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Staatschef Xi Jinping wäre neben dem Revolutionär Mao der einzige KP-Führer, dessen Name noch zu Lebzeiten in die Verfassung kommt.

Foto: Reuters / China Daily

Chinas starker Mann Xi Jinping versteckte seinen Plan, neuer Leitideologe der Partei zu werden. Erst auf Seite 19 seines 68 Seiten langen Redemanuskripts zum Parteitag kam er darauf zu sprechen. Zuvor sagte er, dass die "absolute Führung der Partei" das eigentliche Besondere am "Sozialismus mit chinesischen Besonderheiten ist": Sie sei auch dessen "grundlegendstes Kennzeichen", der "allergrößte Vorzug" und die "höchste Kraft der politischen Führung".

Doch um die KP zu beherrschen und sein Land bis 2035 zur modernen Großmacht und bis 2050 zum Weltreich zu entwickeln, braucht Xi ein Mandat. Er will die Partei nicht nur machtpolitisch, sondern auch ideologisch führen und verlangt, Statuten zu ändern. Viele Delegierte verstanden ihn anfangs nicht, als er sagte: "Das Denken in der neuen Ära des besonderen chinesischen Sozialismus ist die Fortsetzung und Weiterentwicklung des Marxismus-Leninismus, des Mao-Tsetung-Denkens, der Theorie von Deng Xiaoping, der wichtigen Gedanken der drei Vertretungen und der wissenschaftlichen Entwicklungssicht."

Wessen Denken? Xis Gefolgsleute erklärten, dass es "Xi-Jinping-Denken" heißen müsse. Das steht auch in der Formel, mit der kommende Woche die Parteiverfassung geändert werden soll, falls die Delegierten zustimmen. Die amtliche Xinhua-Nachrichtenagentur titelte zuversichtlich: "Die Partei kreiert das Xi-Jinping-Denken." Höchste Führer "verlangen nach der Implementierung". Es sei die "jüngste Errungenschaft in der chinesischen Aneignung des Marxismus" und ein "Aktionsprogramm" für die "große Wiederbelebung unserer Nation".

Übertriebener Ehrgeiz

Doch es gibt auch Widerstand. Als nur einen Monat vor dem Parteitag Peking unerwartet verkündete, das Parteistatut zu ändern, kritisierten manche KP-Mitglieder unter der Hand den Ehrgeiz Xis. Er würde neben dem Revolutionär Mao der einzige KP-Führer sein, dessen Name in der Verfassung verankert wird, während er noch an der Macht ist. Reformarchitekt Deng Xiaoping und seine Theorie über die sozialistische Marktwirtschaft, die Chinas Wirtschaftsboom entzündete, wurden etwa erst nach seinem Tod 1997 in die KP-Verfassung aufgenommen.

Hinter den marxistisch genannten Leitideologien in der Verfassung verbergen sich widersprüchliche Vorstellungen, wie die Gesellschaft im Mischmasch aus Sozialismus, Plan und Markt auszusehen habe. Seit zwei Jahren suchen Theoretiker nach einem passenden Begriff für das Gedankengebäude von Xi. Monatelang stand in Parteizeitungen als Platzhalter: "Xi Jinpings Reihe wichtiger Reden". Im Februar nannte der Leiter des ZK-Parteisekretariats, Li Zhanshu, diese Reden ein "komplettes theoretisches System" für die Schaffung einer Leitideologie.

Themenvielfalt

Seither wird an dem Stückwerk gebastelt. Bestandteile sind etwa der "Traum" von der Wiederbelebung der einstigen Größe Chinas, die "neue Norm" in der Realwirtschaft als Folge des Wandels der Wirtschaftsweise und niedrigerer Wachstumsraten. Auch Xis Sicherheitsdenken, seine Re-Ideologisierung der Gesellschaft, der Kampf gegen Korruption und der Umbau der Armee gehörten dazu.

Xi kündigte auch eine neue Definition für den sozialistischen Grundwiderspruch an, für den die Verfassung geändert werden muss. Dort steht noch Dengs Theorie über Chinas "Hauptwiderspruch". Er verstand darunter die Kluft zwischen den ständig wachsenden materiellen und kulturellen Bedürfnissen des Volkes und der zurückgebliebenen Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte. Daher waren ihm alle Mittel recht, um Chinas Wirtschaft so rasch wie möglich zu entwickeln. Xi nennt als neuen "Hauptwiderspruch" die Kluft zwischen den ständig wachsenden Bedürfnissen des Volkes nach einem besseren Leben und Chinas "ungleichgewichtiger und nicht adäquater" Entwicklung. Nachhaltigkeit, Umwelt und die Überwindung des Reich-Arm-Gefälles seien wichtiger als hohes Wachstum. Das klingt gut, doch Xi setzt als Problemlöser nicht auf die Kräfte des Marktes. Chinas sozialistische Mischwirtschaft tendiert wohl künftig wieder zu mehr Staats- und Parteidirigismus. (Johnny Erling aus Peking, 22.10.2017)