Am 20. Oktober kam es zu einem Knalleffekt in der österreichischen Medienlandschaft. Überraschend gab die "Wiener Zeitung" bekannt, ihren Chefredakteur Reinhard Göweil abberufen zu haben. Er stand der Redaktion seit 2009 vor. Sein 2014 verlängerter Vertrag wäre regulär 2019 ausgelaufen.

Auf Nachfrage sprach man bei der im Staatsbesitz befindlichen Zeitung zuerst von "zwingenden arbeitsrechtlichen Gründen". Göweil selbst dementierte dies, legte nahe, möglicherweise ein politisches Opfer im Vorfeld einer neuen Regierungskonstellation zu sein, und kündigte arbeitsrechtliche Schritte an.

Seine Darstellung sei hinterfragenswert, argumentierte Journalistin Hanna Herbst ("Vice", "Liga") auf Facebook – ihr liegen ein Screenshot des Chats sowie Dokumente der Gleichbehandlungsanwaltschaft vor, an welche sich die Journalistin gewandt hatte. Sie konkretisierte, dass es um Vorwürfe der sexuellen Belästigung an Göweil gehe. Seine Abberufung sei auch Folge dessen, dass die Gleichbehandlungsanwaltschaft ebenfalls zur Einschätzung gekommen war, dass es sich um Belästigung handle.

"Hysterische Zerfleischung des Verdächtigen"

Der Fall schlug seitdem weiter Wellen auf Facebook und Twitter. Vermehrt tauchte etwa die Frage auf, warum die aus dem Jänner stammenden Anschuldigungen jetzt erst in Göweils Absetzung mündeten.

Unter Herbsts Posting und auch auf Twitter folgten zudem auch verharmlosende Kommentare sowie Solidaritätsbekundungen namhafter Journalisten an den Beschuldigten. Herbst wurde auch vorgeworfen, "die Zukunft eines Mannes" wegen "einer Kleinigkeit" zu zerstören, erklärt sie gegenüber dem STANDARD. Nach eigenen Angaben hat sie 15 bis 20 von ihr als sexistisch eingestufte Kommentare entfernt.

Foto: Screenshot

"Da kann sich die Republik der hysterischen Zustimmung/Zerfleischung des Verdächtigen aus Feministenkreisen sicher sein", so ein Posting. Allerdings war auch Lob für das Vorgehen der Geschäftsführung der "Wiener Zeitung" zu lesen.

Göweil räumte Vorfall ein

Tags drauf ging schließlich "Die Presse" in einem Artikel auf den Vorwurf gegen Göweil ein. Er soll einer als freie Journalistin tätigen Frau schriftlich "sexuelle Avancen" gemacht und diese mit einem "möglichen Jobangebot" verknüpft haben. Dazu befragt, sprach der Beschuldigte von einem "schweren privaten Fehler" und einer "Trottel-Facebook-Nachricht".

Bei "Österreich" wird er mit den Worten "der angebliche Sex-Skandal war eine Petitesse" zitiert. Auch hier spricht er von einem "privaten Fehler in seiner Freizeit." Schon zuvor hatte er gerichtliche Schritte gegen seine Absetzung angekündigt.

Privat – oder nicht?

Eine Darstellung, der Herbst entgegentritt. Denn, so argumentiert sie, die Journalistin war zu diesem Zeitpunkt längst für die "Wiener Zeitung" tätig, was sich mittels Honorarnoten und Artikeln belegen lasse. Dass die Causa erst zehn Monate nach dem Vorfall bekannt wurde, liegt ihrer Einschätzung nach auch daran, dass dieser Schritt viel Mut seitens der Betroffenen erfordere, und verweist dabei auf bisherige Reaktionen in den sozialen Medien.

Bei der "Wiener Zeitung" ist man laut "Presse" erstaunt über die Argumentation von Göweil. Man habe die Angelegenheit dienstrechtlich "sehr gewissenhaft geprüft". Es gilt die Unschuldsvermutung. (gpi, 22.10.2017)