Premierminister Hun Sen und die Kambodschanische Volkspartei regieren das Land seit 32 Jahren.

Foto: Foto: AFP / TANG CHHIN

Bild nicht mehr verfügbar.

Mu Sochua, Vizepräsidentin der oppositionellen NRP.

Foto: Foto: Reuters

Der anonyme Anruf in der Nacht war für Mu Sochua das Signal, die Koffer zu packen. Die Vizechefin der oppositionellen Nationalen Rettungspartei (NRP) floh von Phnom Penh nach Bangkok. Sie war vor ihrer Verhaftung gewarnt worden. "Ich dachte, wenn meine Tage zu Ende gehen, dann will ich frei sein", meinte sie gegenüber einer Tageszeitung. Wochen zuvor war bereits Parteichef Kem Sokha verhaftet worden.

Der Politiker sitzt unter dem Vorwurf des Hochverrats im Gefängnis. Vor ein paar Tagen schließlich beantragte die kambodschanische Regierung beim Obersten Gericht die Auflösung der Oppositionspartei. Möglich geworden war der Vorstoß dank eines vom Parlament abgesegneten Entscheids. Es gebe "21 Beweise" dafür, dass die Opposition "mit fremden Mächten konspiriert habe", so das Argument der Regierung. In den Straßen von Phnom Penh herrscht Angst.

Die dominante Kambodschanische Volkspartei (CPP) unter Premierminister Hun Sen (65), der seit 32 Jahren die Geschicke des Landes diktiert, führt einen Feldzug gegen jegliche Form von Dissens. "Es ist besser, wenn man schweigt", sagt die Besitzerin eines Brillenladens in einer Seitenstraße der Hauptstadt Phnom Penh, "denn man weiß nie, wer zuhört". Nicht nur die Behandlung der politischen Opposition verunsichere viele, sagt die Geschäftsfrau, sondern der Kampf gegen Information: "Man weiß nicht, was man glauben kann."

Türen geschlossen

"Abstieg in die absolute Diktatur" hatte die Tageszeitung "The Cambodia Daily" (CD) im September getitelt. Dann war Schluss. Fast ein Vierteljahrhundert nach der Gründung musste das englischsprachige Blatt seine Türen schließen. Die "Daily" hatte sich einen Namen gemacht für hart recherchierte Geschichten – über Korruption und Menschenrechtsverletzungen am Mekong, über Umweltskandale.

Exchefredakteurin Jodie deJonge ist überzeugt: "Es geht darum, alle kritischen Stimmen im Land zum Schweigen zu bringen." Das Regime legte fast ein Dutzend unabhängige Radiostationen – Stimmen gelegentlicher Kritik im sonst meist regierungshörigen Medienwald Kambodschas – still. Nichtstaatlichen Organisationen geht es nicht besser. Die von Washington unterstützte Denkfabrik National Democratic Institute (NDI) wurde unter dem Vorwand geschlossen, "nicht korrekt registriert" gewesen zu sein. Vor allem Organisationen mit Beziehungen zu den Vereinigten Staaten finden sich im Fadenkreuz des Regimes.

Große Frustration

Immer häufiger und immer schriller kritisiert der Ex-Rote-Khmer-Kommandant Hun Sen die USA. Gleichzeitig bindet sich der Premier stärker an China. Peking lässt sich die Loyalität einiges kosten: Brücken, Straßen, Schulen; die Skyline von Phnom Penh ist dominiert von zu einem wesentlichen Teil mit chinesischem Geld finanzierten Neubauten.

Seit 1993 ist Kambodscha offiziell eine Mehrparteiendemokratie. Doch in der Realität des politischen Alltags hat die CPP eine fast uneingeschränkte Kontrolle über das Land. Die Wahlen 2013 zeigten Hun Sen, dass in der kambodschanischen Bevölkerung eine weitaus größere Frustration herrscht über seine Regierung, als er erwartet hatte. Die CPP verlor ein Viertel der Sitze im Parlament und gewann mit einer Marge von weniger als fünf Prozent. Und das trotz Wahlbetrugs. Wäre der Gang an die Urne korrekt durchgeführt worden, hätte wohl die NRP gewonnen, glauben Beobachter.

Im Juni hatte Hun Sen gewarnt, er sei bereit, "100 oder 200 Menschenleben zu opfern", sollte die CCP die nächsten Wahlen 2019 nicht gewinnen. Schon während der politischen Auseinandersetzungen 1997, die in einem Staatsstreich mündeten, starben Oppositionelle im Kugelhagel seiner Truppen in Phnom Penh. In den letzten 20 Jahren sind mehr als ein Dutzend Journalisten und Menschenrechtler ermordet worden. Jüngstes prominentes Opfer war Kem Ley. Der Kommentator wurde im vergangenen Jahr erschossen. Bei vielen Kambodschanern wecken solche Attacken schmerzhafte Erinnerungen.

Lähmender Effekt

Als die von Pol Pot geführte Roten Khmer über das Land herfielen, eliminierten sie als erstes Intellektuelle. Etwa zwei Millionen Menschen starben zwischen 1975 und 1978 unter dem maoistisch-nationalistischen Terrorregime.

Die Verschärfung des politischen Klimas droht das in den letzten Jahren aufgebaute Vertrauen der internationalen Gemeinschaft in das südostasiatische Land zu untergraben. Reformen hatten das Land zu einem attraktiven Wirtschaftsstandort gemacht. Die Weltbank rechnet für 2017 mit einem Wachstum des Bruttoinlandproduktes von 6,9 Prozent. Der Wert der Ausfuhren von Kleidern und Schuhen – den beiden wichtigsten Exportprodukten – steigt kontinuierlich. Tourismus wird eine immer bedeutendere Quelle von Devisen. Korruption und die in vielen Regionen endemische Armut haben aber einen lähmenden Effekt auf die wirtschaftliche Entwicklung. Die meisten Bewohner auf dem Land sind Kleinbauern und Selbstversorger mit minimalem Einkommen. Zwar hat sich die Armutsrate zwischen 2004 und 2011 mehr als halbiert, von 53 Prozent der Bevölkerung auf 20,5 Prozent. Trotzdem muss ein großer Teil der Bevölkerung mit weniger als drei Dollar pro Tag auskommen.

Kritische Stimmen haben es schwer in Kambodscha. Über die Hälfte der NRP-Abgeordneten lebt inzwischen im Exil. Unter Journalisten wächst die Selbstzensur. "Ich weiß nicht, ob man es so nennen kann", meint ein Verleger auf die Frage, ob seine Reporter seit der Schließung der "Cambodia Daily" vorsichtiger schreiben. "Aber es macht wenig Sinn, wenn meine Journalisten das Land verlassen, und ich im Knast hocke." (Urs Wälterlin aus Phnom Penh, 24.10.2017)