Wien – Bekanntlich kann wenig so schnell ins Unheimliche kippen wie das vertrauenerweckende Inventar kindlicher Fantasie. Nicht nur Puppen und Clowns fügen sich daher perfekt ins Thriller- und Horrorgenre, sondern auch jene zurückgelassenen Schneemänner, mit denen ein wieder aufgetauchter Serienmörder in Schneemann (The Snowman) seine Taten signiert. In einer Stimmung, in der leise rieselnde Flocken von Unheil künden, genügt schon ein an die Fensterscheibe knallender Schneeball, um für einen Schockmoment zu sorgen. Der verdrehte Kopf eines Schneemannes mutet geradezu monströs an.

Wenn der erste Schnee fällt, treibt in "The Snowman" des norwegischen Autors Jø Nesbo ein Frauenmörder sein Unwesen, der am Tatort Schneemänner zurücklässt. Ihm auf der Spur ist der Osloer Kommissar Harry Hole, in der Verfilmung verkörpert von Michael Fassbender.
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Dass er sich auf erzählerische Ökonomie bei der Adaption literarischer Vorlagen versteht, hat der schwedische Regisseur Tomas Alfredson schon bei der Verfilmung von John le Carrés Dame, König, As, Spion (Tinker Tailor Soldier Spy) bewiesen. Sein Gespür für Auslassungen kommt nun auch der Adaption von Jo Nesbøs Kriminalroman Schneemann zugute.

Im Film wie im Buch steht mit Harry Hole (Michael Fassbender) ein fähiger, aber unberechenbarer Kommissar im Mittelpunkt. Er hat zwar sein Alkoholproblem mehr oder weniger im Griff, richtig in die Gänge kommt er aber erst, als er mit der jungen Kollegin Katrine Bratt (Rebecca Ferguson) zusammengespannt wird. In und rund um Oslo nimmt das Duo die Fährte hinter einer Reihe grausamer Frauenmorde auf, die einen beim ersten Schneefall aktiven Serientäter vermuten lassen. Allmählich schälen die Ermittler Tatmuster heraus, in die Vaterschaftskonflikte und vorgetäuschte Identitäten hineinspielen. Der Druck steigt, als der Täter seine Botschaften direkt an Hole adressiert.

Zero Media

Alfredson hat den siebenten Roman der Harry-Hole-Serie filetiert, Handlungsstränge weggelassen oder adaptiert, den Fokus bisweilen verändert. Die Plotverwicklungen meistert der Film souverän und fast wie nebenbei, ist er doch an mehr interessiert. So bildet die aus vielen Krimis bekannte Grundkonstellation den Hintergrund für genaue Beobachtungen des Alltags einer normal dysfunktionalen Familie. Wenn Hole seine Nicht-mehr-und-doch-noch-Freundin Rakel (Charlotte Gainsbourg) besucht, für deren Sohn er als Vaterersatz fungiert, genügen kleine Gesten, Berührungen, um das komplizierte Verhältnis der beiden offenzulegen.

Kino im Kopf

Seinen Suspense bezieht der Film aus einer latent unheimlichen Stimmung. Zwar wird das eine oder andere explizite Bild einer Bluttat serviert. Meist reicht aber ein kurzer Schnitt, etwa auf das Zuziehen einer elektrischen Drahtschlinge, den Rest besorgt der Zuschauer. Die tatsächlichen Schockbilder gehen umso tiefer. Am Ende glaubt man mehr gesehen zu haben, als tatsächlich gezeigt wurde.

Den Schauwert der norwegischen Schneelandschaften stellt der Film bereits im für die Erklärung der Taten wichtigen Prolog aus, allerdings herrscht auch hier Zurückhaltung. Wie schon in Tinker Tailor Soldier Spy liegt über den Bildern, dieses Mal von Kameramann Dion Beebe, ein matter Schleier, der das allzu Pittoreske tilgt. Statt Lokalkolorit steht das Universelle im Vordergrund. Seine Figuren bewegt Regisseur Alfredson, der für den ursprünglich vorgesehenen Martin Scorsese eingesprungen ist, wie auf einem Schachbrett durch die sich auftuenden Räume.

Dass sich das Puzzle letztendlich perfekt zusammenfügt und es eine natürlich in die Kindheit reichende Erklärung gibt, ist mechanistischer Krimipsychologie geschuldet. Michael Fassbender und Charlotte Gainsbourg haben zu diesem Zeitpunkt ihre Figuren dank ihres reduzierten Spiels längst mit so viel Leben erfüllt, dass man sich ein Wiedersehen wünscht. Die Chancen dafür stehen gut. Immerhin hebt Kommissar Hole am Ende des Films, so viel sei verraten, seinen lädierten Finger für den nächsten Fall. (Karl Gedlicka, 21.10.2017)