Aus der Tanzlust der heiratswilligen Larissa (Marie-Luise Stockinger) erwächst – für sie selbst – nichts Gutes. Unter den Peinigern, die sie in einem kleinen Städtchen am Wolgastrand begehren: Der Kaufmann Knurow (Peter Simonischek. li.) und der Adelige Paratow (Nicholas Ofczarek).

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Wien – Ein vermögender Altwarenhändler hat das Russland der Zaren mit unermesslicher Liebe zum Detail neu eingerichtet. Gegeben wird Alexander Ostrowskijs Tragödie Schlechte Partie. Entstanden ist dieses bei uns unbekannte Werk 1878. Hier und jetzt, auf der Burgtheaterbühne des Jahres 2017, sitzen ehrwürdige Kaufleute auf unzähligen Kanapees. Sie tragen angeklebte Backenbärte. Der Brennwert vieler solcher Gesichtszierden entspricht wohl dem eines Birkenwäldchens.

Auf den Tapetenwänden bleibt kein Quadratzentimeter ungenutzt. Ölporträts und Genrebilder, Medaillons und "Rosenkranz"-Pianinos erzählen von den Mühen der Traditionsbildung in einem unermesslich großen, rückständigen Land. Das unmittelbare Interesse aller Anwesenden richtet sich auf ein Püppchen aus Fleisch und Blut. Larissa (Marie-Luise Stockinger) dreht sich wie die Porzellanfigur eines Spielwerks im Kreis. Aufgrund von Verarmung stellt ihre in Chinaseide gehüllte Anmut das Lockmittel für potenzielle Brautwerber dar.

Schlechte Partie erzählt von der Unlust steinreicher Männer, das Geschäft der Eheanbahnung ernsthaft zu betreiben. Und weil Steinschlosspistolen an der Salonwand hängen, begreift man im Nu: Es wird kein gutes Ende nehmen mit Larissa. Ihre Aussteuer besteht offenkundig in ihrer Tanzwut. Ansonsten verfügt sie über eine verblühte Zuhälterin als Mutter (Dörte Lyssewski) und einen kauzigen Postoffizialbeamten (Michael Maertens) als verbliebenen Anwärter auf ihre Hand.

Langatmige Exposition

Alvis Hermanis‘ Burg-Inszenierung einer Neuübersetzung von Alexander Nitzberg ist eine heiße Liebeserklärung an die Floh- und Trödelmarktökonomie. Während Larissa sich zu dröhnender Schellackmusik zu Tode dreht, wissen die Kaufleute einer stark flusswirtschaftlich orientierten Wolga-Metropole kaum, wohin mit sich und ihren schlechten Manieren.

Liest sich Nitzbergs Stückfund als Manuskript wie eine etwas geschwollene Novelle mit verteilten Sprechrollen, so kommt der träge Fluss der Aufführung während mancher Szene vollends zum Erliegen. Den vier Akten wird eine Exposition vorangestellt. Der verarmte Adelige Paratow (Nicholas Ofczarek) hat mehr als nur ein blutunterlaufenes Auge auf Larissa geworfen. Ihretwegen macht er sogar als Pistolenkunstschütze auf sich aufmerksam, nur um wegen Geldangelegenheiten vor ihr Reißaus zu nehmen. Ofczarek brilliert als massiger Gewaltherrscher über die Hirne und Herzen der Mitbürger. Hinter seiner Verächtlichkeit lauert ein waidwunder Dompteur. Sein überschießendes Temperament wird von Selbstverachtung gespeist. Die trübe Milch der Denkungsart tropft aus dem Flachmann.

Sein Gegenüber Karandyschew wird – wie so häufig an der Burg – von Maertens gebildet. Ein verschwitzter, gedemütigter Subalterner, der als unverhoffter Bräutigam aus dem Kasten steigt und den Geldsäcken rund um ihn am liebsten an die Gurgel spränge. Man hat diesen wunderbaren Charakterschauspieler schon lange nicht so schematisch arbeiten gesehen.

Man wird kein überzähliges Barthaar in der Suppe dieser Aufführung finden. Und doch bemächtigt sich des Betrachters unweigerlich ein Gefühl der Lähmung. Indem Hermanis (auch als Ausstatter) die wenigen Aussagen seiner Aufführung doppelt und dreifach trifft, verliert jeder einzelne Schauwert sukzessive an Überzeugungskraft.

Kunst als Dienstleistung

Die Kaufleute Knurow (Peter Simonischek) und Woschewatow (Martin Reinke) sind die Sitzriesen der Geldvermehrung, die ihre roten Nasen hinter alten Zeitungen verstecken und ihren Durst mit Schampus stillen. Jeder Kaufmann kann sich höhere Werte als Dienstleistungen zukaufen. Gemeinsam bilden die Krämer eine Hetzmeute. Vor einer Wand aus Perserteppichen muss Larissa tanzen wie das Mädchen auf der Gitanes-Packung. Vernichtungsenergie wird auch in die Auslöschung eines Pausenclowns gesteckt. Fabian Krüger gibt als Faktotum "Robinson" den Säufer als sturmgepeitschte Trauerweide.

Lauter Melodramen, die vom stürmischen Herannahen der Oktoberrevolution noch nicht das Geringste wissen (wollen). Dieses kunstfertige Theater verweigert die Realität. Es müsste eigentlich zum Arzt, geht aber lieber zum Ausstatter. Das Publikum zeigte sich höflich erschöpft. (Ronald Pohl, 22.10.2017)