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Elisabeth Gürtler: "Pferde waren meine Leidenschaft, sie waren für mich wie ein Kind, wie ein Job."

Picturedesk, Alexander Tuma

Freizeit hat sie aus ihrem Leben verbannt, auf einen Rückzug in die Pension hat sie keine Lust: Elisabeth Gürtler, Herrin über die Spanische Hofreitschule, Hotelbetreiberin und langjährige Chefin des Sacher, sieht an einem höheren Pensionsalter keinen Weg vorbei. Verpflichtende Frauenquoten in Konzernen sind ihr ein Gräuel. Der Versuchung, wieder in den Sattel eines Pferdes zu steigen, ist die ehemalige Vize-Staatsmeisterin im Dressurreiten seit Jahrzehnten nicht ein einziges Mal erlegen. Auch Sachertorten isst sie keine, und wenn doch, dann nur ohne Glasur. An Opernführer Marcel Prawy, der seine Wohnung für zwei Zimmer im Hotel Sacher aufgab, erinnert sie sich mit Wehmut.

STANDARD: Sie haben fast Ihr halbes Leben im Sattel verbracht. Mit der Übernahme des Wiener Hotels Sacher beendeten Sie Ihre Karriere als Dressurreiterin. Lehren einen Pferde etwas fürs Leben?

Gürtler: Unglaublich viel. Im Leistungssport ist man nur gut, wenn man hart dafür arbeitet. An Misserfolgen ist man selbst schuld. Natürlich ist man auch auf das Pferd angewiesen. Aber misslingt was, war man selbst zu wenig klug, um es zum Erfolg zu führen. Man hat sich zu wenig eingebracht, sich zu wenig aufs Pferd eingestellt. Man reflektiert, analysiert, was verbessert gehört – und das begleitet einen auch im Wirtschaftsleben.

STANDARD: Haben Sie oft den Boden geküsst?

Gürtler: Das gehörte dazu. Ich hatte zwei schwerere Unfälle. Einmal einen Beinbruch, das Pferd rutschte aus, ich kam unter ihm zu liegen. Ein anderes Mal wachte ich im Krankenhaus mit einer Gehirnprellung auf.

STANDARD: Warum sind Sie seit Ihrem Rückzug aus dem professionellen Reitsport kein einziges Mal mehr aufs Pferd gestiegen?

Gürtler: Aufzuhören ist eine Entscheidung des Kopfes, nicht des Herzens. Pferde waren meine Leidenschaft, sie waren für mich wie ein Kind, wie ein Job. Ich habe sie versorgt, bin nachts in die Freudenau, wenn eine Kolik drohte. Ich konnte nur ganz oder gar nicht aufhören. Ich habe damals Pferdemagazine ungeöffnet weggeworfen. Ich wollte mich trennen. Und diesen Schritt kann man nur so vollziehen.

STANDARD: Nur einmal einem Bereiter der Spanischen Hofreitschule die Zügel aus der Hand nehmen und eine lockere Runde drehen?

Gürtler: Ich habe manchmal darüber nachgedacht, es würde mir sicher Spaß machen. Sieht man jedoch, wie einer, der in seiner Jugend Europameister, Weltmeister, Olympiasieger war, dann mit 50, 60, 70 am Pferd oben hängt und die ganze Körperspannung weg ist: Nein, so will ich die Reiterei nicht beenden.

Die Spanische Hofreitschule schaffte nur selten den Sprung aus der Verlustzone. Der Erhalt einer Pferderasse ist ein Geldvernichtungsapparat, sagt Generaldirektorin Elisabeth Gürtler.
Foto: AFP

STANDARD: Kein Pferd ohne Vorzug in der Schule, lautete die Vorgabe Ihres Vaters. Sie wurden sehr streng erzogen. Stünden Sie ohne hohen Leistungsdruck dort, wo Sie heute stehen?

Gürtler: Vermutlich nicht. Es liegt nicht in meinem Wesen, konstant zu arbeiten. Ich arbeite auf Druck hin perfekt. Ich brauche ihn. Aber jeder Mensch ist anders gestrickt. Mein Mann, Helmuth Lohner, hätte ihn nie ausgehalten. Er hat jede Rolle mit der Hand geschrieben, sie drei Monate vorher gelernt und ist lieber eine Stunde früher aufgestanden, um sich nicht beeilen zu müssen. Ich war hart genug, den Druck des Vaters durchzustehen. Aber ich kann mir vorstellen, dass andere Menschen davon vernichtet worden wären.

STANDARD: Wie groß ist der Druck auf die Lipizzaner, die Sie führen? Der Sprung aus der Verlustzone gelang diesen zuletzt nur 2011.

Gürtler: Wir hatten auch im Vorjahr einen kleinen Überschuss in Höhe von 40.000 bis 60.000 Euro. Wobei Gewinn relativ ist: Wir erhielten früher eine Zuchtförderung in Höhe von 860.000 Euro. Sie wurde auf 500.000 Euro reduziert. Seit 2016 bekommen wir eine Million: Es ist eine Patronatserklärung des Staates. Damit müssen wir nicht ständig fürchten, Zahlungen nicht erfüllen zu können, sind wir einmal nicht liquide, etwa im Sommer. Es gibt jedoch kaum Kulturinstitutionen, die mit einer Million Subvention auskommen.

STANDARD: Auch nicht als Unesco-Weltkulturerbe?

Gürtler: Wir machen nicht in Wien Verluste, sondern in Piber. Wir haben die gesetzliche Verpflichtung, eine Pferderasse zu erhalten. Das kann nie Gewinne bringen. Das ist ein Geldvernichtungsapparat. Jeder Tag kostet 10.000 Euro an Abgaben, 3,6 Millionen im Jahr, die wir in Wien decken müssen. Und das geht bei Pferden nicht immer. Sie haben Husten, fallen aus ...

STANDARD: Sie haben nicht nur als Chefin der Hofreitschule Männerdomänen gesprengt, sondern auch in vielen Aufsichtsräten ...

Gürtler: Man muss eben neugierig sein – und darf keine Angst davor haben, zu sagen, ich habe es versucht, kann es jedoch nicht. Auch diese Ehrlichkeit braucht es.

STANDARD: Nach wie vor folgen nur wenige Frauen Ihrem Beispiel. Sie selbst lehnen Frauenquoten scharf ab. Was ist so verwerflich daran?

Gürtler: Ich bin keine Feministin. Ich stehe dafür, dass Frauen für gleiche Leistung gleich behandelt werden. Ich will nicht, dass sie bevorzugt werden und überall einen sicheren Platz erhalten. Das ist degradierend. Ich habe selbst nie Benachteiligung erlebt. Und stellen Sie sich einmal vor, es hieße: Optisch bräuchte es im Aufsichtsrat eine Frau, Schaden richtet sie eh keinen an. Schrecklich.

Elisabeth Gürtler: "Ich bin keine Feministin. Ich will nicht, dass Frauen bevorzugt werden, überall einen sicheren Platz erhalten. Das ist degradierend."
Foto: APA, Herbert Pfarrhofer

STANDARD: Sie haben einmal offen eingeräumt, Sie hätten sich Ihren beruflichen Erfolg teuer erkauft.

Gürtler: Will ich etwas erreichen, gebe ich viel dafür auf. Mein Privatleben, meine Hobbys, meine Freunde, weil Freunde muss man pflegen. Ich arbeite vielfach bis ein Uhr nachts. Was meine Kinder betrifft, so habe ich stets alles organisiert. Aber ich habe sicherlich nicht viel Zeit spielend mit ihnen verbracht.

STANDARD: Sollten sich hier nicht auch Männer stärker einbringen?

Gürtler: Helmuth Lohners Leben als Schauspieler bedingte, dass er viele Abende nicht zu Hause war und für Inszenierungen oft wochenlang im Ausland. Wir haben eine sehr reife Ehe geführt, wir waren beide tolerant und haben dem anderen sein Leben gelassen. Das ging natürlich auch auf Kosten der gemeinsamen Zeit.

STANDARD: 18-Stunden-Arbeitstage, die Verbannung jeder Muße aus Ihrem Leben – lohnt es sich?

Gürtler: Das kann ich an meinem Lebensende sagen. Aber wenn ich sehe, wie schwer der Übergang ins Pensionsalter für viele ist, mit wie vielen Krisen das einhergeht, Depressionen und Persönlichkeitsveränderungen, dann bin ich sehr dankbar, dass ich mir immer ein Fenster in die Arbeitswelt offengelassen habe.

STANDARD: Sie haben die Führung des Hotels Sacher 2015 mit 65 Jahren Ihrem Schwiegersohn übergeben, gründeten aber Ihre eigene Firma und renovierten Ihr Hotel Astoria in Seefeld in Tirol.

Gürtler: Wozu ich das alles brauche? Ein Hotel mit 85 Zimmern ist nicht der große finanzielle Erfolg. Es kostet viel Zeit und Geld, und ich habe hohe Kredite, die ich zurückzahlen muss. Aber es gibt mir das Gefühl, ich bin gefordert. Ich könnte mich mehr um meine Enkelkinder kümmern, einen größeren Freundeskreis schaffen. Aber ich weiß nicht, ob ich damit wirklich zurechtkommen würde.

STANDARD: Sollte das Frauenpensionsalter generell steigen?

Gürtler: Natürlich. Wir haben alle eine höhere Lebenserwartung, wir sind später beruflich aktiv, länger gesund und gehen dennoch so wie bisher in Pension. Das kann sich nicht ausgehen, das ist auch nicht gut so.

STANDARD: Was ist mit Frauen, die Jobs ohne Sozialprestige haben, die anders als Sie nicht selbstbestimmt arbeiten, die ab 50 kaum Chancen am Arbeitsmarkt haben?

Gürtler: Das ist eine Katastrophe, da haben Sie recht. Eine Arbeit zu haben, die einem Freude bereitet, mit der man etwas bewirken kann, dafür bin ich dankbar. Aber es gibt viele, die keinen schlechten Beruf haben, die ja arbeiten könnten, lieber jedoch ihre Pension genießen. Und diese ist eben sehr lang.

Das Sacher ist Wiens letztes Luxushotel in Familienhand. Elisabeth Gürtler gab hier 25 Jahre lang den Schritt vor. "Kindchen, wenn du wissen willst, wie es im Sacher wirklich zugeht, musst du mich fragen", ließ Opernführer Marcel Prawy sie einst wissen.
Foto: APA, Roland Schlager

STANDARD: Was erwarten Sie sich von der neuen Regierung?

Gürtler: Die unfassbare Mehrwertsteuer von 13 Prozent im Tourismus gehört weg. Nicht, weil ich sie nicht zahlen will, sondern Ziffern damit nicht mehr vergleichbar werden. Ich müsste dafür doppelte Buchhaltung führen, das ist unzumutbar. Untragbar ist auch die Verlängerung der Abschreibungsdauer, denn gerade der Tourismus muss laufend neu investieren.

STANDARD: Sollte die Politik Airbnb stärker in die Pflicht nehmen?

Gürtler: Es wäre nur gerecht, wenn hier alle Auflagen gelten, die auch ein Hotel erfüllen muss, ob gewerberechtlich oder feuerrechtlich. Man kann nicht mit einem anderen Status konkurrieren.

STANDARD: Haben Sie sich über diese Online-Buchungsplattform je in ein Zimmer oder ein Haus eingemietet?

Gürtler: Das würde ich niemals tun. Ich möchte nicht in ein privates Haus, in dem ich nicht weiß, wie hygienisch es geputzt wurde. Da bin ich viel zu heikel.

STANDARD: Wie kommen Sie mit Registrierkassen zurecht?

Gürtler: Ich will sie, denn ich will ja auch nicht von Mitarbeitern betrogen werden. Aber die Umstellung der Kassensysteme bedeutete enormen finanziellen Aufwand.

STANDARD: Allergiker haben angesichts der Sachertorten Ihrer Familie nie um ihr Leben gebangt?

Gürtler: Da müsste man sich schon sehr dumm anstellen.

STANDARD: Wie oft gönnen Sie sich eigentlich eine Sacher mit Schlag?

Gürtler: Ich esse keine Torten. Hie und da vielleicht, lieber, wenn sie nicht glasiert sind, nur den Teig. Je älter man ist, desto weniger sollte man essen, was nicht sein muss.

Familie Gürtler hütet ein mehr als 200 Jahre altes Sachertortenrezept. Gebacken wird sie in Wien-Simmering. Elisabeth Gürtler verzichtet auf Tortengenuss. "Je älter man ist, desto weniger sollte man essen, was nicht sein muss."
Foto: Matthias Cremer

STANDARD: Warum ist es Ihnen so wichtig, das Reich rund ums Sacher in Familienhand zu halten?

Gürtler: Man ist natürlich stolz auf sein Unternehmen – und trifft Entscheidungen, die keine kurzfristigen sind. Das Sacher ist mit seinen 148 Zimmern ja ein kleines Hotel. Ich wollte daher immer ein zweites in Wien, damit wir Synergien entwickeln können. Ich dachte eine Zeitlang an das Ambassador. Es kostete damals 500 Millionen Schilling und war mir zu teuer. Dass ich es nicht gekauft habe, war eine falsche Entscheidung. Beim Bristol war ich mir dann sicher. Aber dass sich so etwas nicht in zehn, 15 Jahren zurückverdienen lässt, ist völlig klar. Das können meine Enkel einmal in Synergien umwandeln.

STANDARD: Gibt es im Sacher nach Marcel Prawy auch andere Gäste, die ihre eigene Wohnung für ein Zimmer in Ihrem Hotel aufgaben?

Gürtler: Es gibt Gäste, die sich um keine Wohnung kümmern wollen. Es ist ein Geschäftsmodell vieler Hotels: Sie finanzieren Ankaufkosten gegen, indem sie Apartments in den schönsten Lagen verkaufen und diesen die Servicedienstleistungen eines Hotels zukommen lassen.

STANDARD: Wie sehr vermissen Sie den Opernführer der Nation?

Gürtler: Sehr. Er hatte zwei Zimmer, eines hätte für seine Plastiksackerln nicht gereicht. Er hat nie im Restaurant angerufen, um seinen Kaffee oder sein Essen zu bekommen, immer direkt beim Küchenchef. Ich sehe ihn vor mir, wie er in der Früh immer vor mir und Chefportier Peter Wanninger stand, um seinen Tag zu besprechen. "Kindchen", sagte er zu mir, "wenn du wissen willst, wie es im Sacher wirklich zugeht, musst du mich fragen." (Verena Kainrath, 22.10.2017)