Charlie Rich in den 1960ern, optisch eine Mischung aus Elvis und Marlon Brando.

Smash Records

Normalerweise reduziert man Charlie Rich auf zwei Songs. Das wäre okay, wenn einer davon "Feel Like Going Home" wäre. Doch im Normalfall heißt es "Behind Closed Doors" und "The Most Beautiful Girl". Dann ist Schluss. Die beiden Lieder machten den Mann 1973 zum Star. Richtig groß. Das waren Country-Megahits, die weltweit in die Charts krachten. Rich wurde rich.

Reich an Talent war der Mann mit dem silbergrauen Haar schon davor. Er konnte alles spielen. Seine Liebe war der Jazz, als Kind hörte er am Hof der Eltern den Blues der Arbeiter und den Gospel seiner Eltern. Sie waren Anhänger eine Fundi-Kirche, in der es nur Gut und Böse gab, Erlösung oder Verdammnis.

Als Rich dem Bösen, also der weltlichen Musik, anheimfiel, begann ein Gewissenskonflikt, den er zeitlebens nicht überwinden sollte. Das war schlecht für den Menschen, aber gut für seine Kunst. Der Blues ist in seinen Songs allgegenwärtig.


Charlie Rich 1974 mit C. J., einem Farmer, von dem er viel über den Blues gelernt hat.

Charlie Rich war kein Good-time-Charlie, er war ein verschlossener Mensch. Und es dauerte, bis seine Kunst die Massen erreichte. Dabei besaß er alle Voraussetzungen. Er sah aus wie eine Mischung aus Elvis Presley und Marlon Brando, und er sang wie Elvis. Mehr noch.

Richs Stimme besaß früh eine emotionale Kraft, wie sie nur Zweifel und innere Konflikte begleiten. Worüber er nicht reden konnte, das soff er weg. "But when I'm drinkin' I'm nobody's friend", sang er in "Sittin' and Thinkin'". Aber die Einsicht ist nicht immer gleich ein Ausweg.

Seiner Frau Margret Ann verdankte er es, dass er sich nicht frühzeitig zerstört hatte. Die beiden waren Highschool-Sweethearts, die ein Leben lang zusammenblieben, in guten wie in schlechten Zeiten.

Am Klavier für Johnny Cash und Jerry Lee Lewis

Rich stammte aus Colt in Arkansas, einmal über den Fluss fahren, und er war in Memphis. Dort hat seine Karriere begonnen. Ende der 1950er wurde er Songschreiber in den Sun Studios. Er schrieb Lieder für Johnny Cash und Jerry Lee Lewis und begleitete sie im Studio. Doch als er 1960 als Solokünstler debütierte, lagen die Prioritäten von Sam Phillips längst anderswo.

Zwar landete sein Debüt "Lonely Weekends" in den Charts und verkaufte eine Million Stück, doch er vermochte nicht erfolgreich nachzulegen. Erst als er 1965 zu Smash Records wechselte, gelang ihm mit "Mohair Sam" ein nächster Erfolg. Ansonsten klimperte er zwischen Country, Rock und R 'n' B herum, war in jeder Disziplin großartig, doch das Wunder eines weiteren Hits zeichnete sich nicht ab.

Schwere und Eleganz

Country war ihm zu simpel, für Rock 'n' Roll besaß er nicht das Temperament, für Soul war er zu blond – und dennoch spielte er all das mit derselben schlafwandlerischen Souveränität, die einen Ray Charles auszeichnete. Was Rich anfasste, besaß Schwere und Eleganz. All die inneren Zerwürfnisse, die große Kunst oft befördern, schleppte er wie einen Rucksack durch seine Karriere.

1970 erhielt er Besuch von Peter Guralnick. In seinem Buch "Feel Like Going Home. Portraits in Blues and Rock 'n' Roll" beschreibt Guralnick das Treffen mit Rich. Er zeichnet das Bild eines immens talentierten, etwas verbitterten Menschen.

Rich tingelte damals durch kleine Clubs und nährte seinen Kummer darüber mit Alkohol. "Jedes graue Haar auf seinem Kopf ist hart verdient", sagte Margret Ann über ihren Mann. Guralnick und Rich wurden Freunde.

Aus dem Buch wird ein Song

Als sein Buch 1971 erschien, dachte Guralnick, das sei es mit der Freundschaft gewesen. Denn er hatte darin ungeschönt Richs Alkoholismus beschrieben. Doch dann bestellte Rich 35 Bücher beim Verlag. Er war nicht sauer, im Gegenteil. Er war angetan von Guralnicks Offenheit und kaufte die Bücher, um sie an Freunde und Verwandte zu verschenken.

Mehr noch: Der Titel des Buchs inspirierte Rich zu dem Song "Feel Like Going Home". Live kündigte er ihn oft als Lied über Heimweh auf Tourneen an. Das mochte stimmen, doch blitzt in diesem Song ein nachgerade universeller Schmerz durch, der nach mehr als bloß nach Heimweh klingt.

Magic Rich. "Feel Like Going Home" in voller Ausstattung.
imnokid

Guralnick und Rich blieben Freunde bis zu Richs Tod 1995. Drei Jahre davor produzierte Guralnick sein Album "Pictures and Paintings", auf dem Rich seine jazzige Seite auslebte – ein spätes Meisterwerk.

Aber zurück in die 1960er. Auf der Suche nach einer Erfolgsformel schüttelte Rich eine Perle nach der anderen aus seinen Ärmeln. Neben den Smash-Records-Aufnahmen sind jene Country- und Soulsongs eine Offenbarung, die er für Hi Records aufgenommen hat. Das Label wurde später mit Al Green weltberühmt.

1967 veröffentlichte es "Charlie Rich Sings Country & Western", eine Sammlung von Hank-Williams-Songs. Wenn es je eines Beweises für die Schnittmenge von Country und Soul bedurft hatte, wäre er damit erbracht gewesen.

"Hey Good Lookin'" – Charlie Rich interpretiert Hank Williams.
Connor M.

Doch das war nur ein kleiner Teil seines Hi-Outputs. Rich hat dort auch Soul-Singles aufgenommen, die mit den Countrysongs auf der CD "The Complete Hi Recordings" erhältlich sind. Pures Gold.

Darunter ist eine Version von "When Something Is Wrong With My Baby", das so lange unveröffentlicht blieb, bis Sam & Dave damit die Charts stürmten und abräumten. Nicht das letzte Mal, dass Rich schlechtes Glück hatte.

Gegen Sam & Dave anzukommen ist normal unmöglich. Aber sorry – Richs Version von "When Something Is Wrong With My Baby" ist die bessere.
Lefteri77

Doch Songs wie "Don't Tear Me Down" oder sein "Who Will The Next Fool Be", das wieder nur für andere zum Hit wurde, bezeugen die Eleganz, die Richs Aufnahmen in dieser Zeit auszeichneten. Präsentierten seine Smash-Recordings einen Mann, der der bessere Elvis war (der King verschwendete sich gerade an dümmliche Filme und deren Soundtracks), zeigen seine Hi-Aufnahmen den begnadeten Stilisten, der mit Songs wie "Motels, Hotels" jede Hütte rocken konnte.

Eleganz und Dynamik: "Don't Tear Me Down".
gaynormartin

Als er zu Epic wechselte, behielt er die Soul-Breitseite, wie der Titelsong des Albums "Set Me Free" belegt. Rich amalgamisierte Soul, Country und Blues. So entstand jene Formel, die ihn schließlich nach oben brachte. Selbst als er längst eine zeitgeistige Trottelfrisur trug und als Silver Fox denunziert ein Weltstar war, verbarg das nicht sein Universaltalent.

"Set Me Free" – ein Rucksack voller Probleme.
Connor M.

Nach seinen Megahits tourte Rich mit großer Show und fettem Orchester durch die Casinos – und trotz all der Übertreibung verlor er nie seinen Instinkt und war jederzeit für ein Meisterwerk wie "Don't Put No Headstone On My Grave" zu haben.

Ein Gospel-Blues für den Juke Joint.
pappyvanwinkle1

Oder für ein besoffenes John-Denver-Bashing bei der Verleihung des Country Music Award of the Year. Nicht sein bester Abend.

Charlie Rich 1975 mit drei Damenschwipserln im System. John Denver musste dran glauben.
ColonelCasperKY

Das illustriert, dass auch Erfolg und Geld seine Dämonen nicht in den Griff kriegen konnten. Am Klavier aber, da schuf er reine Magie. Auf einer nach seinem Tod erschienenen Kompilation erblickte schließlich die Demoversion von "Feel Like Going Home" das Licht der Welt. Was für ein Abgesang. Deep Soul und Gänsehaut. Charlie Rich auf der Höhe seiner Kunst.

"Feel Like Going Home". Die posthum erschienene Demoversion. Gänsehaut.
smkks

(Karl Fluch, 24.10.2017)