Sympathischer Sturschädel: Lætitia Dosch.

Foto: Viennale

Wenn man Paula etwas nicht vorhalten kann, dann ist es fehlende Energie. Bereits die ersten Sekunden in Léonor Serrailles Jeune femme machen dies mehr als klar, wenn die titelgebende junge Frau erst mit dem Kopf durch eine Tür und anschließend einem Arzt mit gefühlten 200 Wörtern pro Sekunde verdeutlichen will, warum das Leben ihr gerade so besonders unfair mitspielt.

Nach einem längeren Aufenthalt in Mexiko ist die 31-Jährige nach Paris zurückgekehrt, um festzustellen, dass Joachim, ein älterer Fotograf, dessen Muse sie war, keinen Wert mehr auf ihre Gegenwart legt. Paulas Versuch, die Wohnungstür ihres neugewonnenen Exfreunds mit der Zidane-Methode zu öffnen, bringt ihr jedoch nur eine Platzwunde auf der Stirn ein, sodass sie weitestgehend auf sich allein gestellt durch die französische Hauptstadt streifen muss. Mit der Mutter hat sie seit Jahren keinen Kontakt, Freunde sind bestenfalls Mangelware, das Geld ist bald verbraucht. Einzig Joachims prächtige weiße Katze begleitet sie auf ihren Streifzügen durch die Straßen um die Metrostation Montparnasse Bienvenüe (so auch der internationale Verleihtitel).

Rotschopfiges Zentrum

In den ersten 45 Minuten reiht Serraille, die in Cannes die Caméra d'Or für den besten Debütfilm entgegennehmen durfte, mit großem Tempo Szene an Szene. Potenziert wird die Sprunghaftigkeit durch Paulas Charakter, der zumindest als eigenwillig bezeichnet werden muss. Wie ein großes Kind, das noch nie Verantwortung übernehmen musste und jetzt plötzlich auf sich allein gestellt ist, geht sie mit einer unerschrockenen Direktheit durch die Welt, die einerseits bewundernswert ist, viele wohlmeinende Leute aber auch vor den Kopf stößt. Hauptdarstellerin Lætitia Dosch gelingt es als rotschopfiges Zentrum jeder Szene meisterhaft, diese schwierige Persönlichkeit auch als sympathischen Menschen erfahrbar zu machen. Dabei schadet es freilich auch nicht, dass die Verhaltensoriginalitäten der Protagonistin einiges an komischem Potenzial in sich bergen.

Wenn es Paula mit charmant vorgetragenen Halb- und Unwahrheiten schließlich gelingt, eine Anstellung als Kindermädchen – und damit auch ein festes Quartier – zu bekommen, übernimmt Jeune femme zunehmend bekannte Züge klassischer Entwicklungsdramen. Überraschend ist an diesem Punkt eigentlich nur, wie patent Paula sich insbesondere bei ihrem Zweitjob als Dessousverkäuferin erweist.

Während sie die von ihrem Fotografen-Ex festgehaltene Rolle als wandelnder Mittelfinger zunehmend ablegt, kommt es zu allerhand Annäherungen auf familiärer und amouröser Ebene. Zuletzt wird auch Joachim wieder vorstellig. Dabei bleibt der durchwegs von einem weiblichen Stab realisierte Film jedoch dem Mut zur Ellipse treu, wodurch vieles angeschnitten, aber keineswegs alles offenbart wird.

Wie Paulas Wesen selbst bei der Darstellung wirklich essenzieller Notlagen ein Absinken in allzu finstere Tragödientiefen verhindert, so werden auch auf gestalterischer Ebene scheinbar rohe Bilder großstädtischen Straßenlebens mit sorgfältig komponierten Einstellungen zusammengebracht, die klarmachen, dass hier etwas nicht nur flott improvisiert, sondern zugleich im Vorfeld mit großer Genauigkeit konstruiert wurde. Das Resultat ist die Geschichte eines sehr speziellen Individuums, der trotz ihrer Einzigartigkeit auch etwas Universelles innewohnt. Wie schon der Titel sagt, ist Paula letztendlich einfach eine junge Frau, die, wie so viele andere Menschen auch, in der großen Stadt um ihre Eigenständigkeit ringt. (Dorian Waller, 24.10.2017)