentempeln, Cafés, Wohnungen, Museen und last, but not least Etablissements zweifelhaften Rufes flanieren wir durch die "Vorstadt". Ziel legendäre Orte wie Tivoli, Dommayer, die Hermes-Villa, Hermann Bahrs Hort der Selbstinszenierung und Schieles Rückzugsorte. (...)

Refugium in Hietzing

Mit Ehrfurcht begeben wir uns an unsere nächste Destination, zu Klimts allerletztem Atelier. Von Schönbrunn kommend, die Hietzinger Hauptstraße entlang, bis kurz vor dem Bahnübergang der Vorortelinie. Die letzte Quergasse ist die Feldmühlgasse. Beim China-Restaurant Zur Sonne biegen wir rechts ab. Gesucht: die "Klimt-Villa", Adresse Feldmühlgasse 11.

Das ehemalige kleine Gartenhäuschen wurde "inkorporiert". Des Ateliers Innnenleben wurde gemäß historischen Fotos von Moritz Nähr mit Bedacht revitalisiert.
Fotos: Gregor Auenhammer, Moriz Nähr

Allerdings ist die heute im Volksmund gebräuchliche Bezeichnung absolut irreführend – in Wahrheit auch historisch gesehen gänzlich falsch. Klimt hatte zwar das seine Kindheit bestimmende Thema Armut bereits während seiner Ausbildung hinter sich gelassen – und konnte gut, sogar sehr gut von seiner Kunst leben, reich im Sinne von monetärer Sorg- und Grenzenlosigkeit war er aber zeitlebens nicht. Keineswegs. Eine Villa hätte er sich nie leisten können. In Wahrheit wohnte er bis an sein Ende zusammen mit Familienmitgliedern in Mietwohnungen und arbeitete in einem schmucklosen, von Blumen, Sträuchern und Bäumen üppig umgebenen Gartenhäuschen.

Der Terminus "Klimt-Villa" ist in Wahrheit auch erst nach seinem Tod entstanden – und bezieht sich auf das klassizistische, neobarocke Gebäude mit Freitreppe, das danach aus dem kleinen Gartenhäuschen entstanden ist. Obwohl Schiele und Emilie Flöge post mortem für den Erhalt plädierten, haben spätere Besitzer nämlich das Haus um- respektive ausgebaut und es zu dem gemacht, was es in jenen Jahren, in denen es Klimt als Refugium, als kontemplativer Rückzugsort und Atelier diente, nie war: eine Villa.

Metamorphose zur Villa

Bauforscher haben Ende des 20. Jahrhunderts nachgewiesen, dass in das gegenwärtige zweigeschoßige Villengebäude tatsächlich im Erdgeschoß Gustav Klimts letztes, von 1911 bis 1918 verwendetes Atelier baulich "inkorporiert" wurde. Als erwiesen gilt, dass Klimts Vermieter, der Möbelfabrikant Josef Hermann, Kunstliebhaber, Förderer und selbst am Gründungsprozess der Salzburger Festspiele beteiligt, den Ausbau plante. Aufgrund seines Todes stockte dieser Prozess, bis seine Witwe Helene Hermann das Anwesen an Ernestine Werner verkaufte. Diese heiratete kurz darauf den Weingroßhändler Felix Klein.

Familie Klein – übrigens die Vorfahren der heutigen Kracherl-Produzenten der kunstsinnigen und dem Hedonismus nicht gerade abgeneigten Almdudler-Dynastie – hat das Gartenhäuschen 1922 gekauft und großräumig adaptiert. Sie ließ das Häuschen zu einer Villa im k.-u.-k.-nostalgischen "Rosenkavalier-Stil" als zweigeschoßig-neobarocken Bau mit Freitreppe fertigstellen. 1939 musste die jüdische Familie vor dem Nazi-Regime fliehen und verkaufte die 1948 restituierte Villa 1954 an die Republik Österreich. Das Gebäude wurde nur für Schulzwecke genutzt, geringfügig adaptiert, dem Verfall preisgegeben.

Später Ort der Wertschätzung

Gegen einen geplanten Verkauf und drohenden Abriss des baufälligen Gebäudes konstituierte sich 1999 die Bürgerinitiative "Verein Gedenkstätte Gustav Klimt" und forderte den Erhalt. Wider Erwarten hatte die Initiative Erfolg – und der Verein erhielt die Villa vom Staat als Prekarium zur Nutzung übertragen. Zwischenzeitlich, 2007 bekam die Österreichische Galerie Belvedere unter Ägide der Direktorin Agnes Husslein das Areal zur musealen Nutzung übertragen, nahm aber wegen Divergenzen davon wieder Abstand.

Nach langen Diskussionen fiel vonseiten des zuständigen Wirtschaftsministeriums die Entscheidung, das Gebäude "inklusive der Wertschätzung der baulichen Tätigkeit des jüdischen Großbürgertums" zu erhalten, aber behutsam auf den Zustand des Jahres 1923 zurückzuführen. Das 1958 aufgesetzte Walmdach wurde durch ein Flachdach ersetzt und die Atelierräumlichkeiten – gemäß historischen Fotos von Moritz Nähr und Beschreibungen der Künstler Schiele und Kijiro Ohta – originalgetreu rekonstruiert und als Gedenkstätte öffentlich gemacht.

Das Konzept der historischen Ausstellungsräume wurde seitens des Bundesdenkmalamts durch Oliver Schreiber und Kurator Eduard Neversal restauratorisch identifiziert und instand gesetzt, um "Lebens- und Arbeitssituation des Zeitraumes von 1911 bis 1918 atmosphärisch und inhaltlich erfahrbar" zu machen. Immerhin sind über 50 Gemälde und 100 Zeichnungen hierorts entstanden.

Entlang alten Baumbestands und sich an Fassaden rankender Efeu- und Weinblätter führen Steinplatten zum Haus. Man könnte die Situation guten Gewissens als eine geglückte "Raum-in-Raum-Konstruktion" bezeichnen. Die alten Mauern wurden weder abgerissen noch versetzt, sondern um diese alten Mauern herum wurde das Gebäude anno dazumal erweitert. Was dazu führte, dass die alten Räume, in denen Klimt gearbeitet, gelebt und geliebt hat, exakt so revitalisiert wurden, wie sie zu seiner Zeit waren. Überraschend, unerwartet. Faszinierend.

Atmosphärische Dichte

Kunsthistorisch betrachtet betritt man hier "heiligen Boden". Hier kann man Klimts Lebenswelt inhalieren. "Eremit von Unter St. Veit" wurde Klimt sogar in seinen späten Jahren genannt. Zurückgezogen lebte und arbeitete er mit seinen Musen und Katzen, abseits des hektischen Treibens der Zwei-Millionen-Metropole, abseits der Unruhen des Krieges und des Umsturzes, in seinem "hortus conclusus". Dieser Ort ist der einzige, der post mortem so weit als möglich authentisch rekonstruiert wurde. Inklusive der Interieurs, der Teppiche, Möbel, Vasen, Lavoirs ...

Man hat wirklich den Eindruck, als hätte Klimt das Atelier erst vor kurzem verlassen, als wäre er nur kurz einkaufen, spazieren oder ins Café gegangen. Das Ambiente, das sich hier präsentiert, ist so, dass man den Eindruck hat, als lebte der Künstler noch hier. Verstreut Zeichnungen, Stifte, Pinsel, Paletten, ein Negligé über den Paravent geworfen. Ein Bett. Fast meint man, ihn atmen zu hören, meint, ihn und seine Aura zu spüren. (...) (Gregor Auenhammer, Album, 22.10.2017)