Kiew – Eine staatliche Auszeichnung für einen pensionierten Richter sorgt in der Ukraine für Diskussionen: Obwohl Grigori Subez als Paradevertreter der KGB-Unrechtsjustiz und als mitverantwortlich am Tod eines prominenten Dissidenten gilt, konnte er nach dem Ende der UdSSR 1991 seine Richterkarriere ungehindert fortsetzen. Anfang Oktober erhielt er nun den Jaroslaw der Weise-Orden von Präsident Petro Poroschenko.

Der Name des Richters Grigori Subez ist seit den 1980er Jahren aus ukrainischen Underground- und Exilpublikationen bekannt. Ein Kiewer Richtersenat unter seiner Leitung hatte am 13. März 1984 mit dem ukrainischen Dissidenten und Übersetzer Waleri Martschenko (1947-1984) schnellen Prozess gemacht. Für einige Offene Briefe hatte der sowjetische Geheimdienst KGB den Kiewer 1983 wie schon auch zehn Jahre zuvor wegen "antisowjetischer Agitation und Propaganda" anklagen lassen.

Keine Gnade

Trotz einer schweren Nierenerkrankung des Angeklagten kannte Richter Subez keine Gnade und verurteilte den Übersetzer zur Höchststrafe von zehn Jahren Lagerhaft und fünf Jahren Verbannung. "Herr Richter, für meinen Tod unter Lagerbedingungen werden Sie die Verantwortung tragen", erklärte ein schwächelnder Martschenko in seinem letzten Wort. Es folgten wirkungslose internationale Proteste gegen das Urteil, unter anderem von den deutschen Schriftstellern Heinrich Böll und Günter Grass.

Martschenko selbst wurde anschließend im berüchtigten Lager für politische Gefangene im russischen Perm inhaftiert und schließlich nach Leningrad (heute wieder Sankt Petersburg) überstellt, wo er am 7. Oktober 1984 in einem Gefangenenkrankenhaus starb. Der Sowjet-Geheimdienst KGB hatte bis zuletzt seine Freilassung verhindert.

Gegen eigenes Urteil

Sechs Jahre nach Martschenkos Tod ließ Subez 1990 sein eigenes Urteil gegen Martschenko wieder aufheben, nach der ukrainischen Unabhängigkeit und bis seiner Pensionierung Anfang der 2000er Jahre spielte er eine maßgebliche Rolle am einflussreichen Kiewer Berufungsgericht.

Weshalb Präsident Poroschenko den Richter Anfang Oktober nun mit dem Orden des Fürsten Jaroslaw des Weisen (fünfter Klasse) auszeichnete ist bisher unbekannt. Das Vorgehen widerspricht jedenfalls der Entkommunistifizierungs-Politik, welche die Regierenden offiziell seit 2014 deklariert haben. Die ukrainische Präsidentschaftskanzlei verweigerte vergangene Wochemit dem Verweis auf den Datenschutz Auskünfte zu jenen Verdiensten von Subez, auf deren Grundlage die Verleihung des Ordens vom staatlichen Richterrat der Ukraine beantragt worden war. Naheliegend wäre ein Zusammenhang mit dem 80. Geburtstag, den der Jurist zwei Tage nach seiner Auszeichnung feierte.

Kritik im Netz

Kritik an der Ordensverleihung kommt seit ihrem Bekanntwerden insbesondere vom nationalbewussten Flügen der ukrainischen Zivilgesellschaft – Martschenko selbst hatte Zeit seines Leben die Unterdrückung der ukrainischen Sprache in seiner Heimat kritisiert. Empörung wurde aber auch in Sozialen Netzwerken zum Ausdruck gebracht.

Unter dem früheren, Moskau-freundlichen Präsidenten Viktor Janukowitsch hätte sich Subez einen derartigen Orden nicht erträumen können, klagte etwa der Publizist Wladimir Bojko. Der Historiker Igor Kulik vom staatlichen Institut für nationale Erinnerung schrieb von Erinnerungslosigkeit und Schizophrenie. Denn nahezu parallel zur Auszeichnung des Richters hatte das Kiewer Stadtparlament beschlossen, einen Platz in der ukrainischen Hauptstadt nach Waleri Martschenko zu benennen.

Abgesehen von Geschichtspolitik könnte die Auszeichnung, die vom Richterrat initiiert und von der staatlichen Gerichtsadministration unterstützt worden war, aber auch eine massive Vertrauenskrise in Bezug auf den ukrainischen Rechtsstaat verschärfen und erneut die Frage aufwerfen, ob die Gerichte des Landes mit dem aktuellen Personal in einem europäischen Sinn reformierbar sind. Bei den beiden Gremien, die Subez in der Ordensfrage unterstützt hatten, handelt es sich um maßgebliche Strukturen der richterlichen Selbstverwaltung. (APA, 22.10.2017)