"Kommunikation ist auch eine Art Skulptur."

Foto: Josef Trattner

Der Künstler Josef Trattner und sein Sofa in Interaktionen mit Literaten und Musikern in Istanbul (Türkei), ...

Foto: Josef Trattner

... Russe (Bulgarien) ...

Foto: Josef Trattner

... und Cluj (Rumänien).

Foto: Josef Trattner

STANDARD: Wo steht das Sofa, wenn Sie nicht unterwegs sind?

Trattner: Die Grundidee der Sofafahrten ist, dass das Sofa immer an den Orten, wohin es unterwegs war, zurückbleibt. Wir haben in den letzten Jahren schon zahlreiche Sofas verbraucht. Der Schaumstoff wird mir von einem Sponsor in Kremsmünster zur Verfügung gestellt. Die ersten Sofafahrten wurden in Wien durchgeführt. Im Nachhinein betrachtet, waren das noch sehr touristische Plätze. Davon bin ich später jedoch weggekommen.

Trattner mit Daniel Vighi in Timisoara: "Ich wollte Leute einladen, auf dem Sofa Platz zu nehmen."
Foto: Josef Trattner

STANDARD: Wie kam es zur Idee der Sofafahrten?

Trattner: Ich arbeite schon lang mit Schaumstoff. Die Benutzbarkeit des Materials fasziniert mich, aber auch seine Veränderbarkeit, Abstraktionsfähigkeit. Als wir das Sofa kreiert haben, wurde mir immer mehr bewusst, wie sehr Kommunikation in meine Überlegungen von Kunst einfließt und somit auch eine Art von Skulptur darstellt. Dinge müssen nicht immer ausgeführt werden, sondern manchmal nur gedacht oder ausgesprochen werden. Aber es war am Anfang schwer zu akzeptieren, dass das Sofa, das Material, so schnell kaputt geht. Weil es vergänglich ist, ist es auch nahezu unverkäuflich. (lacht)

STANDARD: War immer schon klar, dass das Sofa so viel herumreisen wird?

Trattner: Interieur ist an einen Innenraum gebunden. Ich wollte mich aber mit dem Sofa bewegen, den Außenraum aufsuchen und Leute einladen, darauf Platz zu nehmen, um mit ihnen Gespräche zu führen, Gedanken auszutauschen. Nicht unwichtig ist mir der Gedanke des Landschaftsblicks. Bauernhäuser wurden früher immer nach der Wetterseite ausgerichtet. Die Städter haben das umgedreht, da sie den schönen Ausblick wollten. So passiert das auch mit den Sofas: Ich richte mir einen Blick ein. Nach und nach ist das ein sehr spezieller Blick geworden, der sich mehr nach Inhalten richtet. Bei den Sofafahrten war noch kein Tag mit einem anderen vergleichbar.

STANDARD: Wie viele Autoren waren es in wie vielen Ländern?

Trattner: Mittlerweile war das Sofa in über 60 Städten, und es haben ungefähr so viele Schriftsteller und Schriftstellerinnen darauf Platz genommen. Dazu kommen weitere 40 Musikschaffende. Das Sofa führt seit 2012 viele verschiedene Disziplinen zueinander: Bildende Kunst, Literatur, Architektur und Musik, in weiterer Folge auch Fotografie, weil wir die Sofafahrten auch in Buchform aufarbeiten und filmisch dokumentieren.

STANDARD: Was passiert, wenn so etwas Privates wie ein Sofa im öffentlichen Raum steht?

Trattner: Ich bin da sehr romantisch an die Sache herangegangen. Als ich zu Beginn das Sofa oben beim Belvedere aufgestellt habe, bin ich vom Parkwächter gleich vertrieben worden. Aber zuvor habe ich ihn eingeladen, Platz zu nehmen und seine Eindrücke auf dem Sofa zu schildern. Er hat sich hingesetzt und gesagt, wie schön und wie entspannend das ist, dass er Wien plötzlich mit anderen Augen sieht. Das war eine gelungene Intervention. Und: Ich durfte bleiben. So ein Sofa macht etwas mit einem. Auf einmal entstehen Räume, die man nicht bemerkt hat, auch in einem selber. Die Leute entfalten sich in dieser Schaumstoffskulptur, sie haben einen Spielraum, den sie sonst nicht haben. Der Schriftsteller Matthias Politycki hat einen Text über das "Fremdschäm-Sofa" geschrieben, weil er glaubte, sich damit in der Öffentlichkeit nicht wohlzufühlen. Er hat das Sofa dann in sein Lieblingscafé gestellt – und darauf gesessen und gegessen.

STANDARD: Funktioniert das Sofa an gewissen Orten gar nicht?

Trattner: Ja, das kommt auch vor, aber selten. Zu Ruxandra Ceseranu in Cluj musste ich sagen: Nein, hier funktioniert das nicht, da zu touristisch, und wird sind in ein altes aufgelassene Kasernengelände ausgewichen. Am Ende war das ein ganz besonderer Tag.

STANDARD: Da reist ein Mann mit einem Sofa aus Wien an. Fühlen sich die Menschen ein bisschen wie auf der Freud'schen Couch?

Trattner: Bei den Sofafahrten geht es sehr stark um deine eigene Präsenz. Welche Energien strahlst du aus? Wie gehst du mit Situationen um? Die Fahrten, die meist im Sommer stattfinden, sind penibel vorgeplant. Es ist aufwendig, die Literaten aufzustellen und alle und alles zu koordinieren. Oft haben die Leute wenig Zeit. Der rumänische Autor Varujan Vosganian hatte nur zwei Stunden. Er war Minister und in Sorge, weil ihn Leute auf der Straße erkennen. Ich sagte, das sei gut, weil er muss das Sofa auch tragen, die Leute werden ihn nur noch mehr lieben. Es wurde sehr lustig mit ihm.

STANDARD: Wie entstehen die Texte für die Bücher?

Trattner: Die Texte entstehen, weil die Literaten durch die Intervention inspiriert werden. Das Ergebnis kann ein 16-seitiger Text wie bei Josef Haslinger sein oder auch nur ein paar kurze Geschichten, wie sie Daniel Wisser geschrieben hat. Die Schriftsteller haben alle Möglichkeiten.

STANDARD: Wie bewegt sich das Sofa durch die Lande?

Trattner: Das Sofa reist am Autodach und wird am jeweiligen Ort entblößt. Oft tragen wir es durch die Stadt. In der Nähe von Danzig habe ich das Sofa einen Kilometer durch den Wald zum Meer getragen.

STANDARD: Manche Bücher heißen nicht "Sofa", sondern "Divan".

Trattner: In Bulgarien oder der Türkei heißt das Sofa eben "Divan" und das haben wir übernommen. Die griechischen Sofafahrten sind noch nicht zustande gekommen, die hätten "Kanapee" geheißen.

STANDARD: Das Sofa bleibt als Skulptur an den Plätzen zurück?

Trattner: Ja, es ist ein Art Geschenk an die Stadt und die Menschen – vielleicht ein Glücksbringer. Jeder darf seine Fantasie spielen lassen, wie es mit den Sofas weitergeht. In Polen hat die Lieferung der Firma Eurofoam so gut funktioniert, dass wir in jeder Stadt ein Sofa zurückgelassen haben, bei anderen Fahrten ist das Sofa an mehrere Orte mitgefahren. Das Sofa ist für mich ein Talisman, es hilft mir die Zeit anzuhalten.

STANDARD: Wie lange dauern die einzelnen Sofafahrten?

Trattner: Für das Polen-Buch waren wir zweimal zehn Tage unterwegs. Für die Donau-Sofafahrt waren wir insgesamt einen Monat unterwegs, mit einer Pause, weil unterwegs das Floß kaputt ging und repariert werden musste.

STANDARD: Wie reagieren die Menschen in den unterschiedlichen Ländern auf das Sofa?

Trattner: Ich habe mich in Rumänien wohlgefühlt. In Bratislava, oben beim Regierungsgebäude, wurden wir vertrieben. In der Türkei stellten wir das Sofa vor einen Erdogan-Wahlkampfbus, da kam sofort die Polizei. In Budapest kam auf der Brücke ein Mitarbeiter einer privaten Securityfirma, der uns das Fotografieren verbieten wollte. Mein Eindruck ist, dass es eher schwieriger wird. "Big brother is watching us." Aber vieles hat auch mit dem eigenen Mut zu tun. Aber mir geht es nicht um Provokation, das Schaumstoffsofa ist eher ein weicher Aktionismus, eine Art soziale Versuchsanordnung. Ich will mich gar nicht über andere erheben, sondern warten, was passiert. In der Türkei hat man mich dem Sofa in eine Moschee gebeten. Das ist mehr, als eine Ausstellung kann, weil ich ständig neue Räume erobere.

STANDARD: Warum zieht es Sie und das Sofa so stark in den Osten?

Trattner: Es ist sicher noch ursprünglicher und spannender als in Westeuropa. Aber nicht überall, in Polen hat man sich der westlichen Marktwirtschaft schon angeglichen, in Rumänien noch weniger. Aber ich mag auch die südosteuropäische Mentalität, da schwingt immer eine Leichtigkeit mit, die man anderswo dann vermisst. Ich war ja auch in Deutschland unterwegs, da hatte ich spannende Menschen wie Matthias Politycki am Sofa, aber die Interaktion ist weniger intensiv. Osteuropa ist aber auch schlichtweg von der Durchführung her leistbarer.

STANDARD: Wer finanziert das?

Trattner: Die Bücher und die Fahrten habe ich großteils selbst finanziert. Um irgendwelche Töpfe anzuzapfen, damit bin ich als Einzelkünstler überfordert.

STANDARD: Sind die Sofafahrten eine soziale Skulptur?

Trattner: Ich habe Probleme damit, wenn Kunstschaffende Sozialprojekte machen. Es ist weniger ein Sozialprojekt, aber sicher ein Projekt mit Wertschätzung anderen Kunstdisziplinen gegenüber. Ich bin mit diesem Projekt zum Menschensammler geworden, das ist eine Zuschreibung, die mir gefallen würde. Das Sofa sucht Geschichten, findet Geschichten und erzählt Geschichten. Alles verdichtet sich, alles muss komponiert werden. In Bukarest sind wir mitten in einer Betonwüste hinter dem Ceausescu-Palast gelandet, das war ein unglaublich kraftvoller Platz. Es geht darum, dass mir ein Platz Fantasien schafft, die einmalig sind. Jeder, der bis dato mit war, weiß, wie intensiv dieser Prozess ist. Das transportieren auch unsere Filme. Am Ende fährt man in nur drei Minuten durch ganz Rumänien.

STANDARD: Wird das Sofa auch manchmal zum Ruheort?

Trattner: Ja, das passiert natürlich auch. In Basel zum Beispiel, wo es am ganzen Bahnhof kaum Sitzmöglichkeiten gibt, haben sich sofort alte Menschen hingesetzt, um sich auszuruhen.

STANDARD: Gibt es fade Plätze?

Trattner: Kaum. Ich bin immer erstaunt, wie viel die Menschen da draußen können. Schreiben, musizieren, etc. Wenn man auf sie zugeht, entdeckt man das auch.

STANDARD: Wohin wollen Sie noch unbedingt?

Trattner: Der Gedanke, es immer weiterzumachen, ist groß. Aber da geht es auch um Geld. Mit Sponsoren wäre vieles einfacher. Druckkosten, Transportmittel, etc. Aber wenn Geld kein Problem wäre, würde ich in Trumps Amerika unterwegs sein. Mit so einem Sofa könnte man eine gute Diskussionsplattform schaffen. Aber vielleicht steigt jemand ein, ich würde liebend gern nach Georgien fahren, nach Griechenland, Armenien, in die Mongolei, nach Estland, Russland. Man könnte mit dem Sofa die Welt bereisen, Japan, Südamerika, China und Afrika. Aber an Orte zu fahren, die extrem gefährlich sind, wie etwa Syrien, würde ich nicht. Ich muss hier nicht den Mutigen spielen. (Mia Eidlhuber, Album, 22.10.2017)