Recha (Maximiliane Heß) und Nathan (Werner Strenger).

Foto: Lupi Spuma

Graz – Den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen – diesen im Theater sich oft hinauszögernd auswirkenden Spruch hat sich Bühnenbildnerin Jelena Nagorni zu Herzen genommen. Und einen weißen Stelenwald wachsen lassen. Darin herum treten die Figuren von Lessings Nathan der Weise im Grazer Schauspielhaus. Die Religion verstellt allen bis auf Nathan den Blick fürs Wesentliche, nämlich das Gemeinsame, und das Wesen, nämlich jenes des Einzelnen. Verzögerungsvorwurf kann man dem Spiel aber keinen machen. Dem Abbau der Missverständnisse arbeitet das Aufklärungsstück zu.

Weiter hergedacht mag der Stelenwald auch an Peter Eisenmans Holocaustmahnmal in Berlin erinnern – was ist seit Lessings Zeit nicht alles geschehen. Naheliegender ist das sich später zu "Inseln" teilende Dickicht aus verschieden dicken Pfeilern aber der Palast des Sultans Saladin und das Haus des so reichen wie weisen Juden Nathan (Werner Strenger). Einbilden mag der sich auf keines von beidem etwas, das trägt nicht minder zu seinem guten Ruf bei.

Unmittelbar menschlich

Auch ist er besonders kinderlieb. Eine neu vorangedichtete Szene zeigt Nathan mit der noch kindlichen Recha (Maximiliane Haß). Wie das Pferd zum Kamel wurde, erzählt er darin dem Kind, das nicht zu Bett gehen will. Es ist ein dummer Wunsch, anders sein zu wollen, als man ist, lautet die Moral. Unmittelbar und sehr menschlich hebt dieser Nathan so an, bevor er in die originalen "kömmet" und sperrigeren Blankverse wechselt, die dem großartigen Strenger besonders natürlich über die Lippen kommen.

Dieser Einstieg bereitet zudem den Boden für die Entscheidung, die berühmte Ringparabel später Nathan und Recha gemeinsam erzählen zu lassen. Verschiedene Religionen sind gleichwertig – warum hätte er auch sonst das Christenkind einst heimlich aufgenommen und als seines großgezogen?

Lily Sikes inszeniert auf der minimalistischen Bühne mit kühler Größe. Das wirkt zuweilen wie vergangene Moderneästhetik, wie bildgewaltig statische Oper. Die Formen sind klar, die Kostüme schlicht königsblau, rot, weiß und schwarz. Die Säulen kann man beklettern, um von dort oben im Palast des Sultans etwa ein lebendiges Schachspiel zu dirigieren, sie tragen Leuchtstoffröhren oder sind an einer Ecke angeschwärzt, um zu zeigen, wo Nathans Haus gebrannt hat. Der sparsam eingesetzte Sound reicht vom Liturgischen bis zur E-Gitarre. Nathans Geldgabe wird als Goldkonfetti über dem bankrotten Sultan ausgeschüttet.

Daneben wirken vor allem Scheinwerferlicht – als Kegel oder Nebel – und Bühnenschwärze. Diese imposanten optischen Gegenspieler mögen auch metaphorisch dienstbar sein. Aber sie werden nie zu groß. Emotion steht hier nicht hinter dem Toleranzimpetus zurück. Kinder brauchen Liebe mehr als Christentum, so eine Einsicht.

Im Original schon alles gesagt

Haß‘ kecke Recha macht Clemens Maria Riegler als Tempelherrn, der sie aus dem Feuer gerettet hat und sich nach entbrannter romantischer Liebe zu ihr auf brüderliche herabkühlen muss, ganz schwach und fahrig. Pascal Goffin als Derwisch ist hin- und hergerissen, während er ratlos ganz still steht, denn der Muslim mag den Juden Nathan.

Man hat an dem Stoff nichts aktualisiert. Es wird von Lessing im Original schon alles gesagt. Auch mit dieser Erkenntis entlassen die rund drei Stunden. Es wurde bloß auf menschliches Maß gebracht. (Michael Wurmitzer, 22.10.2017)